Franziska Tschinderle
Franziska Tschinderle

Wollen die Republikaner noch Demokraten sein?

Ein Jahr nach dem Sturm auf das Kapitol halten die Republikaner noch immer an dem Mann fest, der ihn zu verantworten hat.

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Kein Tag hat die USA tiefer gespalten als der 6. Jänner 2021. Vor einem Jahr stürmte ein Mob das Kapitol in Washington. Gewaltbereite Trump-Anhänger  filmten, wie sie Barrikaden einrannten, Scheiben einschlugen und Polizisten mit Fahnenstangen und Baseballschlägern attackierten. Noch nie in der Geschichte wurde ein Gewaltverbrechen so akribisch im Internet dokumentiert.

Den Ermittlern liegen 15.000 Stunden Filmmaterial vor. In einem Video ist zu hören, wie jemand in Richtung eines Polizisten ruft: „Tötet ihn mit seiner Waffe!“, und dieser fleht: „Bitte, ich habe Kinder!“ Am Ende waren fünf Menschen tot. Mehrere Polizisten nahmen sich in weiterer Folge das Leben, 140 weitere Sicherheitsbeamte wurden verletzt. 

Wie konnte es so weit kommen? 

Die Antwort ist bekannt. Weil Tausende blind einem gekränkten Verlierer gefolgt sind. „Mit Schwäche werden wir unser Land nie zurückgewinnen. Ihr müsst Stärke beweisen!“, hatte Donald Trump ihnen in seiner Rede am selben Tag zugerufen. Und: „Wir kämpfen bis zum Äußersten. Wenn ihr das nicht tut, werdet ihr euer Land verlieren.“ Die Menge – darunter auch ultrarechte Milizen wie die „Proud Boys“ – machte sich auf den Weg, überzeugt von Trumps Lüge, wonach ihnen die Wahl „gestohlen“ worden war.

Der scheidende Präsident wollte trotz Niederlage nicht von der Macht loslassen, ein Verhalten, das man von Despoten und Diktatoren kennt. Wie oft haben die USA stolz verkündet, „ihre“ Demokratie in solche „failed states“ zu exportieren? Wie oft haben sie im Namen der „freien Welt“ autoritäre Herrscher gestürzt? Jetzt hatte einer ihrer eigenen Präsidenten diesen Ruf endgültig verspielt. 

Das Schlimmste aber ist: Die Republikaner schauen tatenlos dabei zu, getrieben von der Hoffnung, dass Trump 2024 noch einmal zur Wahl antreten und gewinnen könnte. Nur zehn der 211 Republikaner im Abgeordnetenhaus stimmten dafür, Trump seines Amtes zu entheben. Heute sind die Kritiker in der Minderheit. Liz Cheney, die Bekannteste, wurde ihres Amtes in der Fraktionsführung enthoben, weil sie den Personenkult um Trump hinterfragte. 

Diesen Donnerstag war sie neben ihrem Vater Dick Cheney die einzige Republikanerin, die an einer Schweigeminute teilnahm. Bereits vor Monaten hat Cheneys Partei bewiesen, dass sie kein Interesse an einer Aufklärung hat, indem sie die Einrichtung einer unabhängigen Untersuchungskommission torpedierte. Wie demokratisch ist diese Partei eigentlich noch?

Umfragen zeichnen ein düsteres Bild. 70 Prozent der republikanischen Wähler glauben der Lüge von der „gestohlenen Wahl“, obwohl es dafür keine Beweise gibt. 40 Prozent finden, dass Gewalt gegen die Regierung gerechtfertigt ist. Trump hat die Basis radikalisiert – und mit ihr die ganze Partei. Die Verlockung, wieder an die Macht zu kommen, scheint größer zu sein als der Respekt gegenüber der Verfassung. 

Der 6. Jänner hat bleibende Schäden angerichtet.

Die Republikaner seien „nur noch ein Abklatsch jener Partei, die unter Ronald Reagan und Bush groß und stark war“, kommentierte unlängst die „Süddeutsche Zeitung“. Und der Economist druckte ein Cover, das einen Elefanten zeigt, das Symbol der Republikaner, der sich von einem Parlamentsgebäude entfernt und dabei die Säulen zum Einsturz bringt. Das Bild könnte treffender nicht sein.
Selbst republikanische Abgeordnete, die am 6. Jänner mit Gasmasken am Boden kauerten, spielen die Ereignisse ein Jahr später herunter. Der Abgeordnete Andrew Clyde verglich die Aufständischen mit einer „Touristengruppe“. Marjorie Taylor Greene, Abgeordnete aus Georgia, nannte den Mob „Patrioten“. 

Der 6. Jänner hat bleibende Schäden angerichtet. Manche sehen ihn bereits als Vorboten für noch schlimmere Gewalt rund um die Wahl 2024. Mit Sicherheit ist er ein Mahnbeispiel. 

An jenem Tag kulminierte alles, das Rechtspopulisten stark und Demokratien schwach macht. Verschwörungstheorien und Desinformationskampagnen. Die Überlegenheitsgefühle weißer, rassistischer Männer, ein Erbe der Sklaverei in den USA. Das jahrelang von Trump gesäte Misstrauen gegenüber der „Lügenpresse“. Jene, die am Sturm auf das Kapitol teilgenommen haben, wollten ein demokratisches Wahlergebnis mit Gewalt umkehren, ganz nach dem Motto: Der Stärkere gewinnt! 

Lösen sich die Republikaner nicht von diesem mittelalterlichen Machtverständnis, dann hat ihre alte Partei aufgehört zu existieren. 

 

 

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.