Berg Heil!

Zeitgeschichte. Das Pathos des deutschen Bergfilms der zwanziger und dreißiger Jahre kam den Nazis sehr entgegen

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Kein Volk Europas, das den deutschen Gebirgsjäger nicht kennen würde, kein Feind auf den Schlachtfeldern dieses gewaltigen Krieges, der nicht die Soldaten mit dem Edelweiß fürchten gelernt hätte.“ Dieser markige Satz entstammt nicht etwa einer Kampfschrift des NS-Propagandaministers Joseph Goebbels, sondern erschien in einer Zeitschrift für Bergsteiger, dem Jahrbuch des Alpenvereins von 1942. Und dort heißt es weiter: „Undenkbar wäre diese Leistung unserer Gebirgstruppen ohne die planmäßige Arbeit des Deutschen Alpenvereins. Wo wäre schon in friedlichen Jahren der Wehrgedanke lebendiger gewesen als im deutschen Bergsteiger, der in freiwilligem Entschlusse sein Leben im Kampf um den Berg einsetzt.“

Verfasser dieser Zeilen war Karl Springenschmid, Schriftsteller, Bergsteiger und Lehrer. Seine Äußerungen stehen stellvertretend für die Haltung der Mehrzahl der Bergsteiger im Österreichischen und Deutschen Alpenverein, den gleichzuschalten die Nazis wenig Mühe hatten. Es dauerte zwei Generationen, bis dieses dunkle Kapitel in den nach 1945 neu gegründeten Vereinen zur Sprache gebracht wurde: in einem dieser Tage zum bevorstehenden 150-Jahre-Jubiläum des Alpenvereins erscheinenden Kompendium mit dem Titel „Berg Heil!“.

Karl Springenschmid, geboren 1897 in Innsbruck, hatte im Ersten Weltkrieg an der Dolomitenfront gedient, war 1932 in Salzburg der NSDAP, 1934 der SA und im Jänner 1938 der SS beigetreten. Nach dem „Anschluss“ war er als Leiter des NS-Lehrerbundes Hauptverantwortlicher für die Verbrennung NS-kritischer Bücher in Salzburg.

Springenschmid ist nur einer von Tausenden, die als Bergsteiger in Deutschland und Österreich den Weg für Adolf Hitler und seinen Nationalsozialismus bereiteten. Schon gleich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs war der im 19. Jahrhundert von liberalen, freilich mehrheitlich großdeutsch gesinnten Bürgern gegründete Deutsche und Österreichische Alpenverein (DuÖAV) zunehmend in ein nationalistisches und bald auch antisemitisches Fahrwasser geraten. Ersteres hatte viel mit der Kriegsniederlage zu tun. An der Dolomitenfront waren österreichische und italienische Bergsteiger einander gegenübergestanden, „Mann gegen Mann“, wie dieser Kampf im Vergleich mit den Massen- und Materialschlachten an der Westfront verherrlicht wurde. Held der österreichischen Dolomitenkämpfer war der Bergführer Sepp Innerkofler aus Sexten im Pustertal. Dass der Krieg mit dem territorialen Verlust Südtirols, dem Verbot der zum DuÖAV gehörigen Südtiroler Alpenvereinssektionen, vor allem aber auch mit der Requirierung der von deutschen Sektionen erbauten Schutzhütten endete, wollten Bergsteiger nördlich der neuen Brennergrenze schwer hinnehmen. Aufrufe wurden erlassen, die deutschen Brüder in Südtirol zu besuchen. Lieder wie das folgende über die Enteignung der prächtigsten Südtiroler Alpenvereinsherberge, der Schlernhäuser in den Dolomiten, gehörten von nun an zum Repertoire der österreichischen und deutschen Alpenvereinsjugend, das bis lange nach dem Zweiten Weltkrieg auf Vereinsabenden und Hütten gesungen wurde:

„Am Schlern ein Schutzhaus steht
Von deutscher Hand erbaut
Da kam die welsche Brut daher
Und hat es uns geklaut“

Hand in Hand mit einem zunehmenden Nationalismus wurde in verschiedenen österreichischen und deutschen AV-Sektionen auch die Judenfeindlichkeit immer lauter. Wortführer des Antisemitismus im Alpenverein war der Wiener Eduard Pichl. Mit rund 60 Erstbesteigungen (u. a. der Dachstein-Südwand über den nach ihm benannten „Pichl-Weg“) war er einer der erfolgreichsten österreichischen Alpinisten vor dem Ersten Weltkrieg. Er war Burschenschafter und ein persönlicher Freund des deutschnationalen und antisemitischen österreichischen Politikers Georg Schönerer, der zum großen Vorbild für den jungen Adolf Hitler wurde.

