Ulla Kramar-Schmid

Ulla Kramar-Schmid Verdunkelungsgefahr

Leitartikel. Verdunkelungsgefahr

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Erst, als die Funktionäre beinahe verzweifelten; erst, nachdem die Gegner müde gelaufen waren und die Wähler sich an ihnen satt gesehen hatten; erst dann, zwei Wochen vor der Wahl, wurde der Spitzenkandidat plakatiert und absolvierte sein erstes und zugleich einziges TV-Duell. Es war ein Spätstart, mit programmiertem Effekt. Franz Vranitzky, nach neun Jahren am Ballhausplatz angezählter Kanzler, wirkte als einziger Wahlkämpfer frisch und unverbraucht.
Das war 1995.

Nicht ganz zwei Jahrzehnte später kann es sich kein Spitzenkandidat leisten, so lange unterzutauchen. Radio und TV-Formate, private wie staatliche, Facebook, Twitter, Online-Chats, Tageszeitungen, Wochenmagazine – alle Kanäle werden ab Mitte August von den Parteien bespielt. Vorhersehbar, durchorchestriert, zwischendurch bemüht, dem politischen Mitbewerber noch das eine oder andere Skandälchen reinzuwürgen. Zur Auflockerung, sozusagen.

Wahlkampf eben. Da steht jeder Schmutzkübel parat, ist jede Handbewegung der Spitzenkandidaten einstudiert, jeder Gag vorprogrammiert. Und jede Aussage wird von PR-Strategen penibel abgetestet und so lange glatt poliert, bis der Kandidat sich in keinem noch so geschickt gesponnenen Interviewnetz zu verfangen droht. Antworten, die den Wähler erschrecken/verärgern/verprellen/provozieren, sind zu vermeiden. Dies gilt vor allem für die Spitzenleute der Koalitionsparteien. Schließlich wollen die Herren Faymann und Spindelegger, die Österreich in den vergangenen Jahren regiert haben, auch nach der Wahl wieder regieren – in welcher Konstellation auch immer.

Wer sich in den nächsten Wochen Klarheit erhofft, wird verwirrt zurückbleiben. In einem Wahlkampf geht es nicht darum, Fakten offenzulegen – vielmehr gilt das Prinzip der Verdunkelung.

Wir werden von Kanzler und Vizekanzler vor der Wahl also sicher nicht hören, dass die Hypo-Alpe-Adria zum Milliardengrab für Steuergelder wird, weil die Kärntner Bank mehr Leichen im Keller hat, als uns über die Jahre hinweg weisgemacht wurde; dass die Finanzministerin im Jahr fünf nach der Verstaatlichung noch immer keinen Plan haben will, was sie mit dem Erbe der Ära Haider machen soll, untermauert dies nur.

Faymann und Spindelegger werden uns sicher erzählen, dass Österreich unlängst feine Budgetdaten nach Brüssel gemailt hat. Sie werden uns aber tunlichst verschweigen, wie verschuldet die Republik trotzdem ist – und was sie dagegen zu tun gedenken. Immerhin belaufen sich die Staatsschulden auf sagenhafte 230 Milliarden Euro. Der Hausverstand sagt: sparen. Aber sparen ist im Handbuch der Kampagnenmanager keine Kategorie. Also werden wir von Kanzler und Vizekanzler sicher nicht erfahren, wann und in welchem Ausmaß ein Sparpaket droht. Das würde nämlich unangenehme Fragen nach sich ziehen – und, wenn man diese ernst nimmt, unpopuläre Antworten erfordern. Schließlich sind die Kostentreiber im Budget keine Unbekannten, die passenden Bremsen dafür ebenso wenig.

Aber hey, es ist Wahlkampf. Spindelegger wird sich nicht nochmal in die Nesseln setzen und laut über eine frühere Anpassung des Frauenpensionsantrittsalters an jenes der Männer nachdenken. Faymann sowieso nicht. Und schon gar nicht wird einer von den beiden so Unsägliches sagen wie: Kappen wir schleunigst die günstige Pensionsregelung der Beamten und harmonisieren wir diese mit dem ASVG-Recht, andernfalls schießen uns nämlich in absehbarer Zeit die Rentenzuschüsse durch die Decke.
Sicher nicht vor dem 29. September.

Wir können getrost davon ausgehen, dass weder Kanzler noch Vizekanzler lobende Worte für die rot-schwarz regierte Steiermark finden und deren Modell der Gemeindezusammenlegungen als beispielgebend für ganz Österreich preisen werden. Ja, es spart Verwaltungskosten, ja, es ist sinnvoll – aber der Aufruhr, den so ein Gedankenspiel in einem Interview oder TV-Duell provozieren würde … Gott behüte! So überlegt, sollte auf dem sensiblen Feld der Gesundheitspolitik auch die Schließung unrentabler Provinz-spitäler argumentativ weiträumig umschifft werden – nicht auszudenken, wie rasch der ländliche Wähler verprellt wäre. Es ist im Übrigen wohl auch davon auszugehen, dass die Streichung der ORF-Gebührenrefundierung im Herbst wieder gestrichen wird. Dass diese Drohkulisse in einem Wahlkampf vorerst durchaus praktisch ist, werden die Herren wohlweislich bestreiten.

Bliebe schlussendlich noch die beliebte Koa-litionsfrage. Ehrlicherweise müssten Faymann und Spindelegger bekennen, dass sie von ihrer Zweckgemeinschaft die Nase bis obenhin voll haben, dass sie die Argumente des jeweils anderen nicht mehr hören können, dass sie einander nur im Weg stehen und daher lieber heute als morgen mit einem neuen Regierungspartner durchbrennen wollten, ließe es das Wahlergebnis zu.

Aber das werden wir schon gar nicht hören. Schade, eigentlich.

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