Bundespräsident Alexander Van der Bellen

Van der Bellen: "Gudenus? Das ist einfach lächerlich."

Van der Bellen: "Gudenus? Das ist einfach lächerlich."

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profil: Herr Bundespräsident, haben Sie das Anti-Raucher- oder das Frauenvolksbegehren unterschrieben? Van der Bellen: Ich glaube nicht, dass es Aufgabe des Bundespräsidenten ist, Volksbegehren zu unterschreiben. Aber es sind beides wichtige Anliegen.

profil: Sie sind für rauchfreie Lokale? Van der Bellen: Sicher. Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht: Rauchen ist eine Sucht und ein Laster, ich habe dieses Laster. Aber Nichtraucher sollen nicht belästigt werden.

profil: Ihre Versuche, mit dem Rauchen aufzuhören, haben Sie aufgegeben? Van der Bellen: Ich bin zu alt, um aufzuhören.

profil: Eine „Economist“-Journalistin wunderte sich neulich, dass sich der Protest gegen die ÖVP-FPÖ-Regierung heute am Rauchen entzündet. Warum ist die Stimmung so anders als im Jahr 2000? Van der Bellen: Die Ausgangslage ist gänzlich anders: Im Jahr 2000 hat die drittstärkste Fraktion den Kanzler gestellt, die stärkste Partei war in Opposition. Diesmal gibt es keinen Zweifel, dass die ÖVP als stärkste Partei den Bundeskanzler stellt.

profil: Steht die heutige FPÖ rechts von der FPÖ unter Susanne Riess-Passer? Van der Bellen: Persönlich kam ich mit Riess-Passer gut aus, auch wenn wir über die Einführung des Euro stritten. Auf hohem Niveau übrigens: Sie hatte ernstzunehmende Argumente gegen den Euro – im Gegensatz zu den deutschen Professoren, die von der FPÖ eingeflogen wurden. Die FPÖ damals und heute, das sollen andere beurteilen. Immerhin bemühen sie sich, trotz aller Ausrutscher auf unterer Ebene den latenten Antisemitismus in der Partei zu bekämpfen.

profil: Nehmen Sie der FPÖ das ab? Van der Bellen: Der Spitze schon.

profil: Johann Gudenus gehört als Klubobmann zur FPÖ-Spitze – und die Art seiner Kritik an George Soros ist als antisemitisch zu qualifizieren. Van der Bellen: George Soros ist für mich eine Person der Zivilgesellschaft und ein Philanthrop, der Millionen in Universitäten und demokratiefördernde NGOS gesteckt hat. Er war schon Gast bei mir in der Hofburg. Diese Kritik an ihm halte ich für völlig verfehlt.

profil: Wörtlich sagte Gudenus: „Es gibt stichhaltige Gerüchte, dass Soros daran beteiligt ist, Migrantenströme nach Europa zu unterstützen.“ Van der Bellen: Hat man Herrn Gudenus schon gefragt, was ein stichhaltiges Gerücht sein soll? Das ist einfach lächerlich.

profil: Lächerlich? Van der Bellen: Man muss nicht alles mit einem Bleigewicht behängen, was irgendein Politiker sagt. Soros sagte irgendwann, dass Europa ein demografisches Problem hat und auf Zuwanderung angewiesen ist. Mit der Meinung ist er nicht allein. Auch ich finde, er hat recht.

profil: Sie haben im November vor Botschaftern gesagt, Sie würden zwei Politiker nicht angeloben: Harald Vilimsky und Johann Gudenus. Van der Bellen: Woher wissen Sie das eigentlich?

profil: Haben Sie es denn nicht gesagt? Van der Bellen: Genau genommen habe ich gesagt: Vilimsky als Mitglied einer europafeindlichen Fraktion im EU-Parlament ist als Außenminister untragbar. Gudenus mit seiner Aussage „wenn wir den Innenminister haben, dann heißt es Knüppel aus dem Sack“ ist als Innenminister ein No-Go.