1921 setzte Eduard Pichl als Obmann der Sektion Austria, einer der größten des Alpenvereins, mithilfe einer kleinen Minderheit handstreichartig durch, dass die jüdischen Mitglieder aus der Sektion ausgeschlossen wurden. Als diese dann die Sektion Donauland gründeten, der zum Beispiel der Neurologe und Begründer der Logotherapie Viktor Frankl angehörte, wurden sie 1924 aus dem Gesamtverein ausgeschlossen. Vergeblich hatten dagegen verdiente liberale AV-Mitglieder, wie der greise Prager Kaufmann Johann Stüdl, Erschließer des Großglockners und Begründer der ersten Bergführer-Organisation in den Ostalpen, protestiert.

Die Begründungen für den Ausschluss der Juden waren ein Lehrstück in populistischem Antisemitismus. Pichl sprach von „Schwärmen volksfremder Männer und Weiber“, die dem deutschen Bergsteiger die Stuben und Schlafräume der Schutzhütten streitig machten. Und sein Sektions- und Gesinnungsgenosse Walter Riehl, der als Führer der noch unbedeutenden österreichischen NSDAP Adolf Hitler zu seiner ersten Vortragsreise nach Österreich geholt hatte, meinte scheinheilig, es sei nicht geplant, „den Juden die Berge überhaupt zu verbieten“, aber es sei empörend, wenn man „auf der Rax blonde deutsche Mädchen sieht, die von einem Schieberjuden geführt werden“.

Das Verbot der jüdischen Sektion führte zu einer als „Donauland-Affäre“ sehr beschönigend beschriebenen Gewaltwelle. Die Sektion Austria verteilte Plakate mit der Aufschrift „Juden und Mitglieder des Vereins Donauland sind hier nicht erwünscht“, und auf Hütten wurden Hakenkreuze affichiert. „Über 1000 Meter gibt es nur mehr Anhänger des Führers“ erinnerte 1942 die Alpenvereinszeitschrift an die geheimen Treffen der vor dem „Anschluss“ illegalen österreichischen Nazis auf Schutzhütten.

Wie dieses „Klima“ von den Betroffenen erlebt wurde, beschrieb viele Jahre später Gad Hugo Sella, ein Tiroler Jude, der das Land 1938 rechtzeitig verlassen konnte. Er gehörte in der Zwischenkriegszeit zu einer Gruppe jüdischer Innsbrucker Bergsteiger und erlebte bei einer Skitour in den Stubaier Alpen Folgendes: „Am Gipfel war noch eine andere Gruppe, die uns nicht erkannte. Einer von ihnen schwärmte, wie schön es hier sei. Da sagte ein Zweiter: ,Und weißt du, was das Schönste ist? Weit und breit kein Jud!‘“

Neben den Juden waren die mehrheitlich sozialdemokratischen, vereinzelt aber auch kommunistischen „Naturfreunde“ das Feindbild der Nationalen im Alpenverein. Leopold Happisch, leidenschaftlicher Gegner Pichls, spottete in der Zeitschrift „Naturfreund“: „Man will eben kein ,Proletengesindel‘ auf die Schutzhütten kommen lassen, man will schön unter seinen Hitlern und Ludendorffern bleiben“ (Weltkrieg-I-General Erich von Ludendorff hatte sich 1923 am Hitler-Putsch beteiligt).

Hitler selbst hatte mit Bergsteigen wenig am Hut, war sich allerdings der enormen Propagandawirkung von Sport, Bergsport und den Bergen als Machtsymbolen bewusst. Am 16. März 1938, nur vier Tage nach dem „Anschluss“, hissten SA-Männer auf dem Großglockner, dem nunmehr „höchsten Berg Großdeutschlands“, die Hakenkreuzfahne. Und als im Sommer 1938 die Bayern Andreas Heckmair und Ludwig Vörg und die Österreicher Fritz Kasparek und Heinrich Harrer die gefürchtete Eiger-Nordwand bezwangen – Harrer hatte auf dem Gipfel einen Hakenkreuzwimpel in den Schnee gerammt –, empfing Hitler das Team aus „Ostmärkern“ und dem „Altreich“ persönlich zu einer Ehrung.

