Franziska Tschinderle
Franziska Tschinderle

Werdet endlich erwachsen!

Ich bin fast genauso alt wie die COP-Klimakonferenz. Mein ganzes Leben lang wird schon verhandelt, und was ist das Ergebnis?

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„Wir tragen Verantwortung nicht nur für die heutige Generation, sondern genauso für zukünftige Generationen.“ Wer hat’s gesagt? 
Klingt nach Greta Thunberg, stammt aber aus einer Zeit, in der die schwedische Klimaaktivistin noch gar nicht geboren war. Im Frühjahr 1995 lud die deutsche Umweltministerin zur ersten UN-Klimakonferenz der Welt nach Berlin. Das Motto: Mensch, ändere dich. Der Name der Ministerin: Angela Merkel. 

Aus der damals weitgehend unbekannten Umweltministerin sollte in den folgenden zwei Jahrzehnten die mächtigste Frau der Welt werden. Auf ihren Appell hat trotzdem niemand gehört. Die Konferenz mit dem englischsprachigen Namen „Conference of the Parties“ (Cop1) war der Vorläufer des seitdem jährlich an wechselnden Orten stattfindenden UN-Weltklimagipfels. 

Ich wurde geboren, als 1994 die UN-Klimakonvention in Kraft trat. Als ein Jahr später die Cop1 in Berlin abgehalten wurde, war ich ein Kleinkind. 26 Jahre später bewegen sich die politischen Verantwortlichen noch immer mit Trippelschritten voran. Man muss froh sein, wenn es nicht zurück, sondern vorwärts geht. Die einzige gute Nachricht, die mir dazu einfällt: Deutlich mehr Menschen schauen ihnen heute dabei zu. 40.000 Menschen sind zur COP26 nach Glasgow gereist, doppelt so viele wie vor zwei Jahren. 

Mitte der 1990er-Jahre war das Cop-Kürzel weitgehend unbekannt. Praktisch, denn so fiel niemandem auf, dass es auf den ersten Konferenzen in Berlin und Genf keinerlei nennenswerte Fortschritte gab, weil sich die Kohle- und Erdöllobby querstellte. Auch in den Folgejahren stiegen die Treibhausgase munter weiter – und tun es bis heute. Vergangenes Jahr wurde, trotz Wirtschaftseinbruch durch die Covid-Pandemie, ein neuer Rekord an Treibhausgasen in der Atmosphäre gemessen. „Es ist an der Zeit zu sagen: Genug!“, appellierte unlängst UN-Generalsekretär António Guterres. Kann man solche Parolen nach 26 Jahren Warterei noch ernst nehmen?

Man muss, denn wenn fast alle Staaten der Welt verhandeln, dann ist jeder Kompromiss ein Gewinn. In der Abschlusserklärung verpflichten sich die Unterzeichner erstmals dazu, den Ausstieg aus der Kohle einzuleiten. In bisherigen Berichten kam das Wort „Kohle“ gar nicht vor. Das ist in etwa so, als würde ein Arzt dabei zusehen, wie sein Patient, ein Diabetiker, jahrelang Süßigkeiten isst. Und dann, nach 26 Jahren, empfiehlt er ihm – ganz langsam – eine Diät. Aber nicht sofort, sondern erst in ein paar Jahren. Der Patient wäre zu dem Zeitpunkt vermutlich tot. Ähnlich steht es um die Erde.

Ich weiß ja, dass es nicht so einfach ist, politische Entscheidungen auf globaler Ebene zu treffen. Aber so unverantwortlich langsam? 

Das ist so, als würde ein Arzt dabei zusehen, wie sein Patient, ein Diabetiker, jahrelang Süßigkeiten isst. Und dann, nach 26 Jahren, empfiehlt er ihm – ganz langsam – eine Diät.

Bereits 1979 warnten Wissenschafter vor einem Temperaturanstieg und legten Studien über den Treibhauseffekt vor. Die Erde sei wie ein Gewächshaus. Sonnenstrahlen gelangen durch die Atmosphäre und heizen sie auf. Ein Teil der Wärme wird zurück zur Erde reflektiert. Je mehr  in der Atmosphäre, desto mehr Wärme wird zurückgeworfen.

Das ist eigentlich das Wesentliche, das man wissen muss. Wenn ich dieses sehr unterkomplexe Beispiel als Kind verstanden habe, warum braucht es dann so lange, sich politisch damit abzufinden?

Vermutlich deswegen, weil die Rettung des Klimas ein demokratischer Prozess ist. Und so bleibt es seit Jahren bei verwässerten Appellen und Versprechungen. In Glasgow haben sich 105 Staaten dazu verpflichtet, mit der Abholzung von Wäldern aufzuhören. Auch Brasilien, die Demokratische Republik Kongo und Indonesien – die drei Länder mit den weltweit größten tropischen Waldflächen – waren dabei. Nur: Die Vereinbarung ist nicht rechtlich bindend und gilt erst ab 2030. „Was ist denn in neun Jahren vom Amazonas überhaupt noch übrig?“, fragte sich zuletzt der deutsche Journalist Bernd Ulrich. 

Müssen wir nach Glasgow also verzweifeln? Nein, denn die Öffentlichkeit hat sich verändert, seitdem Angela Merkel 1995 die erste Klimakonferenz in Berlin eröffnet hat. Die Generation, die sie damals aufrief, zu schützen, ist mittlerweile erwachsen geworden. Und sie hat keine Zeit zu verlieren. 

 

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.