profil: Ist er als Klubobmann einer Regierungsfraktion tragbar? Van der Bellen: Das muss die FPÖ entscheiden. Aber was ich von derartigen Äußerungen halte, ist eindeutig.

profil: Bundeskanzler Sebastian Kurz hat zu Gudenus’ Äußerungen gesagt: Inhaltliche Kritik muss zulässig sein. Van der Bellen: Vielleicht fragen Sie unseren Bundeskanzler bei Gelegenheit, was ein stichhaltiges Gerücht seiner Meinung nach ist. Das täte mich sozusagen wissenschaftlich interessieren.

profil: Sie haben vor mehreren Antworten länger überlegt. Müssen Sie sich manchmal auf die Zunge beißen? Van der Bellen: Natürlich, weil der Bundespräsident eine bestimmte Rolle hat. Man erwartet von mir eine gewisse Ruhe und Gelassenheit, die bemühe ich mich durchzuhalten. Was ich mir beim ersten Kaffee manchmal denke, das bleibt bei mir.

profil: Unsere Aufnahmegeräte würden bereitstehen. Van der Bellen: Das ist aber schon mein dritter Kaffee.

profil: Kopftuchverbot im Kindergarten, Kürzung der Mindestsicherung, gestrichene Deutschkurse: Wie ordnen Sie die Regierung insgesamt ein? Van der Bellen: Auf der üblichen Skala würde man das als Mitte-rechts einordnen. Ich will nicht jede einzelne Maßnahme der Regierung kommentieren.

profil: Haben Sie Sorge, dass Integration vernachlässigt wird? Van der Bellen: Viele Menschen, die bei uns Zuflucht gesucht haben, werden bleiben. Was wir jetzt bei der Integration versäumen, wird uns in zehn, 20 Jahren auf den Kopf fallen. Es liegt in unserem Interesse, dass viele eine gute Ausbildung und einen guten Job haben und insbesondere für die Kinder genug getan wird. Das Bildungssystem bleibt aber insgesamt reformbedürftig. Hier brauchen wir einen nationalen Kraftakt.

profil: Inwiefern? Van der Bellen: Das Bildungssystem sollte Kindern die Neugier erhalten, es wird aber noch zu viel Wissen eingetrichtert. Ich will das Schulwesen nicht schlecht machen, es gibt Tausende engagierte Lehrerinnen und Lehrer – aber es gibt im Bildungssystem viel Verbesserungsbedarf, es geht nicht nur um Deutschklassen. Ich habe in acht Jahren Gymnasium nur eine einzige Redeübung gehalten. Seither hat sich einiges geändert, aber zu wenig.

profil: Sie haben in Ihrer Antrittsrede gesagt: „Die Österreicher warten auf notwendige Entscheidungen, die ihr Leben verbessern.“ Welche Entscheidungen erwarten Sie sich als Ökonomieprofessor in einer Phase der Hochkonjunktur? Van der Bellen: Ich war kürzlich auf einer China-Reise. Dort habe ich gesehen: eine phänomenale wirtschaftliche Entwicklung. Eine politische Struktur, die man als autoritär-bürokratisch klassifizieren kann. Eine politische Führung, die eine langfristige Strategie verfolgt. Es ist absehbar, dass China beim Bruttosozialprodukt die größte Wirtschaftsmacht, die USA, überholt. Wo bleibt Europa? Haben wir eine gemeinsame Außenpolitik? Nein. Haben wir gemeinsame Strategien? Nein. Mich erfüllt das mit tiefer Sorge, und ich hoffe, dass sich möglichst rasch herumspricht, dass wir aus der EU mehr machen müssen, dass wir eine Vision und ein Narrativ entwickeln müssen. Wenn nicht, dann werden wir Spielball zwischen den USA und China sein. Let’s face it.

