Morgenpost

Das Skispringen, der Gold-Adler und die mangelnde Gerechtigkeit

Dass der Wind das Skispringen zur Glückssache macht, gehört zum Sport dazu. Eine handfeste Ungerechtigkeit ist allerdings, dass es für die Frauen noch immer keine Vierschanzentournee gibt.

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Wer am gestrigen Nachmittag den Skisprungbewerb am Innsbrucker Bergisel verfolgt hat, wird eines ganz sicher mitbekommen haben: Es ist so eine Sache mit dem Wind. Denn er drehte, kam einmal von vorn (das ist gut für die Springer), dann wieder von hinten (das ist schlecht), und wehte noch dazu ganz unterschiedlich kräftig. Gerade als sich Österreichs Ass Stefan Kraft im ersten Durchgang daran machen wollte, seine Resthoffnung auf den Gesamtsieg der Vierschanzentournee etwas zu vergrößern, da wurde aus dem Auf-, auf einmal Rückenwind. Das ORF-Kommentatorenduo, Michael Roscher und Ex-Springer Martin Koch, schimpften, Kraft hüpfte nicht so weit, wie man es von ihm gewohnt ist. Die Chancen auf einen österreichischen Tournee-Gesamtsieg mit einem goldenen Adler und 100.000 Siegprämie belohnt waren dahin. Seit 2015 muss das einst so erfolgsverwöhnte Team des Österreichischen Skiverbandes (ÖSV) schon warten.

Der Wind macht aus vielen Skisprungbewerben, wenn schon keine Lotterie, dann zumindest ein Pokerspiel: Man kann gut sein, aber es braucht auch das nötige Quäntchen Glück. Gerade bei der Tournee, die sich in nur vier Springen entscheidet, kann eine einzige Böe entscheidend sein. Zwar haben die Verantwortlichen in den letzten Jahren viel getan, um den Umwelteinfluss zu minimieren. Schon 2008 installierte man in Innsbruck Netze entlang der Schanze, um den Wind abzuleiten. Seit 2010 wird Windrichtung und -stärke während des Sprungs in die Bewertung eingerechnet. Doch ganz fair kann der Sport, solang er unter freiem Himmel stattfindet, nie sein.

Dank an die Deutschen

Doch während sich an dieser Unwägbarkeit wenig ändern lässt, ist eine zweite Ungerechtigkeit des Skisprungsports selbst gemacht: Während in diesem Jahr die 72. Vierschanzentournee der Männer über die Bühne geht, gibt es diesen Bewerb für die Frauen noch immer nicht. Seit 2011 tragen die Springerinnen einen Weltcup aus, 2014 debütierten sie bei den Olympischen Spielen und im Vorjahr maßen sich die Frauen erstmals auf einer Skiflugschanze – mit Weiten jenseits der 200 Meter.

Bei der Tournee allerdings wird aus der gescheiterten Gleichstellung allmählich eine erbärmliche Farce. Schon im Jänner 2020 hieß es, eine Premiere des Formats für Frauen stünde kurz bevor. Im April 2022 vermeldeten österreichische Medien: "Die Frauen-Tournee kommt 2023/24". Doch daraus wurde nichts: Die Veranstalter, der ÖSV, sein deutsches Pendant, der DSV, und der internationale Skiverband FIS geben sich gegenseitig die Schuld. Erst im November erklärte ÖSV-Sportdirektor Mario Stecher, dass es 2026 so weit sein könnte.

Immerhin: Der DSV organisierte in dieser Saison erstmals eine "Two Nights Tour", an den ersten beiden Stationen der Vierschanzentournee, Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen, fanden auch Frauen-Springen statt. "Danke an die Deutschen, ausnahmsweise. Das tut fast schon ein bisschen weh, aber man muss es so sagen. Danke, dass sie das machen, aus globaler Sicht für das Frauen-Skispringen gesehen", sagte Österreichs Aushängeschild, Eva Pinkelnig, schon zu Beginn der Saison.  Doch gestern ging es für die Frauen eben nicht in Innsbruck weiter, sondern auf der kleinen Schanze in Villach. Pinkelnig wurde hinter der überragenden Slowenin Nika Prevc Zweite. Der Wind spielte eine untergeordnete Rolle.

Nicht alles ist gehüpft wie gehatscht!

Moritz Ablinger

Moritz Ablinger

war bis April 2024 Redakteur im Österreich-Ressort. Schreibt gerne über Abgründe, spielt gerne Schach und schaut gerne Fußball. Davor beim ballesterer.