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Geschlossene Gaststube: Die verschwundenen Arbeitskräfte „chillaxen“

Arbeitskräfte werden derzeit überall gesucht. Wollen die Österreicher nicht mehr arbeiten? Was hat sich verändert?

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Ein Bekannter von mir bewirtschaftet eine Almhütte in Tirol. Im Winter kommt man dort mit dem Skilift hin, im Sommer muss man mit dem Auto eine unbefestigte Bergstraße hochfahren. Händeringend sucht er nach Kellnern für seine Alm. Die Arbeit ist körperlich anstrengend, sie bietet keine Homeoffice-Option und auch die Bergfreizeit ist inklusive (sprich: monatelange Einsamkeit in der Natur). Für diesen Job, beziehungsweise für Jobs in der Gastronomie im Allgemeinen, begeistern sich derzeit nicht genügend Leute. Franz Schellhorn meinte kürzlich, dass viele Beschäftigte aus dem Lockdown nicht mehr vollständig zurückgekehrt seien. Stattdessen würden sie einfach weniger Stunden arbeiten – und so zum Arbeitskräftemangel beitragen. Tatsächlich hat in den letzten Jahren ein Umdenken stattgefunden.

In der Pandemie hatten viele Menschen auf der ganzen Welt Zeit zum Nachdenken – zum Beispiel über ihre Arbeitssituation. Vor allem in den USA wurde deswegen über eine „Great Resignation“ diskutiert, eine Art Massenexodus aus dem Arbeitsleben. In einem Forum der Social-Media-Plattform Reddit mit dem Namen „Antiwork“ beschlossen Millionen von frustrierten Arbeitnehmern gemeinsam, dass sie früher oder später gar nicht mehr arbeiten würden. Das Motto des Forums: Arbeitslosigkeit für alle, nicht nur für Reiche. Anhänger der FIRE-Bewegung (Financial Independence, Retire Early) versuchen, während eines möglichst kurzen Erwerbslebens so viel zu sparen, dass sie sich bereits im mittleren Alter zur Ruhe setzen können.

Weil es so viele Ideen und Herangehensweisen an das Thema gibt, wurde aus der „Great Resignation“-Diskussion mittlerweile ein „Great Reshuffel“ – also eine große Umstrukturierung der Arbeitswelt. Auch Europa bleibt von diesem neuen Zeitgeist nicht unberührt – und sogar im kommunistischen China ärgert die sogenannte Lying-Flat-Bewegung (Tang ping) die Zentralregierung: Junge Chinesen legen ihre Karriereziele beiseite und entsagen dem Materialismus – stattdessen wollen sie sich mehr um sich selbst und ihr psychisches Wohlergehen kümmern.

Die Stimmungslage: Lasst uns in Ruhe

Auch hierzulande macht sich eine Unzufriedenheit mit der Arbeitswelt und eine verstärkte Sinnsuche breit. Eine heuer durchgeführte SORA-Umfrage zeigt: Die Zufriedenheit der Arbeitnehmer ist trotz einer historisch niedrigen Arbeitslosenquote auf einem Tiefstand. Laut AMS-Chef Johannes Kopf gebe es wegen der vielen offenen Stellen derzeit „einen Kampf unter den Branchen um Arbeitskräfte“. Besonders Hilfsarbeitskräfte würden momentan schnell in andere Branchen wechseln. Kopf empfiehlt Unternehmen auf Mitarbeitersuche deswegen, attraktiver zu werden. Aber was bedeutet attraktiv angesichts des „Great Reshuffels“?

Schellhorn meint in seinem Kommentar, die Jungen hätten eine zu laxe Arbeitsmentalität. Sie seien „nicht so sehr jene Mitarbeiter, die jede Überstunde dankend annehmen, um sich das neueste iPhone oder das erste Auto leisten zu können. Sondern eher jene, die auf das „Chillaxen“ nicht ganz vergessen. Das neueste iPhone haben sie nämlich schon.“ In der Tat sind junge Menschen nicht mehr zu allem bereit, was noch vor ein paar Jahrzehnten Usus war. Laut einer Studie des Beratungsunternehmens Deloitte, für die junge Menschen in 46 Ländern befragt wurden, wünschen sich junge Arbeitnehmer eine gute Work-Life-Balance und Möglichkeiten zur persönlichen Weiterentwicklung. Auch das Thema psychische Gesundheit am Arbeitsplatz ist den Jungen wichtig. Vielleicht haben sie auch einfach erkannt, dass es neben einer sinnstiftenden Arbeit auch andere Faktoren gibt, die zur langfristigen Lebenszufriedenheit beitragen.

Selbstverständlich – Leute, die es sich tatsächlich leisten können, weniger zu arbeiten sind eine privilegierte Gruppe. Die Menschen, die die Teuerung und Inflation am härtesten trifft, haben meistens gar keine Wahl als weiter im Hamsterrad mitzulaufen. Auch die von Deloitte befragten jungen Menschen haben große finanzielle Sorgen. Während es bei der Elterngeneration wirtschaftlich meistens bergauf ging, stagnieren die Reallöhne seit 2008. Ein großer Traum vieler Österreicher ist damit in weite Ferne gerückt: Das Eigenheim. Denn die Immobilienpreise steigen dennoch immer weiter – während für das Jahr 2022 abermals ein Negativrekord bei den Reallöhnen erwartet wird. Es ist daher mehr als nachvollziehbar, dass viele junge Menschen wegen der Bezahlung in den letzten zwei Jahren den Job gewechselt haben.

In den letzten Jahren scheint es so, als ob viele junge Menschen sich eine Lebensphilosophie basteln, die irgendwo zwischen Nihilismus und Hedonismus liegt: Mal wird in YOLO-Manier alles in eine dubiose Kryptowährung gesteckt und auf den schnellen Reichtum gehofft, dann alles wieder hingeschmissen – weil das Ganze ja doch irgendwie illusorisch ist. Wir wissen ja nicht einmal, ob wir noch eine Pension bekommen werden.

Aber wer soll uns müden Wanderern dann auf der Almhütte eigentlich die Bretteljause und das Spezi servieren? Findige Gastronomen meinen: Wenn sie nicht genügend menschliche Arbeitskräfte finden, setzen sie eben auf Digitalisierung. Die ersten neuen Service-Mitarbeiter sind bereits im Einsatz – und mit etwas Glück werden auch Sie demnächst vielleicht anstelle einer Kellnerin im Dirndl von einem Roboter mit lächelndem Katzengesicht bedient.

Einen guten Morgen wünscht Ihnen,

Jana Unterrainer