Anton Pelinka: „Regierung tut so, als wäre Österreich eine Insel“

Anton Pelinka über die Kürzung der Familienbeihilfe für Kinder im Ausland, warum das Thema Asyl bei der Klausur nicht vorkam und die Einsparungspläne reine Märchen sind. Eine erste Einschätzung über die Vorhaben der Regierung des Politologen und Juristen.

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INTERVIEW: LAURA SCHRETTL

profil: Einer der Hauptpunkte der ersten Regierungsklausur war die Kürzung der Familienbeihilfen für Kinder im Ausland, was halten Sie davon? Anton Pelinka: Ich halte den Versuch, Familienbeihilfen für sogenannte EU-Ausländer von den Lebenskosten in dem Staat, wo ihre Familien wohnen abhängig zu machen, für konfliktträchtig. Das widerspricht eindeutig dem Geist und vermutlich auch dem Grundsatz des Europäischen Rechts. Denn das sagt, dass EU-Bürgerinnen und -Bürger den jeweiligen Inländern völlig gleichgestellt werden müssen, am Arbeitsmarkt und bezüglich der Sozialleistungen. In dem Fall ist Sebastian Kurz ganz eindeutig gegen den Europäischen Gedanken, wie er am Europäischen Binnenmarkt verkörpert wird.

Ich halte das nur dann für EU-konform, wenn man auch innerhalb Österreichs unterscheiden würde. Wenn zum Beispiel ein burgenländischer Tourismusarbeiter in der Vorarlberger Industrie ebenso seine Familienbeihilfen nach den Lebenserhaltungskosten im Burgenland bezieht. Das würde dem Geist des Europäischen Binnenmarkts entsprechen.

Diese Regierung ist mehr Orban als Macron oder Merkel.

Hier halte ich fest, was in die Richtung geht, die ich von Anfang an festgestellt habe: Diese Regierung ist mehr Orban als Macron oder Merkel.

profil: Sebastian Kurz sieht es als Ungerechtigkeit, wenn ein Kind, zum Beispiel in Rumänien, bisher quasi gleich viel Unterstützung bekommen hat, wie ein Kind in Österreich. Pelinka: Ja, aber das kann man ja vergleichen wie mit Burgenland und Vorarlberg. Gehen wir mal davon aus, dass die Lebenserhaltungskosten im burgenländischen Bezirk Oberwart geringer sind als im Vorarlberger Bezirk Dornbirn. Das ist genauso ungerecht oder nicht ungerecht wie Rumänien und Österreich.

profil: Diese Regelung wird zu einem großen Teil Pflegekräfte treffen. Pelinka: Der Anreiz in Österreich zu arbeiten wird für sie geringer werden.

Es ist interessant, dass Kurz immer Rumänien erwähnt und nie Ungarn, weil dort trifft er ja seinen Freund Viktor Orban. Aber es trifft genauso ungarische Bürger und Bürgerinnen die in Österreich arbeiten wie Rumänische. Aber Ungarn erwähnt er offenbar deshalb nicht, weil er seinem Freund Viktor Orban nicht weh tun will. Aber er würde ihm wehtun, wenn er das einführt.

profil: Viktor Orban wird diese Regelung nicht gutheißen. Pelinka: Ja, sie richtet sich faktisch gegen die ärmeren Länder der Europäischen Union. Und daher ist es eine gewisse Relativierung des Grundgedankens der Europäischen Solidarität.

Der Grundgedanke des Binnenmarktes und das ist der Kernpunkt der Europäischen Integration überhaupt, ist, dass Menschen im Binnenmarkt unabhängig von ihrer Herkunft und Staatsbürgerschaft gleichbehandelt werden müssen. Alleine der Begriff EU-Ausländer ist schon eine Absage an die Europäische Integration. Es gibt keine EU-Ausländer. Die EU-Bürgerinnen und Bürger sind keine Ausländer.

Ich bin so betroffen, weil das so locker von einem Minister bzw. von einem Bundeskanzler kommt, der jahrelang für Europäische Angelegenheiten zuständig gewesen ist. Es ist natürlich eine Konzession an die Freiheitliche Partei. Das weiß ich schon. Es überrascht mich nicht.

profil: Der zweite Hauptpunkt der Klausur war die Entlastung der kleinen Einkommen. Als ersten Schritt soll dies durch die Senkung des Arbeitslosenbeitrages passieren. Pelinka: Das zeigt natürlich schon, dass die Freiheitliche Partei und das ist auch die Partei der Sozialministerin, sich hier positionieren will, als die Partei, die früher von der sozialdemokratischen Partei vertreten wurde, die Arbeiterpartei Nummer Eins.

profil: Glauben Sie, dass ein Gutverdienender besser mit dieser Regierung dran ist, als ein Schlechtverdienender? Pelinka:Da gibt es sicherlich auch Widersprüche innerhalb der zwei regierenden Parteien. Aber wie man es dreht und wendet, die Volkspartei ist natürlich überproportional die Partei der Besserverdiener und die Freiheitliche Partei ist überproportional die Partei der Schlechterverdiener. Und da wird es Interessensgegensätze geben, die jetzt am Beginn sicherlich noch sehr gut zugedeckt werden können.