Die prestigeträchtigsten alpinistischen Propaganda-Unternehmen im NS-Staat waren die Expeditionen im Himalaja. Als 1934 die vom Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten unterstützte Nanga-Parbat-Expedition scheiterte, wurde das Foto des tödlich verunglückten Bergsteigers Alfred Drexel, bedeckt mit der Hakenkreuzflagge, zum Symbol für deutschen Heldenmut. 1937 endete die nächste Nanga-Parbat-Expedition noch blutiger. Sieben deutsche Bergsteiger und neun einheimische Träger kamen dabei um. Der Nanga Parbat wurde zum „Schicksalsberg der Deutschen“ erklärt. Auch im Jahr darauf scheiterte ein Versuch mit dem Tiroler Spitzenkletterer Mathias „Hias“ Rebitsch. Und 1939 wurde auf einer Kundfahrt Heinrich Harrer in Indien von den Briten interniert. 1944 gelang ihm die Flucht nach Tibet, wo er Erzieher des jungen Dalai Lama wurde.

Um der Förderung durch das NS-Regime teilhaftig zu werden, musste sich ein Extrembergsteiger loyal zeigen. Auch Fritz Kasparek, österreichisches Naturfreunde-Mitglied, der in den dreißiger Jahren an antifaschistischen Aktionen beteiligt war, trat schließlich der SS bei und wurde deshalb nach dem Krieg interniert.

Koordinator des Expeditionswesens war Paul Bauer, ab 1936 Leiter der neu gegründeten Deutschen Himalaja-Stiftung. Bauer war 1934 von Reichssportführer von Tschammer und Osten beauftragt worden, den Alpinismus nationalsozialistisch, also militärisch, auf Vordermann zu bringen.

Das war des „Führers“ Hauptziel. Als Eiger-Nordwand-Bezwinger Heckmair – inwischen als Erzieher an der NS-Eliteschule „Ordensburg“ in Sonthofen beschäftigt – bei Hitler auf einer Weihnachtsfeier für „alte Kämpfer“ um die Genehmigung der Teilnahme an einer Expedition ansuchte, da antwortete Hitler mit stählernem Blick: „Euch brauche ich für eine ganz andere Aufgabe.“ Wie Heckmair in seinen Erinnerungen festhielt, sei ihm sofort klar gewesen, dass damit der Krieg gemeint war.

Die rasch aufgestellten Gebirgsdivisionen, zu deren Kaderschulung 1939 die Heeres-Hochgebirgsschule in Fulpmes im Stubaital eingerichtet wurde (profil 21/2011), kamen von Anfang an auf allen Kriegsschauplätzen zum Einsatz: beim Überfall auf Polen, beim Einmarsch in Frankreich und bei der Besetzung des für den Erznachschub der deutschen Rüstungsindustrie wichtigen norwegischen Hafens Narvik durch die aus „Ostmärkern“ rekrutierte 3. Gebirgsdivision. Deren Kommandant, der überzeugte Nationalsozialist Eduard Dietl, wurde von Hitler zum Vorbild des deutschen Offiziers erklärt und von der NS-Propaganda als Volksheld gefeiert. Noch 1964 wurde nach dem 1944 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben Gekommenen eine Kaserne der deutschen Bundeswehr in Füssen benannt. Erst 1990 wurde seine Ehrenbürgerschaft der Stadt Graz getilgt.

Um die Kriegsbereitschaft zu schüren, war den Nazis jedes Mittel recht. Eine Aktion, die zur Beschaffung von Skimaterial für die Soldaten an der Ostfront aufrief, warb mit einem beliebten Skifahrerlied. Statt „zwoa Brettln, a gführiger Schnee“ hieß es: „zwoa Brettln im russischen Schnee“.

Persönlich traute Hitler den Bergsteigern als Soldaten nie so hundertprozentig. Als 1942 die 1. und die 4. Gebirgsdivision beim Russlandfeldzug im Kaukasus zugange war, bestiegen einige Gebirgsjäger aus dem Allgäu den 5633 m hohen Elbrus und hissten auf dem Gipfel die Reichskriegsflagge. Hitler war über die strategisch unbedeutende, aber von der Propaganda gefeierte Aktion äußerst erbost, wie Albert Speer in seinen Erinnerungen berichtete. Er habe tagelang geschimpft über diese verrückten Bergsteiger, die mitten im Krieg ihrem idiotischen Ehrgeiz nachliefen und einen idiotischen Berg besetzten.

Dass die heute als „dunkles Kapitel“ bezeichneten Jahre von 1918 bis 1945 bis vor Kurzem in der Geschichtsschreibung des Alpenvereins geflissentlich verschwiegen wurden, hatte mehrere Gründe.

