Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Nachwahlparadoxon

Nachwahlparadoxon

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Die Bandbreite der Kommentare zur Nationalratswahl:
Es war eine Denkzettelwahl. Die Koalition wurde abgestraft. Es war eine Protestwahl. So schlecht, wie das Ergebnis vermuten lässt, war die Arbeit der Regierung auch wieder nicht. Die Regierung bekam die Rechnung für ihre Arbeit präsentiert. Ein Rechtsruck. Kein Rechtsruck. Jetzt muss sich etwas ändern.

Sehr hilfreich auch die Hinweise darauf, was sich denn jetzt konkret ändern soll:

Die Große Koalition ist zum Weitermachen verdammt. Die Große Koalition ist am Ende. SPÖ und ÖVP sollen eine dritte Partei dazunehmen. Eine dritte Partei in der Regierung ist unrealistisch. SPÖ und ÖVP sollen einen Minister von den NEOS nehmen. Ein Minister von den NEOS ist unrealistisch. Es braucht einen koalitionsfreien Raum. Ein koalitionsfreier Raum funktioniert nie.

Ja, und natürlich: Die ÖVP soll mit den Blauen und Stronach eine Regierung bilden.

Die Orientierungslosigkeit ist also groß. Aber zumindest das Stampede-Szenario einer rechts reitenden Regierung scheint vom Tisch. Wenn auch auf irritierende Weise – nicht nämlich, weil der innewohnende Irrsinn diagnostiziert worden wäre: Hatten doch im Gegenteil gleich nach der Wahl erstaunliche und erstaunlich viele Menschen aus konservativen wie auch liberalen Zirkeln begonnen, heißblütig mit dieser Option zu kokettieren. (Ich erspare den Damen und Herren die Namensnennung zu diesem Zeitpunkt, werde sie bei guter Gelegenheit an ihre naiven und eitlen Vorbringungen erinnern.)

Vom Tisch ist die Rechtsregierung also nicht wegen Strache, sondern wegen Stronach. Die Lachnummer (Copyright: profil) macht jetzt die Rachenummer: Er will sein Auftrittsgeld zurück. Er entlässt seine Subdirektoren. Mit einem rechtsradikalen Politiker wäre ein Staat zu machen, so scheint die sich entwickelnde Meinung neu zu meinen, mit dem kleinen Diktator aus Ebreichsdorf aber nicht. (Blöd für die ÖVP übrigens, deren „Wir halten uns eine zweite Option offen“ grad nach Kanada abgehauen ist.)

Bleibt in der Folge eine Orientierungssuche, die sich nun wieder ganz auf die Große Koalition konzentrieren muss. Klar ist ja auch: Einen freiwilligen Dreier gibt es in der Politik nicht; selbst wenn es ihn gäbe, wäre eine derartige Familienaufstellung für den Wähler nicht attraktiver als das klassische Modell aus dem Katalog der schlechten Ehen.
Und um die Frage, wie diese Verbindung von Sozialdemokraten und Volkspartei Sex-Appeal gewinnen kann, geht es. Es ist eh bloß die Schicksalsfrage für Österreich. Denn wenn die Übung nicht gelingt, werden die beiden 2018 ihre Mehrheit verloren haben. Da das BZÖ und das Team Stronach schon jetzt nur rudimentär und bei den nächsten Wahlen gar nicht mehr existieren, gibt es für den naiven, den dummen und den skrupellosen Protestwähler 2018 nur die Option H. C. Strache. Womit die FPÖ größte Partei wäre, mit einiger Wahrscheinlichkeit in einer Regierung – und Strache unter Umständen Bundeskanzler.

Leider hat sich im zurückliegenden Wahlkampf gezeigt, dass die Kritik an der Regierung zu kurz griff, um daraus eine Handlungsanweisung für die kommende, die wieder die alte sein wird, zu gewinnen. Diese Kritik – meist von uns Journalisten geäußert – lautete: untätig, keine Visionen, zerstritten, man solle sich doch ein Beispiel an der resoluten Angela Merkel nehmen. Die Steiermark hat uns eines Besseren belehrt: Eifer, Perspektive, Eintracht (und ein paar Deka Charme beim Landeshauptmann). Das trug dennoch nur verfaulte Früchte: Die FPÖ wurde stärkste Kraft im Land. Der gemeine Steirer hatte sich entschlossen, irrational zu wählen: für die Verteilung von Geld, das es nicht zu verteilen gibt; gegen Politiker, die dann doch mal Politik machen wollen.

Das Paradoxon: So kann es nicht weitergehen, anders aber auch nicht. Eine untätige Koalition wurde für ihre Untätigkeit hergefotzt. Wenn sie jetzt beginnt, den Haushalt in Ordnung zu bringen und das Schulsystem, dann droht ihr erst recht der Untergang. (Zumal die Wirtschaftslage ungefähr so schnell besser werden wird wie das Weltklima.)

Lösung? Schwierig. Vielleicht hilft gegen einen wie Strache am Ende doch nur Charisma. Und sei es das Charisma von Koalitionsparteien, mit denen man ab 2018 ohne Bedenken regieren kann.

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