FPÖ-Chef Herbert Kickl
Morgenpost

Babylon Welt

Krisengewinnler Kickl und was sonst noch so aus dem Ruder läuft.

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Vor einigen Jährchen besuchte ich einmal Wolfgang Ambros auf einer Art Kuraufenthalt und er beendete unser Interview mit dem denkwürdigen Satz: „I sag‘ da ans, nirgendwo sonst geht’s dermaßen zuar wie auf dera Welt.”

Dieser Satz flitzt mir oft durch die Gedanken, auch bei der Lektüre unserer neuen Ausgabe. Tatsächlich ist es dann doch ein Schock, wenn die ohnehin grassierende  Befürchtung zunehmend eine Überdosis Realität verabreicht bekommt: Im Rahmen der großen profil-Meinungsforschung zur Sonntagsfrage „Welche Partei würden Sie wählen, wenn kommenden Sonntag Nationalratswahlen wären?” geht die FPÖ mit 29 Prozent als klarer Sieger hervor; ÖVP und SPÖ liegen mit 23 Prozent gleich auf. „Der blaue Gottseibeiuns” kommentiert Peter Hajek von Unique Research Kickls Triumph und das Ergebnis, „und bleibt es beim Status quo, geht ohne den FPÖ-Regierungschef nicht viel am politischen Parkett.” Eine drohende Aussicht, die sich auch in der Kanzlerfrage („Für wen würden Sie stimmen, wenn Sie den Kanzler direkt wählen könnten?”) abzeichnet. Da liegt Herbert Kickl mit dem amtierenden Kanzler Karl Nehammer mit 19 Prozent gleich auf, Pamela Rendi-Wagner bekommt den Dauerzoff-Malus innerhalb der SPÖ mit einer 13 Prozent Schlappe serviert, Vizekanzler Werner Kogler den grünen Daumen nach unten mit 6 Prozent. Und wie so oft und besonders nach den Wahlergebnissen in Niederösterreich und Salzburg  stellt sich die Frage: Wieviel Österreich kann dieses Land eigentlich noch vertragen? Eva Linsinger, Innenpolitik-Chefin und stellvertretende Chefredakteurin, bilanziert die für die Machthaber desaströse Umfrage: „Derart im Keller war das Vertrauen in eine Regierung noch nie. Die beiden Regierungsparteien kommen gemeinsam auf kümmerliche 33 Prozent und sind damit meilenweit von einer Regierungsmehrheit entfernt.”

Nicht nur die SPÖ bedürfte einer dringenden Familienaufstellung, auch das Klima innerhalb der Regierungskoalition ist von rauen Winden geprägt. Eine Zerreissprobe droht, wie das Autorentrio der dieswöchigen Cover-Geschichte „Was ist jetzt euer Plan?” Christina Hiptmayr, profil-Chefredakteurin Anna Thalhammer und Gernot Bauer offen legt. profil vorliegende vertrauliche Papiere decken auf, dass im Umweltministerium radikale Maßnahmen angedacht sind, wie man die in weiter Ferne liegenden Klimaziele der EU (Österreich ist da vergleichsweise noch immer ein echte Problemrepublik) mit höherer Beschleunigung erreichen könnte: Doch das ideologische Tauziehen zwischen „der Ökoministerin” Gewessler und dem „Kfz-Kanzler” Nehammer droht zu eskalieren, denn Verbrennungsmotor-Karl (Nehammer) besteht noch immer auf dem Anachronismus: „Österreich ist ein Autoland.”

Einen unerschütterlichen Fan besitzt Karl Nehammer im einst mächtigsten Journalisten Deutschlands. Was natürlich auch geschäftliche Hintergründe hat. Denn Kai Diekmann, 16 Jahre lang an der Spitze des BILD-Imperiums, beriet u.a. mit seiner Firma StoryMachine auch die ÖVP, die ihr „Narrativ”, wie das so schön heißt, nach Sebastian Kurzs Abgang („Ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr, ich halte das alles nicht mehr aus!”) dringend ändern musste. Im Interview mit mir mit dem Titel „Ich war in Putins Badehose” spricht Diekmann, dessen Buch „Ich war BILD” dieser Tage erschien, auch von einem Badeausflug mit Putin. Das vorangegangene Gespräch fand knapp nach den Anschlägen auf die Twin-Towers 2001 in Sotschi statt, wo Putins Monster-Datscha steht. Beim Umkleiden in der Badehütte – in von Putins Crew bereit gelegten „Eierkneifer”-Badehosen – sah Diekmann, damals aus Solidarität mit seiner Frau „auch ein bisschen schwanger”, den splitternackten Putin, und ist noch heute beeindruckt: „An diesem Mann ist kein Gramm Fett, Putin ist unfassbar durchtrainiert.”

Ob Putin, der auch aus Kalkül sehr gerne ganz leise spricht, noch immer in solcher Top-Form ist, konnte und wollte Diekmann, der Karl Nehammer auch auf seiner Reise nach Kiew und Moskau im April 2022 beriet und begleitete, nicht überprüfen. Da bekam er weder Putin, noch seinen Pressesprecher, den er seit vielen Jahren kennt, zu Gesicht: „Eine unserer Bedingungen war: keine Fotos. Denn keiner wusste ja, wie propagandistisch Putin dieses Treffen ausschlachten wollen würde. Wir bestanden auf einen separaten Raum. Dann war die Frage: Wie vermeiden wir den Händedruck? Ganz einfach: Wir haben den russischen PCR-Test verweigert, damit war ganz klar, dass uns ohnehin keiner die Hand geben wird. Ich kenne Putins Pressesprecher Dmitri Peskow seit Jahren und ohne solche Vorkehrungen wäre ein dem Ernst der Lage unangemessener Smalltalk unvermeidbar gewesen.”

In die Politik zu gehen, plant Diekmann übrigens nicht: „Das ist ein Job, bei dem man für ein relativ überschaubares Gehalt unglaublichen Zumutungen ausgesetzt ist, wie die aus dem Ruder geratene Berichterstattung über Karl Nehammers Familienleben wieder einmal gezeigt hat.”

Über seinen ehemaligen Chef, den Vorstandsvorsitzenden des Springer-Verlags Mathias Döpfner, der durch geleakte Aussagen über Minderheiten und anderes „Gesochs” (sic) jüngst in die Schlagzeilen kam, merkt er nur kurz an: „We agreed to disagree.” Nicht wirklich glaubt man Diekmann, dass er den BILD- Enthüllungsroman von Benjamin von Stuckrad-Barre „Noch wach?”  nur „überflogen habe”. Er sei an dieser Stelle zur Lektüre  empfohlen, weil das brilliante Buch wieder einmal den Anton-Kuh-Aphorismus bestätigt: „Die Welt ist wirklich so, wie sie sich der kleine Moritz vorstellt.”

Prickelnde Lektüre wünscht

Angelika Hager

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort