Meinung

Wallfahrt zur Frauenverachtung

Der FPÖ-Politiker Andreas Mölzer unternahm eine Reise nach Afghanistan zu Taliban-„Außenminister“ Amir Khan Muttaqi. Die Wiener Autorin Marlene Streeruwitz erkennt darin ein Fundament von Femiziden.

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Wie nachlässig wir waren. Wie unpolitisch nachsichtig. Wie unpolitisch. Andreas Mölzer veröffentlichte 1991 seinen Roman „Der Graue“. Damals. Der Roman wurde abgetan. Die Kritik fällte das Urteil „Gewaltporno“ und machte sich harmlos lustig. Gewaltporno. Das stimmt. Harmlos ist das nicht. Frauenverachter genießen Frauenverachtendes. Der Roman bietet solchen Genuss. Und in der Logik solcher Frauenverachtung ist die Reise zu den islamistischen Kämpfern der Taliban als selbstverständlich anzusehen. „Einige verhüllte Frauengestalten bedienten die ruhenden Männer, reichten ihnen die Speisen, füllten die Becher.“ So steht es im Roman, und so wird es nun auf dieser Reise gewesen sein.

„Straßengespräche mit Bürgern aller Art“, das war das Reiseziel. Wer aber sind „Bürger aller Art“? So hätte sich ein Verschönerungsverein aus dem Jahr 1876 ausgedrückt. Auch damals hätten die Vereinsmitglieder nur mit Männern reden wollen. Heute in Afghanistan. Die Frauen dürfen ohnehin nur in Begleitung eines männlichen Verwandten auf die Straße, und das in die Burka versteckt. Herr Mölzer konnte also mit männlichen Verwandten aller Art auf der Straße Gespräche führen.

Frauenverachter genießen Frauenverachtendes. Und das ist ein Vorgang des Politischen.

Was in den 1990er-Jahren an Kritik daran versäumt wurde, zeigt sich nun offen. Frauenverachtung ist die Grundlage, sich über alle Argumente gegen eine solche Reise und die damit verbundene Anerkennung hinwegzusetzen. Frauenverachtung ist eine politische Bewegungsform und grundiert alles Antidemokratische. Und sie wäre zu studieren gewesen. Auch an dem Roman. Exemplarisch an diesem Roman. Da war sie vorgelegt, die Frauenverachtung, die so ein großes Problem geworden ist, wenn die Femizide nicht gestoppt werden können.

Männer, so heißt es in der Femizidforschung, Männer verzweifelten an ihrer Situation in der Welt und könnten sich dann nur noch durch Gewalt ausdrücken. Solche Gewalt ist also eine Sprache. 17 ermordete Frauen werden darin ausgedrückt. Heuer. 35 Mordversuche. Frauenverachtung ist eine voraufklärerische Sprache. Und das hätte der Roman „Der Graue“ sehr gut nachgewiesen. In vormoderner allwissender Erzählweise führt der Autor durch eine Dystopie nach einem Atomschlag. Die Figuren des Romans werden durch Rasse und Geschlecht bestimmt. Die Handlung folgt Motiven mittelalterlicher Heldenepen. Die vielen Vergewaltigungsszenen werden aus der Situation des „Grauen“ begründet, dem solches zusteht. Er ist ja auf der Suche nach dem Gral. Nach einem Gral. Ganz sicher ist er selber nicht.

Heute sitzt der Autor in Afghanistan und erlebt eine Nachstellung seiner literarischen Fantasien. Frauenverachter genießen Frauenverachtendes. Selbst käme er mit Kritik an der Politik den Frauen gegenüber zurück. Er hat dieser Politik Nachdruck verschafft. Er hat dieser Politik Normalisierung verschafft. Er hat die Frauen einmal mehr aus dem Kosmos des Öffentlichen ausgeschlossen in der Selbstverständlichkeit, mit der er ferngehalten wird. Sein literarischer Entwurf. „War dies nicht das Leben, von dem er geträumt hatte? Eine schöne Frau zu besitzen und Herrscher zu sein über Menschen – war das nicht das, was er sich vorgestellt hatte?“ Er ist zu Besuch in seinem literarischen Entwurf männlicher Dominanz. „Nun sprang er wie von Dämonen gehetzt auf, riss sich den gelben Umhang, die Hosen vom Leib und stürzte sich auf das Mädchen. Mit rasenden Stößen drang er in sie ein, wühlte mit glühenden Händen …“

Ich kann mich erinnern, wie dieser Text, wie solche Texte mit Lächeln abgetan wurden. Das würde doch niemanden interessieren, hieß es. An dieser Reaktion wird sich nicht viel geändert haben. Frauenverachtung wird mit Achselzucken abgetan. Weiterhin. Und damit bleibt sie Grundlage des Politischen. Damit bleibt es beim Antidemokratischen unserer Kultur. Es wird dringend notwendig sein, die Wahlprogramme der Parteien bei den nächsten Wahlen auf solch Antidemokratisches hin sehr genau zu untersuchen. Die Regierungserklärung Türkis-Blau enthielt ja schon Hinweise auf eine Rückkehr zu Voraufklärerischem in der Geschlechterpolitik. Die Reise des Autors Andreas Mölzer zur Besichtigung der Frauenunterdrückung durch die Talibankämpfer muss uns zu denken geben. Frauenverachter genießen Frauenverachtendes. Die richten ihre Politik danach ein. Welche Fantasien dahinterstecken. Das ist nachzulesen. Literatur gibt immer Auskunft über die Intentionen derer, die schreiben.

Die Schriftstellerin und Dramatikerin Marlene Streeruwitz, 73, zählt zu den wichtigen Stimmen der deutsch- sprachigen Gegenwartsliteratur. Zuletzt erschien ihr Roman „Tage im Mai.“ (S. Fischer)

Marlene Streeruwitz

Marlene Streeruwitz