Natürlich kann sich das alles noch ändern und natürlich kann die Freiheitliche Partei, das Versprechen, die Partei des kleinen Mannes zu sein, verraten. Aber momentan sehe ich das noch nicht.

Ein Verdacht ist, dass diese Regierung, wenn es um die wirklich soziale Gleichstellung von Frauen und Männern geht wenig Energie investieren wird. Das ist momentan aber nur eine Vermutung.

profil: Bei der Senkung des Arbeitslosenbeitrages gab es Einwände, dass dies größtenteils Teilzeitarbeitskräfte betreffen würde und dies wieder ein Anreiz für Teilzeit sein könnte. Pelinka: Das könnte sein und das betrifft natürlich auch die Mann/Frau Problematik. Weil Teilzeit ist überdurchschnittlich ein weibliches Phänomen. Und wie gesagt, nicht bereits als fundierte Kritik, sondern als Verdacht, dass diese Regierung, wenn es um die wirklich soziale Gleichstellung von Frauen und Männern geht – trotz der hohen Frauenquote in der Bundesregierung, trotz der hohen Frauenquote der ÖVP-Fraktion im Nationalrat – wenig Energie investieren wird. Das ist momentan aber nur eine Vermutung und noch keine fundierte Kritik.

profil:Glauben Sie, dass sich mit dieser Regierung die Ungleichheit in der Gesellschaft weiter erhöhen wird? Pelinka: Das sehe ich momentan nicht. Denn die Einkommensschere ist auch bei der bisherigen Regierung auseinandergegangen. Man kann den Verdacht äußern, aber momentan wäre ich da vorsichtig mit solchen Aussagen.

profil: Keiner der sechs Schwerpunkte, die präsentiert wurden, beschäftigte sich mit Asyl bzw. Flüchtlingen. Pelinka: Das ist wirklich erstaunlich. Es könnte sein, dass sich die Regierung da noch nicht ganz einig ist. Manches was da so kommt von Seiten der FPÖ, könnte ja sein, dass das nicht nur auf Zustimmung von Seiten der ÖVP stößt. Der letzte Flüchtlingskoordinator Herr Konrad, der aus der ÖVP kommt, wird alles andere als begeistert sein, über die Ideen, die vom Klubobmann der FPÖ und so weiter kommen – alles was ganz eindeutige Verschlechterungen bringt. Da kann ich mir vorstellen, dass es da in der ÖVP noch Widerstand gibt.

Wir dürfen ja auch nicht vergessen – wenn auch das christliche Vertreten durch die beiden christlichen Konfessionen in der ÖVP an Bedeutung verloren hat – dass natürlich die österreichische Bischofskonferenz auch mit Berufung auf die Linie des Papstes, hier nicht glücklich wäre. Und das wahrscheinlich auch ausdrücken würde. Und daher wird die ÖVP nicht mit fliegender Fahne in das Lager der Hardliner wie Kickl oder gar Gudenus überlaufen.

profil: Was würden Sie von einer Kürzung der Mindestsicherung für Flüchtlinge halten? Pelinka: Das halte ich für eine eigentlich – nicht überraschend, aber mir fällt kein anderes Wort ein - bezeichnende Herzlosigkeit. Das entspricht den Wahlkampftönen beider Regierungsparteien. Man soll also die materiellen Bedingungen, derjenigen, die in unserer Gesellschaft wohl eindeutig zu den Schwächsten und Ärmsten zählen, noch verschlechtern. Mit der Argumentation: Um Anreiz wegzunehmen, nach Österreich zu kommen. Als wäre das Leben in Österreich jetzt schon ein gigantischer Anreiz um sich auf den Weg zu machen um übers Mittelmeer nach Österreich zu kommen. Überhaupt nicht überraschend. So ist diese Regierung. Das war zu erwarten.

