Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Die flaue Zukunft der EU

Die flaue Zukunft der EU

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„Spanien rutscht überraschend in die Deflation“ ist ein Titel, der letzte Woche die Wirtschaftsseiten fast aller Zeitungen zierte. Wieso „überraschend“? Wenn Spaniens für die vorhandene Produktivität viel zu hohen Löhne gesunken sind, müssen alle Preise nachgeben, die Lohnkosten enthalten. Mit größerer Sorge sollte uns eine Meldung erfüllen, die fast durchwegs mit der spanischen verbunden war: dass nämlich die Inflation in der Euro-Zone insgesamt mit 0,5 Prozent weit unter den Erwartungen liegt und auf dürftige wirtschaftliche Tätigkeit schließen lässt.
Ökonomen, die das Heil im staatlichen Sparen sehen, müsste das weit mehr als Spaniens Preisverfall überraschen – mich nicht: Wenn man in einer Zeit stagnierender privater Nachfrage einen Spar-Pakt über ganz Europa stülpt, der auch die staatliche Nachfrage reduziert, muss das Geschäft zurückgehen.

Ich wiederhole hier mehrfach Geschriebenes: Es kann mathematisch keinen Verkauf ohne Einkauf geben. Wenn die Bürger zu wenig einkaufen und der Staat gleichfalls weniger einkauft, müssen die Unternehmen weniger verkaufen. Zwar gilt das nur für einen geschlossenen Wirtschaftsraum, und die EU ist keiner – sie verkauft eine Menge ins Ausland, aber eben doch weit weniger als in ihre Mitgliedsländer. Wenn die Nachfrage in fast allen Mitgliedsländern zurückgeht, muss die Wirtschaft das spüren. Das einzige Land, das es vorläufig nicht spürt, ist Export-Weltmeister Deutschland, das diese Politik diktiert (mit ­Österreich im Schlepptau): Es vermag so viel mehr in die USA oder nach China zu exportieren, dass es die EU-Einbußen kompensiert. (1)

Gott sei Dank hat Wolfgang Schäuble zuletzt wenigstens für höhere deutsche Löhne plädiert, sodass zumindest deutsche Bürger mehr kaufen können. Aber irgendwann wird selbst Deutschland den EU-weiten Nachfragerückgang spüren. Ich führe mit meinem Freund Christian Ortner seit Monaten einen Streit, der eben diese Frage betrifft: ob die EU einer „Deflation“ oder einer „Inflation“ entgegengeht, und was sie mehr zu fürchten hat.

In seinem „Zentralorgan des Neoliberalismus“ verbreitet Ortner nämlich statt der Angst vor Deflation die Angst vor Inflation – wobei er sich das redlich mit Franz Schellhorn von der Agenda Austria teilt: Beide sind überzeugt, dass das „Gelddrucken“ der EZB Inflation erzeugen muss.
Ich halte diese These an beiden Enden für mehr falsch als richtig. Einmal, weil die EZB gar nicht so viel Geld druckt: Die Spekulationen gegen den Euro haben schon aufgrund ihrer bloßen Drohung, ihn notfalls mit allen Mitteln zu verteidigen, aufgehört, sodass sie gar nicht „alle Mittel“ einsetzen musste. Vor allem aber, weil nur ein Bruchteil des von ihr verbilligten Geldes auch vermehrte Nachfrage auslöst: Die Banken der EU vergeben derzeit nicht mehr, sondern weniger Kredite. Erstens, weil sie Angst vor Zahlungsausfällen haben; zweitens, weil weder Bürger noch Unternehmer nach mehr Krediten verlangen. Denn gerade Unternehmen haben angesichts sparender Bürger und sparender Staaten kaum Grund zu Erweiterungsinvestitionen: Wenn irgendwer vielleicht mehr Autos kaufen will, laufen nur die Bänder in den vielen unausgelasteten KFZ-Fabriken der EU ­etwas schneller.

Ein wachsender Teil der Bürger will aber gar nicht mehr Waren kaufen, weil er Angst vor Arbeitslosigkeit hat – oder schon arbeitslos ist. Das Angebot kann sich also problemlos der sowieso mäßigen Nachfrage anpassen.
„Inflation“ ergibt sich nur, wo Nachfrage auf ein knappes, nicht beliebig vermehrbares Angebot trifft. Bei Gold zum Beispiel; bei zentrumsnahem Baugrund; oder bei Aktien, deren Zahl ihrem Wesen nach begrenzt ist: Hier muss mehr billiges Geld zu Blasen führen, die demnächst platzen werden, weil Unternehmen in einer stagnierenden Wirtschaft nicht wirklich an Wert gewinnen.

Ortner ist wegen solcher spezieller Preissteigerungen der Ansicht, dass wir in Wirklichkeit sehr wohl eine „Inflation“ durch „Gelddrucken“ erleben: Was wirklich „werthaltig“ sei, würde teurer. Alles andere in beliebiger Menge Produzierbare – Autos, Haushaltsgeräte, Kleidungsstücke usw. – wird freilich ständig billiger, weil das potenzielle Angebot die aktuelle Nachfrage übersteigt.

In Summe ist die Inflation damit eher gering – wenn auch für Arme am spürbarsten (2) – und hat jedenfalls wenig mit der Inflation gemein, die unser Großeltern fürchten mussten.

Wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)sehe ich die EU daher eher von „Deflation“ gefährdet:

- Das Wirtschaftswachstum kommt mangels Nachfrage nicht in Gang.
- Es finden nur Rationalisierungs-Investitionen statt.
- Das lässt die Arbeitslosigkeit weiter steigen.
- Die daraus resultierende Zurückhaltung bei Einkäufen addiert sich zur staatlichen Zurückhaltung bei Investitionen. Das bremst die Preise, schwächt aber die Wirtschaft weiter.

Die EZB wird vermutlich versuchen, dem geldpolitisch entgegenzuwirken. Denn bisher fahren die USA und Großbritannien mit extrem lockerer Geldpolitik etwas besser. Die Abkehr vom Spar-Pakt wäre der ungleich bessere Ansatz.

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(1) Das ist das Wesen einer Ausfallshaftung, und die BayernLB hat die Hypo ja mit dieser Haftung gekauft.

(2) Immerhin hatte die „Financial Times“ den Verdacht geäußert, dass Österreich pleitegehen könnte, wenn seine Banken in den Ex-Ostblockstaaten in Schwierigkeiten kämen.