Waffen in Österreich

Die politische Dimension der Frage „Warum?“

Die Zahl der Waffenbesitzer in Österreich steigt dramatisch. Im selben Ausmaß, wie das Vertrauen in staatliche Institutionen sinkt?

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Ein junger Mann hat in einer Grazer Schule zehn Menschen und danach sich selbst getötet. Ein junger Mann hat beschlossen, Kindern das Leben zu nehmen. Die Tat ist so entsetzlich, der Schmerz der Angehörigen so unsagbar groß, dass schon die Frage „warum?“ in diesem Zusammenhang grotesk erscheint. Und dennoch ist das die Frage, die wir uns stellen müssen. 

Für die Trauernden ist das „warum?“ die Frage nach einem Sinn in dieser Sinnlosigkeit. Eine Frage, die sie ihr Leben lang begleiten wird und auf die sie nie eine tröstliche Antwort bekommen werden.

Für die Polizei ist das „warum?“ die Frage nach einem Motiv, das wahrscheinlich in keinem Gerichtsverfahren jemals eine Rolle spielen wird. 

Als Gesellschaft und als Öffentlichkeit werden wir die politische Dimension dieser Frage diskutieren müssen. Die Zahl der im Zentralen Waffenregister gemeldeten Waffen ist von 896.472 im Jahr 2015 innerhalb von zehn Jahren auf zuletzt 1.518.873 gestiegen. Die Zahl der Waffenbesitzer im selben Zeitraum von 254.489 auf 374.141. Das ist – zumindest in meinen Augen – eine dramatische Veränderung. 

Es ist vermutlich kein Zufall, dass wir im selben Zeitraum erlebt haben, wie der Staat – und das betrifft nicht allein Österreich – extrem an Gravitationskraft verloren hat. Wir haben islamistischen Terror erlebt, der sich gegen die aufgeklärte Gesellschaft als Ganzes richtet. Wir haben Attentäter erlebt, die sich innerhalb von wenigen Wochen auf unkontrollierten Medien-Plattformen radikalisiert haben. Wir haben Staatsverweigerer erlebt, die Fantasieregierungen bilden und in Scheingerichtsverhandlungen „Urteile“ gegen missliebige Vertreter von Justiz und Verwaltung gefällt haben. Wir haben Impfgegner erlebt, die hinter der Covid-Pandemie eine Verschwörung finsterer Mächte zur Unterdrückung der eigenen Bürger gewittert haben. Der Verfassungsschutzbericht warnt seit Jahren eindringlich vor rechtsextremen Gruppen, die Waffen horten, um sich auf den „Tag X“ vorzubereiten, den Tag des Umsturzes. Sie alle greifen nicht nur die Legitimation demokratisch gewählter Institutionen an, sie machen dem Staat das Gewaltmonopol streitig.    

Auch in diesem Zusammenhang sollte man die Diskussion um ein „generelles Waffenverbot“ verstehen, wie es die Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ) gefordert hat: Als eine Verteidigung des staatlichen Gewaltmonopols. Die Politik muss die Frage beantworten, warum überhaupt jemand – abgesehen von Sportschützen und Jägern – privat eine Schusswaffe haben sollte. Oder zumindest, ob wir in Österreich genau genug hinsehen, wer die Menschen sind, denen wir das Recht auf Waffenbesitz einräumen.

Möglicherweise wird dadurch keine einzige Bluttat verhindert. Aber je strenger die Waffengesetze, desto stärker das Signal, dass der Staat das Recht seiner Kinder auf Sicherheit vor das Recht seiner Bürger auf Bewaffnung stellt.

Josef Redl

Josef Redl

Wirtschaftsredakteur.