Aus meiner Sicht wäre eine konsequente Situation: Wir brauchen ein Europäisches System, das innerhalb Europas zunächst einmal über die Kontrolle der EU-Außengrenzen zu einem Gesamteuropäischen System der Betreuung von Flüchtlingen führt. Aber auch hier ist der Bundeskanzler, wie gesagt, mehr Orban als Merkel oder Macron.

profil: Aber die Regierung wird so eine Lösung vermutlich nicht umsetzen. Pelinka: Nein, das erwarte ich mir überhaupt nicht. Die vernünftigen Dinge kommen vom französischen Präsidenten und vom Präsidenten der EU-Kommission, der übrigens ein Parteifreund des österreichischen Bundeskanzlers ist. Aber das spielt alles keine Rolle. Denn Viktor Orban ist auch ein Parteifreund des österreichischen Bundeskanzlers. Die Frau Merkel übrigens auch. Also Parteifreundschaften sind hier wirklich äußerst dünn.

profil: Die Regierung möchte rund 2,5 Milliarden Euro einsparen. Pelinka: Das sind immer diese Märchen, die wir bei jeder Regierungsklausur, bei jeder Regierung hören. Bei den Verwaltungskosten sparen. Bei der Bürokratie sparen. Das sind so Leerformeln. Die Frage ist, warum die ÖVP, die seit 31 Jahren ununterbrochen in der Regierung war, dies nicht schon längst getan hat. Weil es nicht so leicht geht.

profil: Also ist das für Sie eine Phrase, die bei den Inhalten dabei sein muss? Pelinka: Ja. Eine Leerformel mit Pflicht-Charakter, aber äußerst geringer Glaubwürdigkeit. Noch dazu dürfen wir nicht vergessen, dass in der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst die ÖVP-Fraktion das Sagen hat. Die größten Widerstände würden von der ÖVP kommen, nämlich von der ÖVP-Beamten-Gewerkschaft-Fraktion. Vielleicht auch ein Grund, warum die ÖVP bis auf ein Lippenbekenntnis da nie ernsthaft etwas versucht hat.

Die Regierung tut so als wäre Österreich eine Insel. Sie möchten die Insel mit besseren Grenzen versehen. Aber wo ist die Europapolitische Orientierung?

profil: Fehlen Ihnen Punkte bei den Schwerpunkten der Klausur? Pelinka: Die Regierung tut so als wäre Österreich eine Insel. Ein bisschen Bashing von EU-Ausländern, Verschlechterung der Flüchtlinge. Das heißt sie möchten lieber die Insel mit besseren Grenzen versehen. Aber wo ist die Europapolitische Orientierung? Wie stehen wir zu den Visegrad-Staaten? Wie stehen wir zu den Plänen von Emmanuel Macron? Null. Das ist viel wichtiger. Da wird nichts gesagt. Die tun alle so, als wäre Österreich ein einsamer Strand, der ab und zu von Meteoriten, die Flüchtlinge sind, getroffen wird.

profil: Ihnen fehlen also die Europathemen? Pelinka: Europa und Welt. Österreich ist Teil Europas und Teil der Welt. Und so zu tun, als würde das für eine neue Bundesregierung nicht entscheidend sein, halte ich für naiv. Aber ich bin nicht überrascht. Weil da würden rasch Widersprüche auftauchen. Und das will diese Regierung nicht. Die Regierung will Einigkeit und Harmonie vermitteln und meidet daher alle Themen, die nicht Einigkeit und Harmonie darstellen.

profil: Aber glauben Sie nicht, dass dies der Gesinnung der Wähler, welche diese Parteien gewählt haben, entspricht? Pelinka: Die Bevölkerung besteht aus vielen Teilgesellschaften. Derzeit ist es offenkundig eine Mehrheit die diese „inselartige-österreichisch-patriotische Haltung“ begründet. Ich werde nicht gefragt, aber ich halte das für sehr kurzsichtig. Da kann man schnell auf die Nase fallen und vor allem kann man sich in Europa schnell isolieren.

Pro-Orban sein, aber nicht wenn es um ungarische oder slowakische Arbeiter in Wien geht.

profil: Sie haben jetzt öfters erwähnt, dass es Parteifreundschaften zwischen Sebastian Kurz und Merkel, Macron und Orban gibt. Auf der anderen Seiten sagen Sie, die Regierung tut so, als ob Österreich eine Insel wäre. Pelinka: Die Regierung gibt sich eigentlich als ein Gastmitglied der Visegrad-Gruppe, ignoriert aber die Linie, die Macron, vor allem auch Juncker und teilweise Merkel versucht haben zu formulieren. Und gleichzeitig mit ihrer Verschlechterung des Status der EU-Ausländer verletzt sie die Interessen der Visegrad-Staaten. Auch das ist eine Widersprüchlichkeit. Und diese Regierung thematisiert das nicht. Das müssen die Medien thematisieren und sagen: Da ist ein Widerspruch. Pro-Orban sein, aber nicht wenn es um ungarische oder slowakische Arbeiter in Wien geht.

profil: Wie glauben Sie, wird sich dies auf die Zusammenarbeit auswirken? Pelinka: Die Frage ist, wie man Kerneuropa definiert. Wenn Kerneuropa definiert wird als eine von der Europäischen Kommission mitgetragene Achse zwischen Berlin und Paris, entfernt sich diese Regierung von diesem Kerneuropa.

Anmerkung: Das Interview wurde Donnerstagabend, nach dem ersten Tag der Regierungsklausur geführt.