Irmgard Griss
Warum wieder einmal die Frauenkarte gezückt wird

Bundespräsidentenwahl: Warum wieder die Frauenkarte gezückt wird

Wählen Frauen Irmgard Griss? Haben sie gar eine moralische Verpflichtung dazu? Eva Linsinger über die scheinheilige Genderfrage, die bei jeder Bundespräsidentenwahl verlässlich aufs Tapet kommt.

Drucken

Schriftgröße

Der Raum im Untergeschoß eines Wiener Ringstraßen-Luxushotels ist vergangenen Dienstag pink eingefärbt. "Frauen an die Macht!“, steht in grellen Lettern auf den wuchtigen Plakatbannern, vor denen Irmgard Griss noch filigraner wirkt als sonst. Die Bundespräsidentschaftskandidatin soll an diesem Tag, dem Frauentag, auf der Veranstaltung der NEOS erklären, warum "das Faktum Frau für sie kein Thema ist“, wie Wiener NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger nachgerade verdutzt fragt.

Irmgard Griss holt weit aus: "Ich komme aus der Juristerei, da spielt es keine Rolle, ob man ein Mann oder eine Frau ist.“ Dann: "Es gibt eine Untersuchung, wonach ich schlecht bei Frauen punkte.“ Und zum Schluss, leicht indigniert: "Offenbar zögern Frauen, Frauen zu wählen.“

Heide Schmidt ist schon einen Schritt weiter. Die ehemalige Chefin des verblichenen Liberalen Forums zögert nicht mehr; sie ist bereits entschlossen, Griss nicht zu wählen, und scheut sich keineswegs, Griss, die neben ihr sitzt, das recht unverblümt ins Gesicht zu sagen: "Politische Erfahrung gehört zum notwendigen Anforderungsprofil eines Bundespräsidenten. Mit Verlaub, die haben Sie nicht.“ Und: "Ich würde nie jemanden wählen, nur weil’s eine Frau ist.“

Existiert gar eine Art moralische Verpflichtung für Frauen, die männlichen Bewerber links und rechts liegen zu lassen und Griss ihre Stimme zu geben?

Wenn Madeleine Albright recht hat, dann landet Heide Schmidt mit Sätzen wie diesen in der Hölle. Dort ist, so die ehemalige US-Außenministerin, "ein besonderer Platz für die Frauen reserviert, die einander nicht helfen“. Albright versuchte damit reichlich brachial, Gefolgschaft für Hillary Clinton einzumahnen. Aber auch in Österreich wird diskutiert: Sticht die Frauenkarte? Ist es ein Ass für Irmgard Griss, die einzige Kandidatin mit nennenswerten Chancen auf den Einzug in die Hofburg zu sein? Oder ist es, im Gegenteil, eher ein Nachteil? Existiert gar eine Art moralische Verpflichtung für Frauen, die männlichen Bewerber links und rechts liegen zu lassen und Griss ihre Stimme zu geben?

Solche Fragen stellen sich in Österreich bevorzugt bei Bundespräsidentschaftswahlen. Bei anderen Urnengängen stehen Parteien, ihre Ideologien, ihre strategischen Positionierungen und ihre Wahlversprechen im Vordergrund. Bei der Bundespräsidentschaftswahl gelten andere Kriterien: Nur die Nummer eins der Republik wird direkt gewählt, nur bei dieser Frage gilt es, qua Persönlichkeit die p. t. Wählerinnen und Wähler davon zu überzeugen, als moralische Autorität in der Hofburg überzeugen zu können.

Die Verfassung aus den 1920er-Jahren schreibt dem Bundespräsidenten schier unermessliche Macht zu. Theoretisch könnte Amtsinhaber Heinz Fischer (wie alle seine Vorgänger) jederzeit die Regierung entlassen und einen x-beliebigen Passanten zum Bundeskanzler ernennen. In der gelebten Praxis ist der Aktionsradius wesentlich eingeschränkter - und eignet sich nur sehr bedingt für Wahlkampfslogans. Mit welchen vollmundigen Versprechungen kann ein Bundespräsident in spe schon um Stimmen buhlen? Ordensverleihungen spektakulär anders zu gestalten? Ernennungsurkunden grafisch völlig neu zu gstalten? Die Fernseh-Neujahrsansprache auf eine volle Stunde auszudehnen? Nicht ohne Grund erschöpfen sich die Ankündigungen aller Bewerber um das höchste Staatsamt darin, "aktiv“ sein zu wollen - und, mit schwankendem Glaubwürdigkeitsgehalt, total "unabhängig“. Irmgard Griss verfügt zudem über das Unterscheidungsmerkmal, möglichst auch noch "die Erste“ zu sein, wie auf ihren Ansteckbuttons steht: die erste Frau im Bundespräsidentenamt.

Deutschland hat seit 2005 eine Kanzlerin, Großbritannien stellte schon in den 1980er-Jahren eine Premierministerin: Margaret Thatcher. In Österreich schaffte es noch nie eine Frau ins Bundeskanzleramt oder in die Hofburg. Dennoch zückt Irmgard Griss die Frauenkarte eher verschämt.