profil: Was ist das Narrativ für Österreich? Die Funktion als angebliche Brückenbauer wurde von Russlands Außenminister Sergei Lawrow brüsk abgewehrt. Van der Bellen: Österreich, speziell Wien, hat schon einen sehr guten Ruf als Verhandlungsort, zuletzt bewiesen bei den Iran-Verhandlungen. Wenn Lawrow darauf hinweist, dass zum Verhandeln mehr als ein neutraler Dritter gehört, hat er natürlich recht. Aber es war kein schlechtes Angebot der Außenministerin.

profil: Wo soll sich Österreich in der EU einordnen – auf der Seite von Frankreichs Macron oder auf Seite der Visegrád-Staaten Osteuropas? Van der Bellen: Eindeutig bei Macron. Was haben die Visegrád-Staaten für ein Modell für Europa? Da gibt es nichts Elektrisierendes – obwohl das alle hochintelligente Politiker sind, Viktor Orbán inklusive.

profil: Haben ÖVP und FPÖ also recht, wenn sie immer wieder Orbán loben? Van der Bellen: Bei Orbán bin ich anderer Meinung. An allen Ecken Ungarns wird plakatiert, dass Soros an allem schuld sei. So werden Sündenböcke konstruiert.

Das wäre das Ende der journalistischen Freiheit des ORF. Das sollte uns alle besorgt machen.

profil: Dennoch wird der ORF, der kritisch über Ungarn berichtet, scharf von der FPÖ angeschossen. Van der Bellen: Es gibt einen Indikator dafür, wie gut ausgebildete Menschen eine Regierung empfinden, und das ist Zu- und Abwanderung. Ungarn ist seit Jahren deutliches Auswanderungsland – und es gibt dort besorgniserregende Vorgänge, insbesondere die Situation der Medien. Ich ziehe es vor, in einem Land zu leben, in dem es freie Medien gibt. Ich finde es wichtig, dass der ORF durch Gebühren finanziert wird, nicht über das Budget. Das wäre das Ende der journalistischen Freiheit des ORF. Denn wenn der ORF Jahr für Jahr auf Finanzierung aus dem Budget angewiesen ist, dann kann die Regierung jede ORF-Führung erpressen.

profil: Der künftige ORF-Stiftungsrat Norbert Steger droht, ein Drittel der ORF-Auslandskorrespondenten zu streichen. Van der Bellen: Das ist besorgniserregend. Wollen wir Provinz sein oder wollen wir wissen, was in Europa und der Welt los ist? Ich kann nur hoffen, dass alle anderen Medien diese Entwicklung sorgfältig beobachten. Das ist keine Angelegenheit zwischen Parteien und ORF, das geht uns alle an. Und sollte uns alle besorgt machen.

profil: Macht Sie auch Innenminister Herbert Kickl besorgt? Er schlägt vor, dass Asylanträge nur mehr außerhalb Europas möglich sein sollen. Wäre das ein Ende des Asylrechts? Van der Bellen: Die Genfer Flüchtlingskonvention steht bei uns im Verfassungsrang. Damit kann niemand spielen. Außerdem: Wie soll das funktionieren? Ich will mir nicht ausmalen, dass sich bei der österreichischen Botschaft in Damaskus Tausende anstellen und dabei bedroht werden. Eine zutiefst beunruhigende Vision. Was mich beruhigt: Wir haben stabile Institutionen, insbesondere den Verfassungsgerichtshof.

profil: Reicht das gegen rechte Skandale wie die Liederbuchaffäre? Sie haben die Liederbuchtexte als „zutiefst verabscheuungswürdig“ kritisiert – dennoch sind manche Verantwortliche zurück in Ministerien. Van der Bellen: Ich würde eher die Frage stellen: Wie lange dauert es, um festzustellen, wann diese Passagen im Liederbuch geschwärzt wurden? Das dauert echt Monate? Ich werde ungeduldig.

