Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Kridaverbrechen

Kridaverbrechen

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Das Finanzministerium ist kein Bauunternehmen in Att­nang-Puchheim, und Maria Fekter hat daher keine Ahnung von der Finanzwelt. Das ist doch ein wenig schade und bleibt angesichts der größten Finanzkrise Europas seit dem Zweiten Weltkrieg nicht unbemerkt. Da etwa: Mittags-„ZiB“ am Freitag der vergangenen Woche. Fekter wird gefragt, ob österreichische Banken vom Forderungsverzicht gegenüber Griechenland betroffen sind. Sie antwortet: „Ja, der Forderungsverzicht trifft die Kommunalkredit. Die gehört ja dem Steuerzahler. Da geht es um eine Milliarde. Zwanzig Prozent davon sind 200 Millionen. Da muss man sehr vorsichtig sein, wer das jetzt zahlt.“ Was also jetzt? (Das hat die ORF-Redakteurin leider nicht gefragt.)
Im ORF-„Mittagsjournal“ – eine halbe Stunde davor – hat Fekter gesagt: „Das griechische Engagement der Kommunalkredit ist eine Milliarde Euro, die mögliche Abwertung kann zehn bis 15 Prozent betragen, und bei einer Milliarde sind zehn Prozent schon 100 Millionen. Das muss man wissen.“ Was also jetzt?

Übereinstimmende Meldung der Nachrichtenagenturen: Insgesamt 30 Institute bieten ihre Unterstützung für eine Privatbeteiligung am zweiten Griechenland-Rettungspaket an. Die Liste reicht laut Internationalem Bankenverband von der Allianz über Munich Re bis zur Koreanischen KB Financial Group. Aus Österreich ist keine Bank vertreten. Was also jetzt?

Das Freundlichste, was man über die Finanzministerin sagen kann: Sie schwindelt nicht, sie hat bloß keine Ahnung, wovon sie spricht. Immer noch besser als das Urteil über Politiker, die mit Absicht flunkern.

Leicht zu erraten: Ich mache die Politiker verantwortlich für die Finanzkrise und nicht die Banken – im Gegensatz zu Peter Michael Lingens auf Seite 104 dieses Magazins („Wie blöd dürfen Banker sein?“). Ein Widerspruch? Nur eine andere Sichtweise. Dem folgenden Satz von Lingens stimme ich nämlich zu: „Die Banker sind nicht blöd – sie verlassen sich vielmehr auf die Blödheit einer Politik, die es ihnen ermöglicht, jegliches Risiko ständig auf den Steuerzahler abzuwälzen.“ Und auch diesem Satz: „Man muss den Banken riskante – ,systemgefährdende´ – Geschäfte unmöglich machen.“
Eben. Die Kreditinstitute und alle anderen nicht staatlichen Spieler auf den Finanzmärkten bewegen sich nach den Regeln, die ihnen von der Politik vorgegeben werden. Unter diesen Bedingungen versuchen sie, möglichst hohe Renditen zu erwirtschaften. Es ist (und war) die Aufgabe der Gesetzgeber, solide Grenzen vorzugeben, die eine Finanz- und eine Eurokrise nicht zulassen: die Aufgabe von direkt und indirekt gewählten Parlamenten, die wiederum auf Initiative von Regierungen handeln. Und es sind Institutionen des Staats, die für die Kontrolle dieser Regeln zuständig sind (und waren): Finanzmarktaufsicht, Nationalbank, EZB, EU-Behörden, Gerichte. Dass diese Regeln weder ausreichten noch erfolgreich kontrolliert wurden, ist offensichtlich.

Hinzu kommt zweitens: Bei der Finanzkrise, die ab der Lehman-Pleite im September 2008 die Welt erschütterte, standen Banken mit einiger Berechtigung primär in der Kritik (aber auch diese hatten im Rahmen von Gesetzen gehandelt). Bei der Eurokrise sind die Banken aber nur sekundär betroffen, nämlich als Gläubiger von Staaten. Jetzt sind es nicht Hypothekarkredite an private Kunden sowie komplexe Geldprodukte, die an den Rand des Zusammenbruchs der Geldwirtschaft führten. Es sind vielmehr Kredite, die auf Initiative und im Namen von Politikern vergeben wurden.

Für die maßlose Verschuldung und die daraus folgende Zahlungsunfähigkeit von Staaten sollen die Banken verantwortlich sein, welche die Kreditwürdigkeit dieser Länder (und die Vertrauenswürdigkeit von Regierungen) nicht ausreichend berücksichtigt hätten? Da sind wohl die Politiker selber schuld.

Zumal diese Politiker – drittens – in einem Ausmaß gebogen und gelogen haben, das bei privaten Kreditnehmern strafrechtlich relevant wäre: Was sonst als betrügerische Krida ist die Pleite Griechenlands, wo die Mitgliedschaft im Euroraum mit gefälschten Zahlen erschlichen wurde? Wie anders als fahrlässige Krida kann man die sukzessive Neuverschuldung von Irland bezeichnen? Und trägt der wiederkehrende Bruch der Maastrichtkriterien durch Österreich und andere nicht die Handschrift von Serientätern?

Ein anderer Blickwinkel als Peter Michael Lingens – und ein Widerspruch in der moralischen Wertung: Die Banken verlassen sich nicht auf die „Blödheit“ von Politikern, vielmehr auf deren Unverfrorenheit. Mag Frau Fekter wenig Schimmer von den Dingen haben, die am Donnerstag der vergangenen Woche beschlossen wurden, so haben die meisten Politiker wohl eine Ahnung davon, was es heißt, blindlings Schulden aufzunehmen, um damit Wähler zu kaufen.

Ein Hohn daher: dass eben diese Politiker dann auch noch die Finanzmärkte und Spekulanten für die Eurokrise verantwortlich machen.

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