Kolumne

Wenn Aberglaube die Welt erklärt: Alleskleber der Dämonen

Über esoterische Einpendelungen im epistemologischen Grabenkampf.

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Ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, in dem es schon in den 1980er-Jahren viele Bücher über UFOs und Chakren gab sowie metrische Tonnen an Heilsteinen, Astrologietabellen, Wünschelruten und Globuli. Als Kind mochte ich diese mystische Welt der Geheimnisse und des verborgenen Wissens sehr. Es war toll, Zugang zu diesen faszinierenden Dingen und ihren auratischen Behauptungen zu haben. Ein Hans-Joachim Ehlers von „Raum & Zeit“ konnte dich da genauso vom Bücherstapel aus anglotzen wie Charles „Bermuda-dreieck“ Berlitz.

Wollt ihr die totale Vielfalt? Aber immer! Her mit dem metaphysischen Alleskleber!

New-Age-Apologet:innen basteln sich ihre eigene Weltanschauung, ein Prozess, den der Eso-Autor Nevill Drury „eine Spiritualität ohne Grenzen oder einschränkende Dogmen“ nennt. Der Anthropologe David J. Hess verkündet, dass „jeder alternative spirituelle Weg gut ist, weil er alternativ und spirituell ist“. Es handelt sich um einen Supermarktglauben, denn er ist vom Eklektizismus der Produktvielfalt geprägt, der von den Ursprüngen des New Age im spätmodernen Kapitalismus herrührt. Seine Verfechter:innen vertreten den Glauben an einen freien Markt für spirituelle Ideen als Parallele zum freien Markt in der Wirtschaft.

Und doch beharren die Esos darauf, dass sie Agent:innen des Okkulten, des Geheimnisvollen, der Verborgenen sind, ständig von Schulmedizin und „der Elite“ attackiert werden, während sie ihre Weltsicht auf Amazon zusammenwarenkorben. Letzten Endes ist es eine gepflegte und privilegierte Ignoranz und allzu oft fahrlässige Ahistorizität.

Im Jahr 2009 startete die Wissenschafterin Charlotte Ward ihre Untersuchung der Verknüpfung von Verschwörungstheorien und der New-Age-Kultur im Internet. 2011 war sie Co-Autorin eines Artikels mit dem Titel „The Emergence of Conspirituality“. Zusammen mit ihrem Co-Autor David Voas stellte sie fest, dass in der Verschwörungskultur und in alternativen spirituellen Ansichten ein Fokus auf Mustern und Zusammenhängen liegt. Nichts ist, wie es auf den ersten Blick scheint, und nichts geschieht zufällig. So eine Denkweise macht das öffentliche und private Leben weniger zufällig und ist daher attraktiv. Ward und Voas prägten den Begriff „Verschwörungsspiritualität“ als „politisch-spirituelle Philosophie, die auf zwei zentralen Überzeugungen basiert“ – die eine in Verschwörungstheorien, die andere in New-Age-Glaubenssystemen verankert: 1. eine geheimnisvolle Gruppe, die heimlich die politische und soziale Ordnung kontrolliert oder dies zu tun versucht, und 2. die Menschheit, die einen „Paradigmenwechsel“ in ihrem Bewusstsein durchlebt. Anhänger sind der Ansicht, dass die wirksamste Methode, um der Bedrohung einer totalitären „Neuen Weltordnung“ entgegenzuwirken, darin besteht, im Einklang mit einer erleuchteten Weltanschauung zu handeln.

 

Ich erinnere mich, dass ich eines Tages, als ich 16 war, meine Erziehungsberechtigte bat, mit ihrer Wünschelrute und einem Stück Papier die ersten 30 Dezimalwerte von Pi zu bestimmen. Sie brauchte drei Stunden, und kein einziger Wert war richtig. Das fühlte sich wie ein großer Erfolg an, aber sie sagte mir nur, dass sie einen schlechten Tag hatte.

Bei meinen Altvorderen vollzog sich dieser Prozess also ganz typisch. All das Zeug, das sie kauften, all die Ideen, die sich vermischten, waren darauf ausgerichtet, das katholische Wertedogma zu überlagern und sich einen neuen Sinn zu basteln. Meine nerdige Teenager-Rebellion bestand darin, meine Eltern mit der wissenschaftlichen Methode zu konfrontieren. Ich erinnere mich, dass ich eines Tages, als ich 16 war, meine Erziehungsberechtigte bat, mit ihrer Wünschelrute und einem Stück Papier die ersten 30 Dezimalwerte von Pi zu bestimmen. Sie brauchte drei Stunden, und kein einziger Wert war richtig. Das fühlte sich wie ein großer Erfolg an, aber sie sagte mir nur, dass sie einen schlechten Tag hatte. Und bekam dann Schützenhilfe von einem anderen Verwandten, der fragte: „Wer sagt, dass die Mathebücher korrekt sind? Wer schreibt die? (rhetorische Pause) Eben!“ Trommelwirbel.

Aber wie damit umgehen, ohne in die Polarisierungsfalle zu laufen? Wie dem Wahrheitsmonopol begegnen, ohne Wahrheitsmonopolist zu sein? Wie konstruktiv bleiben und sich nicht in den Minderheitenstatus verdammen? Für mich ist das eine der brennendsten Fragen der (post)modernen Gesellschaft. Deshalb lasse ich in meinem Horrorfilm „Masking Threshold“ von 2021 einen aufgeklärten Nerd, der mit seinem Tinnitusleiden nicht zurechtkommt, in die Abgründe der Konspiritualität kippen – und das endet als alchemistische Blutsuppe.

Carl Sagan bemerkte schon 1995 besorgt, dass immer dann der Aberglaube nach der Kontrolle greift, wenn Vorurteile geweckt werden, wenn Ressourcen knapp werden und der Fanatismus sich regt. Dann erlischt die Kerzenflamme, und die Dämonen wachen auf. Vom ehemaligen US-Präsidenten bis zu den tobenden Meuten der (räusper) „Impfkritik“ verbreitet sich dieses Denkmuster durch die emotional aufgeladenen Verbreitungsketten des Internets. Wir stecken mitten in einem epistemologischen Glaubenskrieg. Da gilt es, antisemitische Eso-Fantasy-Rechte wie Jan Udo Holey abzuwehren, während die Lifestyle-Unternehmerin Gwyneth Paltrow und der kroatische „Heiler“ Braco die Flanken attackieren. Es ist nicht abzusehen, wie dieses Gemetzel ausgeht.

Johannes  Grenzfurthner

Johannes Grenzfurthner

Johannes Grenzfurthner ist Gründer des Kunst-Kollektivs monochrom und schreibt als Karenzvertretung von Ingrid Brodnig.