Die Rolle des Bundespräsidenten kann ja nicht sein, eine parlamentarische Opposition zu ersetzen.

profil: Sie können dagegen nur mahnen oder warnende Worte finden – und das auch nicht ständig. Van der Bellen: Das ist eine Gratwanderung. Wenn ich den Leuten als Moralapostel auf die Nerven gehe, dann hören sie nicht mehr hin. Der Bundespräsident kann nicht täglich die Leviten lesen.

profil: Haben Sie eine andere Rolle, weil die Opposition schwächelt? Van der Bellen: Die Rolle des Bundespräsidenten kann ja nicht sein, eine parlamentarische Opposition zu ersetzen.

profil: Verstehen Sie, dass manche von Ihnen enttäuscht sind? Van der Bellen: So viele werden es hoffentlich nicht sein.

profil: Sie haben in gefühlt 100 Fernsehdiskussionen gesagt, wie wichtig es ist, dass Sie hier sitzen und nicht Norbert Hofer. Was machen Sie anders, als es Hofer gemacht hätte? Auch Sie haben die Bestellung des umstrittenen Juristen Andreas Hauer als Verfassungsrichter unterschrieben. Van der Bellen: Die Bestellung der Verfassungsrichter ist tatsächlich eine der Rollen, wo der Bundespräsident eine gewisse Vetomacht hat. Er kann eine Unterschrift verweigern, muss dafür aber gute Gründe haben.

profil: Hauer hat gesagt, der Europäische Gerichtshof sei „für die multikriminelle Gesellschaft mitverantwortlich“. Van der Bellen: Ja, eine polemische Aussage. Aber Hauer ist auch ein anerkannter Verwaltungsrechtler, Professor an der Universität Linz. Und der Verfassungsgerichtshof ist ja keine Stammtischrunde, da wird juristisch hart argumentiert. Nach reiflicher Überlegung habe ich mir gedacht: Ich gebe ihm einen Vertrauensvorschuss.

profil: Sie haben also überlegt, nicht zu unterschreiben? Van der Bellen: Wie soll ich das möglichst kryptisch sagen?

profil: Uns ist möglichst direkt ohnehin lieber. Van der Bellen: Es war auch in diesem Fall so wie bei der Regierungsbildung, dass ich signalisiert habe, dass wir bei der einen oder anderen Person Schwierigkeiten haben werden.

profil: Sie meinen „Krone“-Kolumnisten Tassilo Wallentin? Van der Bellen: Kein Kommentar.

profil: Wundern Sie sich manchmal, was im Amt des Bundespräsidenten alles nicht möglich ist? Van der Bellen: Ach, die Macht des Bundespräsidenten wird schon überschätzt, aber nicht von mir. Ich bin nicht mit Illusionen darüber ins Rennen gegangen.

profil: War Ihr Einzug in die Hofburg ein Pyrrhus-Sieg, für den die Grünen bezahlen? Van der Bellen: Das glaub ich nicht. Mein Wahlsieg war kein grüner Sieg allein, nur mit den Stimmen der Grünen wäre ich nie hier gelandet. Bei den Grünen haben sich 2017 eine Menge von Einzelfehlern kumuliert, die zum Ergebnis führten, dass sie nicht mehr im Nationalrat sind. Ich bedauere das. Und in Innsbruck haben die Grünen gezeigt, was möglich ist.

profil: In Nachbarländern wie Italien zerbröseln Parteiensysteme. Werden die Grünen wiederkommen oder war das eine Modeerscheinung? Van der Bellen: Ich war lange genug dabei und habe mich nie als modisch betrachtet. Aber im Ernst: Die Parteiensysteme in Westeuropa sind mehr als volatil, das ist kein grünes Phänomen. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass Personen wichtiger werden als je zuvor – siehe Macron, der aus dem Stand französischer Präsident wurde.

profil: Als Sie 2016 als Bundespräsident kandidierten, witzelten Sie gerne: Sie seien 72, in China wäre Sie in dem Alter ein junger Hupfer. Die nächste Bundespräsidentenwahl findet 2022 statt. Treten Sie wieder an? Van der Bellen: Das überlege ich mir. Aber nicht jetzt. Alles zu seiner Zeit.

Interview: Eva Linsinger, Christian Rainer

Fotos: Philipp Horak

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin