Meinung

Urlaub ist ein Irrtum

Freuen Sie sich auf die Ferien? Und wenn ja, warum?

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Niemand will Ihnen den Urlaub versauen. Die meisten, ganz ehrlich, schaffen das eh von allein. Dazu brauchen Sie mich nicht.

Es genügt völlig, wenn Sie sich demnächst mit etwas Sack und viel Pack in die Fremde begeben, weit weg von dort, wo Sie sonst sein müssen. Sie fahren in einen Stau, weil Sie sich sagen, uns wird schon nichts passieren, aber es passiert Ihnen immer wieder. Sie sitzen in überfüllten fliegenden Sardinenbüchsen, die zu spät abfliegen und in denen das Mineralwasser sieben Euro kostet, wenn überhaupt noch eines da ist. Der Sack kostet extra, das Pack ist genervt. Und die Bahn? Grundsätzlich eine gute Idee, wenn Sie nicht gerade nach Deutschland wollen, wo der Schienenverkehr de facto abgeschafft wurde, eigentlich wegen allem, was damit zu tun hat und nicht funktioniert oder zum Dienst erscheint.

Wenn Sie ankommen, wo Sie hinwollen, sind die anderen schon da, und zwar so viele, dass Sie keinen gescheiten Platz am Wasser kriegen – und auch nicht im Restaurant. Aber keine Angst: Früher oder später bietet Ihnen jemand einen Zehn-Liter-Kübel an und belästigt Ihre Familie. Das alles kostet Sie nur 9,8 Prozent – im Schnitt – mehr als im Vorjahr.

Es ist die schönste Zeit im Jahr.

Klar geht das auch anders. Viel Glück dabei! Aber warum braucht man das überhaupt, das Glück, dass der Urlaub nicht so wird, wie so oft? Erholung ist wichtig, die Leute sind übermüdet von Corona und einer Arbeit, bei der Überforderung zum Normalprogramm geworden ist. Woran das liegt? Ja, Sie werden staunen – es liegt daran, dass wir immer mehr Urlaub haben, freie Tage. Es ist gut, freie Tage zu haben, aber die Arbeitsorganisation kommt da nicht mit. Denn die vermeintliche Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich ist Selbstbetrug. Für Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände klingt das immer super – denn logisch, wer möchte keine bezahlte Freizeit haben, und immer mehr davon? Nur ist es halt so, dass die Arbeit nicht weniger, sondern tendenziell mehr wird und dabei anstrengender. Es gibt immer weniger Routinearbeit, wo man also ein Formular aufs andere legt, dafür müssen mehr unterschiedliche Probleme gelöst werden. Das heißt: Es bedarf mehr Konzentration und geistigen Einsatzes, das kostet Kraft. Mehr Urlaub – und Sie müssen mehr davon in weniger Zeit erledigen. Es ist eigentlich ganz einfach.

Das Problem mit dem Urlaub und der Freizeit ist ein Tabu. Sofort unterstellt einem die eine Seite unlautere Absichten, Ausbeutung und so, während die andere bestreitet, die Arbeitsverdichtung voranzutreiben. Wie wäre es einmal mit etwas Ursachenforschung, also Realismus? Für viel zu viele Leute ist Arbeit immer noch Plage, ein Muss, um sich durchzubringen, die Miete zu zahlen und einen immer teurer werdenden Urlaub zu machen.

Eh nichts Besonderes, siehe oben. Für viele ist der Montag der schlimmste Tag der Woche. Da helfen mehr Urlaub und Freizeit auch nix. Was zu tun ist, ist die Arbeit als solche zu verbessern. Am besten so, dass die Leute, die sie machen, nicht mehr wie kleine Kinder behandelt werden in der Firma, sondern wie Erwachsene. Also viel öfter selber bestimmen und selber machen, was zu tun ist, weil sie es eh wissen. Arbeit, die furchtbar ist, gehört abgeschafft.

Gott sei Dank gibt es die Automatisierung, und Gott sei Dank gibt es auch Automatisierungserträge, die wir dafür verwenden können, dass immer weniger Leute schlechte, gesundheitsgefährdende und auch psychisch belastende Sachen machen müssen. Im 19. Jahrhundert war das Köhlern eine schlechte, ungesunde Arbeit, und die „Köhlerkinder“ waren die Ärmsten weit und breit, weil ihre Eltern mit ihrer Plackerei kaum etwas verdienten. Heute köhlern ein paar reiche Rechtsanwälte und Steuerberater in ihren Eichenwäldern herum, aus Passion, wie sie sagen würden, von mir aus, aber niemand muss mehr Holzkohle in riesigen, glühenden Haufen verfertigen, die von der Industrie gebraucht werden, um Dampfmaschinen zu betreiben.

Damals gab es noch keinen Urlaub. Die Vorstellung, dass Urlaub nur der Erhaltung der Arbeitskraft dient, war noch nicht so verbreitet. Aber die Frage, welche Arbeit wir machen, um dann so fertig zu sein, dass wir etwas ganz anderes brauchen, das wäre schon zeitgemäßer. Wir sollten heute einen Schritt weiter gehen. Es geht also nicht um die Erhaltung der Arbeitskraft, die wir verkaufen, es geht um uns. Um die Freude am Leben, an der Gesundheit, auch um die Freude an dem, was man tut und voranbringen kann, für sich und andere.

Dazu braucht es etwas: keine Angst vorm Montag haben. Das wäre ein Ziel, das viel wichtiger ist als alle Arbeitszeitverkürzungen der letzten

20 Jahre. Wir brauchen nicht mehr Freizeit, wir brauchen mehr Freiräume.

Schönen Urlaub wünsche ich!

Wolf  Lotter

Wolf Lotter

ist Autor und Journalist und schreibt einmal monatlich eine Kolumne für profil, wo er von 1993 bis 1998 Redakteur war.