Einer war die allgemeine Verdrängung der NS-Vergangenheit. Karl Springenschmid, der Alpinschriftsteller und Exekutor der Salzburger Bücherverbrennung, lebte zwar nach dem Zweiten Weltkrieg vorübergehend im Untergrund, da er als mutmaßlicher Kriegsverbrecher auf einer Fahndungsliste stand. Schon 1953 aber wurde er von Bundespräsident Theodor Körner begnadigt und publizierte fleißig weiter, unter anderem eine Toni-Sailer-Biografie und al­pine Jugendbücher, die auch ins Holländische übersetzt wurden. Eduard Pichl blieb ebenso ungeschoren. In einem 1955 bei seinem Begräbnis verlesenen selbst verfassten Nachruf durfte er bekennen: „Ich habe ein langes Leben gelebt, und stünde ich am Anfang desselben, ich würde es genau wieder so leben wollen.“ Erst 2002 wurde die nach ihm benannte Eduard-Pichl-Hütte in den Karnischen Alpen wieder in Wolayerseehütte rückbenannt. Und in Deutschland saß Paul Bauer im Vorstand des Kameradenkreises der Gebirgstruppe.

Im Alpenverein wurde der Weg in den Nationalsozialismus erst in den letzten Jahren und nicht ganz freiwillig thematisiert. 1996 erschien das Buch „Der Alpinismus. Kultur Organisation Politik“ des Wiener Sporthistorikers Rainer Amstädter, eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des österreichischen und deutschen Bergsteigens. Darin zeichnet der Autor den Weg des Alpinismus vom Liberalismus zum Nationalismus, von Romantik, Naturschwärmerei und britischem Sportgeist zum Gefahren- und Kampfalpinismus. Das „dunkle Kapitel“ in der AV-Geschichte wurde darin zum ersten Mal breit und detailliert, unter Nennung der be­teiligten Namen, nachgezeichnet. Amstädters Auseinandersetzung wurde innerhalb des Alpenvereins distanziert bis ablehnend aufgenommen. Von „unberechtigt heftigen Anwürfen“ war die Rede, bestenfalls von einem „positiven, aber unsanften Rippenstoߓ.

Nun war der nach 1945 in den drei Vereinen DAV, ÖAV und AV Südtirol neu strukturierte Alpenverein aufgerufen, selbst seine Geschichte aufzuarbeiten. Zwar hatte schon 1987 der Erste Vorsitzende des ÖAV, Louis Oberwalder, die eher rhetorische Frage „Wie hält’s der Alpenverein mit seiner Vergangenheit“ gestellt und als Versöhnungsgeste Viktor Frankl zu einem Vortrag eingeladen, aber erst 1998 bezog der Kulturbeauftragte des DAV, Helmuth Zebhauer, in seinem Buch „Alpinismus im Hitlerstaat“ Stellung zur NS-Vergangenheit des Vereins, nicht ohne diese pauschal als überwunden zu erklären.

Inzwischen hatten Hanno Loewy und Gerhard Milchram in ihrer in den Jüdischen Museen von Hohenems und Wien und im Alpinen Museum des Deutschen Alpenvereins in München gezeigten Ausstellung „Hast du meine Alpen gesehen?“ den jüdischen Anteil an der Geschichte des Alpinismus eindrucksvoll dokumentiert. Daran hatte sich auch der Alpenverein beteiligt: Dessen Zeitgeschichtler Martin Achrainer und Nicholas Mailänder waren parallel dazu seit 2008 mit der Herausgabe des jetzt im Böhlau Verlag erscheinenden Bandes „Berg Heil! Alpenverein und Bergsteigen 1918–1945“ betraut. Zeitlicher Anlass ist das im Jahr 2012 zu feiernde 150-Jahre-Jubiläum des Alpenvereins.

Das von den drei Vereinen DAV, ÖAV und AV Südtirol herausgegebene, von einem wisenschaftlichen Beirat mehrerer Universitäten betreute Buch wertet zum ersten Mal die umfangreichen Archive der drei Teilvereine aus.

Absicht des über 600 Seiten starken, üppig illustrierten Kompendiums ist, wie im Vorwort betont wird, zu zeigen, dass wir auch dann gesellschaftlich handeln, wenn wir „nur“ bergsteigen gehen. Insofern ist der Titel „Berg Heil!“, der für die über 1,3 Millionen Mitglieder des auch zu einem riesigen Dienstleistungsbetrieb gewordenen Alpenvereins die immer noch gültige Grußformel darstellt, auch politisch zu verstehen.