Rosemarie Schwaiger

Rosemarie Schwaiger Binnenweisheit

Leitartikel. Binnenweisheit

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Am Freitag versuchten die Grünen ihr Glück. „Binnen-I und andere Sorgen“ lautete das Thema einer Pressekonferenz, zu der Parteichefin Eva Glawischnig und Sozialsprecherin Judith Schwentner gebeten hatten. Im Jahr 2014 sollte es doch selbstverständlich sein, „Frauen in der Sprache nicht zu verschleiern“, erklärte Glawischnig. Wenn schon breit debattiert wird, dann doch lieber über andere frauenpolitische Themen, finden die beiden. Als da wären: ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro, eine Frauenquote von 40 Prozent in Aufsichtsräten und ein neues Pensionsmodell.

Das sind wichtige Anliegen, zweifellos. Aber muss das Binnen-I jetzt bleiben, weil es keine Quotenregelung gibt? Kann das eine nicht völliger Unfug sein und das andere trotzdem ein erstrebenswertes Ziel? Ist Frauenpolitik derart simpel gestrickt, dass es nur die Auswahl gibt zwischen
Daumen rauf und Daumen runter?

Ausgelöst wurde die Debatte bekanntlich durch einen offenen Brief von etwa 800 Universitätsprofessoren, Lehrern, Unternehmern und anderen alphabetisierten Menschen beiderlei Geschlechts, die eine „Rückkehr zur sprachlichen Normalität“ fordern. Die derzeitige Praxis zerstöre die gewachsene Struktur der Sprache bis hin zur Unlesbarkeit, wird beklagt. Ja, das stimmt. Deshalb kamen das Binnen-I und ähnliche Versuche, das Patriarchat mit den Mitteln der Grammatik zu erledigen, nicht über jenen Bereich hinaus, in dem sie amtlich verordnet wurden. Staatliche und staatsnahe Institutionen gendern, der Rest des Landes lässt es bleiben. Das gilt auch für die Medien: Keine halbwegs ernst zu nehmende Zeitung und kein Fernsehsender erfüllen die Bedingungen nur ansatzweise – nicht aus Bosheit oder wegen der Machos in den Chefetagen, sondern weil das Gegenderte holpert, furchtbar aussieht, sich nicht aussprechen lässt.

In der Mitte der Gesellschaft, um deren Eroberung es doch angeblich geht, werden Binnen-I, Unterstrich, Klammer und Sternchen niemals ankommen. Deshalb könnte man das Projekt getrost als gescheitert bezeichnen. Jede und jeder hat schließlich das Recht, klüger zu werden.

Leider wird das nicht passieren. Der Feminismus ist irgendwann in die gleiche Sackgasse abgebogen, in der auch die Beamtengewerkschaft festsitzt. Klüger zu werden, gilt hier als Zeichen von Schwäche. Wohlerworbene Rechte müssen auf jeden Fall verteidigt werden, auch wenn sie keinen Sinn mehr haben. Jede Idee, die von außen kommt, wird vorsorglich abgelehnt oder mittels elaborierter Bürokratie niederadministriert. „Sprache schafft Wirklichkeit“, erklärte Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek, obwohl sie wissen müsste, dass es andersrum läuft. Die Schriftstellerin Julya Rabinowich fühlte sich in einer Kolumne für den (ebenfalls nicht gendernden) „Standard“ gar an den Kampf um das Frauenwahlrecht erinnert. „Wollen wir in solche Zeiten zurück oder nur in jene, als es noch das Familienoberhaupt gab, das über Frau und Kind bestimmen konnte?“ Eine feine Argumentationskette. Wahrscheinlich kommt die Hexenverbrennung auch bald wieder – so, wie die Kerle gerade drauf sind.

Das Binnen-I ist wenigstens bloß ärgerlich. Andere Rechte, die mit gleichem Bestemm verteidigt werden, schaden den Frauen sogar. Das niedrigere Pensionsalter zum Beispiel, einst von Johanna Dohnal erkämpft und damit ein Heiligtum, bringt ausschließlich Nachteile: Frauen haben weniger Pension als Männer, gelten früher als nicht mehr vermittelbar, werden schon mit 50 nicht zur Weiterbildung geschickt. Als Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner den bis dato letzten Versuch machte, den Status quo etwas schneller als geplant zu ändern, holte er sich eine Abfuhr: Die Gleichstellung zwischen Männern und Frauen sei noch lange nicht erreicht. Also muss auch sonst alles bleiben, wie es ist.

Vielleicht sollte man es öfter erwähnen: Der Feminismus ist eine beeindruckende Erfolgsstory. Dass er es werden konnte, liegt vor allem an der Entschlossenheit von Frauen, die sich mit Einschränkungen ihrer Freiheit, ihrer Rechte, ihres Lebensglücks nicht abfinden wollten. Und das Projekt ist nicht beendet, es gibt noch jede Menge Luft nach oben. Aber Frauenpolitik macht sich selber klein, wenn sie nur noch darum ringt, jeden Millimeter einmal errungenen Territoriums an noch so entlegenen Gestaden zu verteidigen.

Teile der Gender-Industrie haben sich von der Lebensrealität derart weit entfernt, dass nicht einmal mehr eine Kommunikation möglich ist. Im „Leitfaden geschlechter-gerechtes Formulieren“ der Akademie der bildenden Künste wird die Verwendung des Unterstrichs empfohlen (also zum Beispiel Mitarbeiter_innen). Und zwar, „um auf eine Vielfalt möglicher und bestehender Geschlechter zu verweisen und damit heteronormative Konstruktionen von Geschlecht und Begehren zu vermeiden“.

Das ist, bei allem Respekt, ein bisschen verrückt.

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