Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Wunderbares Multikulti

Wunderbares Multikulti

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Seit Jahren wird Wien zur Stadt mit der weltweit höchsten Lebensqualität gekürt. Im Sommer wird deutlicher als zu anderen Jahreszeiten, womit sich die österreichische Metropole diesen Spitzenrang verdient. Da präsentiert sie sich in ihrer ganzen Pracht. Man erlebt moderne, lebendige Urbanität, beste Gastronomie, ein großes Angebot an Kultur. Und gerade wenn es so tropisch zugeht wie heuer, sind die vielen unterschiedlichsten Möglichkeiten, sich badend abzukühlen, ein nicht zu unterschätzendes Asset. Das klingt wie Tourismuswerbung – und ist doch wahr.

Noch etwas begeistert: Die Vielfalt an Sprachen, an Menschentypen, an Hautfarben, der man in den Wiener Straßen, der U-Bahn, den Schanigärten begegnet. Bei dieser Buntheit hat man geradezu das Gefühl, wirklich in einer Weltstadt zu leben. Ja, doch: „Multikulti“ ist Lebensqualität.
Multikulturalismus wurde in den vergangenen Jahren mehrfach zu Grabe getragen. Und die Aussage, die Ausländer würden der österreichischen Gesellschaft gut tun, wurde immer wieder als abgeschmacktes Gutmenschentum abgehobener Privilegierter denunziert, die nichts vom realen, harten Leben des einfachen Volkes wüssten.

Wenn man gegen Xenophobie ankämpfte, musste man, um ernst genommen zu werden, vorrechnen, dass ohne Migranten die Pensionen nicht mehr finanziert werden könnten, die Kranken und Alten ungepflegt blieben und die Gesellschaft vergreisen würde. Die Intelligenteren verstanden, dass – ob man das will oder nicht – ethnische Vielfalt nun mal die Realität der Großstädte des 21. Jahrhunderts darstellt und nationale Homogenität endgültig passé ist.

Die Erkenntnis aber, dass es – was die Österreicher ja wissen müssten – trotz aller mit der Migration einhergehenden Problemen auch schön und glückhaft ist, in so etwas wie einem Vielvölkerstaat zu leben, beginnt erst jetzt langsam an Boden zu gewinnen.

Ein Meinungsumschwung zeichnet sich ab. Die sogenannte Ausländerfrage hat sich jedenfalls entspannt. Noch immer glauben zwar – so liest man im jüngsten Integrationsbericht – 55 Prozent der Österreicher, dass die Integration schlecht funktioniert, vor zwei Jahren waren es aber noch 69 Prozent. Und die Einwanderer fühlen sich in Österreich erstmals mehrheitlich „völlig heimisch“. Besonders erfreulich: Neun von zehn jugendlichen Migranten der ersten oder zweiten Generation identifizieren sich mit dem Land, in dem sie leben.

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache wirkt dieser Tage seltsam matt, seine Ausländersprüche klingen wie ein eingefrorener Posthornton. Sebastian Kurz bietet als Staatssekretär für Integration ein erfreuliches Kontrastprogramm zum Gehabe der Maria Fekter, die einst als Innenministerin mit infamen Rehäuglein-Aussagen der FPÖ die Wähler abspenstig machen wollte. Und die sommerliche Abschiebung von acht Votivkirchen-Protestierern – kombiniert mit dem Versuch, das Vorgehen durch fadenscheinige Schlepperei-Vorwürfe zu rechtfertigen – dürfte ein kurzfristiger und letztlich gescheiterter Rückfall in den alten Hardliner-Kurs gewesen sein (siehe Leitartikel).

Wer hat vor wenigen Tagen Folgendes geschrieben: „Österreich ist heute eine multikulturelle Nation. Das Boot ist zwar nicht voll, aber gut gefüllt. Und dies bereichert dieses Land auch.“? Ein Grüner, ein Sozi, ein Vertreter der Caritas? Nein: Der Leitartikler der „Presse“, des Zentralorgans des österreichischen Konservativismus.

Offensichtlich gewöhnen sich die Österreicher langsam an die vielen „Zuagrasten“. Neue, junge Generationen, die viel herumkommen, Fremdsprachen sprechen und sich beim Verzehr von Kebab und Sushi so zu Hause fühlen wie bei Schnitzel und Burenwurst, sind viel lockerer gegenüber dem Fremden als ihre Eltern und Großeltern.

Inzwischen dürften auch die – dem Klischee nach – ewig raunzenden Österreicher zur Kenntnis nehmen, dass es ihnen vergleichbar blendend geht. So listet etwa vergangene Woche die Gratiszeitung „Heute“ ganz stolz auf, in welchem Bereich die Heimat besonders gut liegt: unter anderem bei der Arbeitslosenquote – niedrigster Wert in der EU; bei der Jugendlosigkeit – zweitniedrigster; beim Beschäftigungsstand – Rekord im Juni mit 4,4 Millionen. Und die Statistiken zeigen, dass Österreich auch an der EU-Spitze steht, wenn es um Einwanderung geht. Bereits jeder Fünfte hat bei uns einen sogenannten Migrationshintergrund, in Wien sind es sogar vier von zehn. Österreich ist das europäische Einwanderungsland schlechthin. So wird dem Dümmsten klar: Das Gerede von den Ausländern, die uns die Jobs wegnehmen, war und ist eine haltlose Angstmache.
Als profil vor zehn Jahren den Migrationsforscher Rainer Bauböck fragte, ob die tiefsitzende Abwehrhaltung der Österreicher gegenüber Einwanderung je überwunden werden könnte, zeigte er sich überzeugt: „Was einer Gesellschaft nützt, schlägt langfristig auch mentalitätsmäßig zu Buche.“ Gewiss, die Mentalitäten wandeln sich in Österreich sehr zäh. Sie verändern sich aber doch. Bauböck hat recht.

Wirklich skandalös ist aber, dass die heimische Politik und ihre Gesetze der sich ohnehin nur langsam fortbewegenden Gesellschaft so weit hinterherhinken.

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