Manche ihrer Vorgängerinnen waren wesentlich ungenierter. Am eindringlichsten appellierte Außenministerin Benita Ferrero-Waldner, von der ÖVP im Jahr 2004 gegen Heinz Fischer ins Rennen geschickt, an die Solidarität ihrer Geschlechtsgenossinen. Auf jedem ihrer Wahlplakate prangte groß "Die Erste“. Die ÖVP berief sich demonstrativ auf Umfragen, wonach es 42 Prozent der jüngeren, berufstätigen Frauen als "sehr wichtig“ erachteten, dass nicht ausschließlich Männer das Bundespräsidentenamt ausübten.

Ferrero-Waldners Kandidatur fügte sich nahtlos in das Schema der Volkspartei, Gleichberechtigung in der Theorie zwar für nicht vordringlich zu erachten, aber in der Kategorie "die erste Frau“ zu glänzen. Die ÖVP stellte mit Grete Rehor im Jahr 1966 während ihrer Alleinregierungszeit die allererste Ministerin, hievte 1986 mit Marga Hubinek die erste Frau ins Nationalratspräsidium (legendär begrüßt von SPÖ-Gewerkschafter Anton Benya mit "Jössas, a Weib“) und kürte mit Waltraud Klasnic 1996 die erste Landeshauptfrau, die allerdings Wert darauf legte, mit "Landeshauptmann“ tituliert zu werden.

Für Ferrero-Waldner erwies sich der vermeintliche Frauenbonus als trügerisch. Bei älteren Frauen, die eine eher traditionelle Sicht der Geschlechterrollen pflegen, lag Heinz Fischer weit voran, für eher progressive Frauen wiederum ging die Kandidatin nicht als Rollenmodell durch. Die Leider-doch-nicht-Erste quittierte ihre Wahlniederlage undiplomatisch mit: "Die linken Emanzen haben mir geschadet.“

Die SPÖ erhebt gerne den Alleinvertretungsanspruch für Frauen- und Gleichberechtigungsfragen, lässt in der Praxis aber dann doch Männer vorangehen.

Das war pampig und wehleidig, aber nicht völlig falsch. Im Grunde propagieren vor allem Sozialdemokratinnen die von der früheren Frauenministerin Johanna Dohnal ausgegebenen Devise "Frau sein allein ist kein Programm“, wenden diesen Grundsatz aber bevorzugt auf Kandidatinnen anderer Parteien an. Dahinter steckt einerseits die Idee, dass Frauensolidarität stets an einen gewissen frauenrechtlerischen Anspruch gekoppelt sein müsse - und andererseits an ein gehöriges schlechtes Gewissen.

Die SPÖ erhebt gerne den Alleinvertretungsanspruch für Frauen- und Gleichberechtigungsfragen, lässt in der Praxis aber dann doch Männer vorangehen. Schon anlässlich der Bundespräsidentschaftswahl im Jahr 1998 tönte die damalige Frauenministerin Barbara Prammer energisch: "Die Zeit ist reif für eine Frau.“ Viel Gehör in ihrer Partei fand sie nicht; die SPÖ verzichtete damals auf eine eigene Kandidatur und überließ Thomas Klestil das Feld. Dafür traten die evangelische Bischöfin Gertraud Knoll mit dem Slogan "Politik mit Gefühl“ und LiF-Politikerin Heide Schmidt mit "Politik mit Verstand“ an. Beide punkteten respektabel unter Wählerinnen und brachten die SPÖ in Argumentationsnotstand, warum sie keine Frau aufgestellt hatte. Wie zum Trost versprach der damalige SPÖ-Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas vollmundig, dass es beim nächsten Mal anders werde: "2004 wird die SPÖ bei der Bundespräsidentenwahl eine Frau kandidieren lassen. Dafür setze ich mich ein.“ Leider konnte sich Rudas 2004 nicht mehr für viel einsetzen; er hatte 2000 in die Privatwirtschaft gewechselt. Heinz Fischer war der SPÖ-Kandidat für die Hofburg. Diesmal ist es Rudolf Hundstorfer.

Damit stellen sich dieselben Fragen wie schon 2004. Ist es schon ein Wert an sich, wenn eine Frau ein Amt bekommt - oder muss sie auch emanzipatorische Positionen vertreten? Kommen Frauen auch in die Hölle, wenn sie 2010 nicht für FPÖ-Bundespräsidentschaftskandidatin Barbara Rosenkranz votierten? Und dürfen Männer eigentlich wählen, wen sie wollen, ohne dass daran Himmel-Hölle-Fragen gekoppelt sind? Gewiss ist, dass Frauen in Österreich seit den 1970er-Jahren viel stärker zu SPÖ und Grünen tendieren als Männer.

Alice Schwarzer, Ikone und Hassfigur des deutschen Feminismus, hat die kniffligen Fragen der Frauensolidarität längst beantwortet. "Wir sind Kanzlerin“, jubelte ihre Zeitung "Emma“, als Angela Merkel die Wahl gewonnen hatte. Und selbst Margaret Thatcher, von deren Regierungsprogramm sie wohl nicht hundertprozentig begeistert war, hielt sie zugute: "Ist doch prima, wenn sich britische Mädchen nicht mehr bloß überlegen müssen, ob sie Verkäuferin werden wollen oder Friseurin. Sondern auch - Premierministerin oder Queen?“

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin