Morgenpost

Unabhängig und unantastbar

Melancholie im Schneegestöber: Der angekündigte Abschied des profil-Chefredakteurs Christian Rainer sorgte gestern redaktionsintern für mehr Besinnlichkeit, als die eskalierende Weihnachtsstimmung zu mobilisieren imstande wäre.

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Vielleicht haben Sie die Nachrichten, die diese Redaktion betreffen, ja gestern Nachmittag schon gehört oder gelesen – und sich gefragt, was im profil eigentlich gerade los ist? Denn tatsächlich fand gestern eine Weichenstellung statt, die uns, neben aller Aufregung über die Aktualitäten und Zukunftsaussichten, in hohem Maße auch melancholisch stimmte. Während draußen der Schnee wie auf Bestellung leise rieselte, machte sich in unseren Heiligenstädter Büroräumlichkeiten eine Art sanfter Traurigkeit breit.

Denn ein glänzender Journalist, der zweieinhalb Jahrzehnte lang für die geradezu familiäre Atmosphäre gesorgt hat, die in dieser Zeitung herrscht, ein Medienmanager, der stets größten Wert auf kollegiale und eben nicht hierarchische oder gar autoritäre Zusammenarbeit gelegt hat, kündigte überraschend an, seine Tätigkeiten für profil demnächst einstellen zu wollen: Christian Rainer informierte die profil-Redaktion kurz vor Mittag im Rahmen unserer gestrigen Konferenz darüber, zeitnah als Chefredakteur ausscheiden zu wollen. Er habe über diesen Schritt lange nachgedacht und sehe „den richtigen Zeitpunkt nach einem Vierteljahrhundert an der Spitze der Redaktion nun für gekommen“. Rainer, der heute übrigens in alter Jugendlichkeit seinen 61. Geburtstag feiert (Gratulation an den Jubilar!), prägte dieses Nachrichtenmagazin 25 Jahre lang, als Journalist, als Blattmacher und als Führungspersönlichkeit. Vor allem garantierte Christian Rainer die redaktionelle Unabhängigkeit des profil von Politik, Wirtschaft und Eigentümern. Die Redaktion bedankte sich bei ihm für seinen langen Einsatz im Interesse des profil und seinen anhaltenden und konsequenten Widerstand gegen Interventionsversuche. Wenige Stunden später wurde die Redaktion außerdem davon in Kenntnis gesetzt, dass „Kurier“-Vizechefredakteur Richard Grasl dem bisherigen Geschäftsführer Thomas Kralinger nachfolgt.

Für Sie sollten diese Neuigkeiten, wenn alles gut geht, keine gravierenden Veränderungen mit sich bringen, was die grundsätzliche Verfasstheit und die Kapazitäten dieses Magazins angeht. Denn die journalistische Unabhängigkeit des profil und dessen Redaktionsstatut sind unantastbar. Seien Sie versichert, dass wir weiterhin jeden Versuch einer ideologischen Einflussnahme in aller Deutlichkeit zurückweisen und wie gewohnt daran arbeiten werden, alle wesentlichen innen- und außenpolitischen Zusammenhänge auf den Punkt zu bringen – und uns in vertrauter Manier auch auf die relevanten wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Ereignisse einlassen werden. Nur noch ein bisschen besser als bisher, aber das versteht sich ja von selbst.

Einen feinen Dienstag wünscht Ihnen die Redaktion des profil.

Stefan Grissemann

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.