Der Sprecher des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, wurde von seinen eigenen Parteikollegen aus dem Amt befördert.
Morgenpost

Chaostage in Washington, Harmoniegasse in Wien

Zwei Fragen zum Tag (und kein Zusammenhang): Wer profitiert eigentlich von den Chaostagen in Washington? Und warum lässt die Stadt Wien ein Haus in bester Lage verfallen?

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Der Sprecher des US-Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, wurde also seines Amtes enthoben – ohne Not und auf Betreiben seiner eigenen Parteifreunde. Einem entsprechenden Antrag des republikanischen Abgeordneten aus Florida, Matt Gaetz, stimmten am Dienstag 216 Abgeordnete zu, darunter auch acht Mitglieder seiner eigenen Fraktion. Seither hat Kevin McCarthy keinen Auftrag, die Parlamentskammer keinen Sprecher mehr. Sie ist damit de facto seit Dienstagabend arbeitsunfähig. Chaostage in Washington.

So etwas hat es in der Geschichte noch nicht gegeben, und man würde sich das Spektakel ja gern mit mitleidigem Gruseln und gelassener Unbeteiligtheit ansehen. Leider ist diese Nachricht aber auch aus der vermeintlich sicheren Entfernung überhaupt nicht lustig. Denn wenn in den USA das Chaos regiert, müssen auch in Europa und in Österreich die Alarmglocken geläutet werden. Warum?

Unruhe in Washington: globale Stabilität in Gefahr

In den USA bricht gerade eine zweite McCarthy-Ära an. Was in den ersten Jahren des Kalten Kriegs der Überbegriff für eine – von dem damaligen Senator Joseph McCarthy vorangetriebene – paranoide Anti-Kommunisten-Kampagne war, beschreibt heute die offene Auflösung der Republikanischen Partei. Diese einst durchaus staatstragende Gruppierung ist im Fahrwasser ihres Altpräsidenten Donald Trump zu einem brüchigen Bund aus verfeindeten Fraktionen geworden, von denen sich einige am Rand des Irrlichterns befinden und ein paar auch schon einen Schritt weiter sind.  

Damit gerät die globale Stabilität immer weiter in Gefahr. Den Parteirebellen um Matt Gaetz, die Herrn McCarthy zunächst monatelang quälten und schließlich kalt absägten, ist der Gedanke von rationalem Regieren so fremd wie die Vorstellung von politischen Kompromissen oder vernunftorientierten Verhandlungen. Stattdessen stiften sie Verwirrung und Unsicherheit und besorgen damit das Geschäft von Chaosgewinnlern wie Wladimir Putin. Die europäischen Rechtsaußen-Fraktionen versuchen Ähnliches, noch nicht mit vergleichbarem Erfolg, aber doch mit großer Ambition und ebenfalls in gutem Einvernehmen mit den Zielen Moskaus. Unsere Freiheit wird auch in Washington entschieden.

Leerstand in Wien: beste Lage, politische Frage

Die Entscheidung der Stadt Wien, das Haus Harmoniegasse 10 im neunten Bezirk, einen Gründerzeitbau beim Palais Clam-Gallas, also in bester Innenstadtrandlage, weitgehend unbewohnt und zunehmend sanierungsbedürftig vor sich hin wesen zu lassen, ist dagegen nicht auf Chaos gegründet, sondern hat wohl in erster Linie budgetäre Gründe. Zweitens ist das aber auch eine politische Frage, wie meine Kollegin Eva Sager auf profil online berichtet:

„Nur drei der insgesamt 16 Wohnungen sind bewohnt, der Rest mit großen, goldenen Schlössern von außen abgesperrt. Das Haus ist „sanierungsbedürftig“ – so nennt es zumindest die Magistratsabteilung 40 auf profil-Nachfrage. Und genau an diesem Punkt wird es ein wenig kompliziert. Denn eigentlich befindet sich das Gebäude im Eigentum der Dr. Eduard Kaufmann'schen Armenstiftung, gegründet 1907, damals noch via Bescheid der kaiserlich-königlichen Niederösterreichischen Statthalterei. Der Zweck: „Fürsorge für hilfsbedürftige Familien, die an oder unter der Armutsgefährdungsgrenze leben und von Obdach- oder Wohnungslosigkeit bedroht sind.“ Mehr als hundert Jahre später ist nun die Stadt Wien für die Vertretung der Stiftung verantwortlich, genauer gesagt Personen der Magistratsabteilung 40.“

Dass ein solcher Leerstand in Zeiten eskalierender Wohnkosten keine besonders vernünftige Sache und auch für die sozialdemokratische Stadtregierung kein Ruhmesblatt ist, leuchtet ein. Immerhin: „Derzeit wird die bestmögliche Verwertung der Liegenschaft der Stiftung im Sinne der sozialen Nachhaltigkeit eruiert, um den Stiftungszweck zu erfüllen”, erklärt die MA 40 auf profil-Anfrage. Einen Zeitrahmen konnte man dafür leider nicht angeben.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.