Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Neuwahlen!

Neuwahlen!

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Heute machen wir ein Gedankenexperiment. Wir schreiben Neuwahlen aus. Anlass dafür gäbe es ja genug. Die Dinge haben sich geändert. Rebus non sic stantibus. Frank Stronach hat sich im Jubel über das Wahlergebnis in Luft aufgelöst. Der alte Mann ist nicht mehr. Nein, eigentlich doch noch: In dieser Woche soll er ja einen Höflichkeitstermin mit Heinz Fischer absolvieren. Hoffentlich kommt er dabei auf keine dummen Gedanken, überlegt nicht eine Kandidatur bei der Bundespräsidentenwahl 2016. Obwohl – er würde jetzt schon als Profipolitiker gelten. Die Kredite für den Wahlkampf könnte er gleich an sich selbst vergeben und auch bei sich eintreiben. Notfalls mit Hilfe des Bundesheeres, sobald er gewonnen hat. Außerdem ist vom Team Stronach nicht nur Stronach abgehend, sondern auch der Großteil des Teams abgängig. Da darf man also mit Fug und Recht behaupten, dass die Partei, die nun ins Parlament kommt, nicht die Partei ist, die angetreten war.

Dann die Causa Lindner. Atemraubend. Auf die Liste für den Alten. Weg vom Team wegen des Alten. Dennoch weiter auf der Liste. Verspricht, das Mandat nicht anzunehmen. Nimmt das Mandat doch an. Wir ersparen uns wegen Platzmangels eine Charakterstudie (besser: eine Charaktersuche). Jedenfalls ein Schwindel, schwindelerregend. Eine Wählertäuschung, ein Missbrauch der Bundesverfassung.

Schließlich das BZÖ. Das gibt es jetzt nur mehr auf dem Papier, aber immerhin mit einem neuen Obmann. Ironie des Schicksals: Stefan Petzner und Ewald Stadler, die bisher wenig miteinander gemein hatten, sind jetzt eine Schicksalsgemeinschaft, beide wegen „parteischädigenden Verhaltens“ (Wie schädigt man eine Nichtmehrpartei?) aus dem BZÖ ausgeschlossen worden. Zugegeben: Dass Parteien zerfallen, wenn sie nicht mehr im Parlament vertreten sind, kommt vor. Allerdings selten bei einer Bewegung, die von einem Mann gegründet wurde, vor dem halb Europa zitterte.

Also: Vieles ist anders als vor dem 29. September. Die politische Landschaft wurde nicht nur mit dem Wahlergebnis umgepflügt, auch durch die pathologischen Reaktionen einiger Politiker auf dieses. Daher nochmals: Was wäre, wenn wir Neuwahlen hätten? SPÖ und ÖVP erklären ja, dass eine Große Koalition keineswegs sicher sei. Eine Rechtsregierung wird es – wegen der Desastertruppe Stronach – nicht geben. Bliebe nur eine Minderheitsregierung. Die würde schnell gestürzt. Also auch Neuwahlen. Was passiert?

Da haben öffentliche und veröffentlichte Meinung in den vergangenen Wochen stark gedreht. Unmittelbar nach der Wahl hieß es, das Ergebnis sei sicher kein Rechtsruck; internationale Medien, die einen solchen konstatierten, irrten. Denn weder Team Stronach noch das BZÖ seien rechte Parteien, deren Stimmen daher auch nicht dem rechten Spektrum zuzuschlagen. Und die FPÖ sei ja bloß Dritter, weit entfernt etwa vom Wahlresultat des Jahres 1999. Das war Haarspalterei. Inzwischen rechnet eine gefühlte Mehrheit im Land damit, dass Heinz-Christian Strache bei der nächsten Wahl auf dem ersten Platz landen wird – wohl unter dem Eindruck des zerfallenden Team Stronach und der einander trotzig belauernden Sozialdemokraten und Volkspartei.

Bei der nächsten Wahl also, und die wäre dann jetzt. Und da spricht wenig dafür, dass die Protestwähler des inexistenten Team Stronach plötzlich brav nach Staatsräson wählen, dass die BZÖ-Wähler nicht historisch korrekt für die FPÖ stimmen, dass die daheimgebliebenen Sozis und Konservativen nun doch von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen.

Es spricht demnach alles dafür, dass die Freiheitlichen schon jetzt zur stärksten Kraft im Land würden, dass sie es in Wahrheit bereits sind und nicht erst 2018.

Wir werden keine Neuwahlen erleben. Das Ende von SPÖ und ÖVP naht schleichend, nicht aber durch Selbstmord. „Wenn sich nichts ändert“, wie stets hinzugefügt wird, worauf aber ohnehin niemand baut.

Was sollte sich denn auch ändern? Es fehlt jeder finanzielle Bewegungsraum. Nichts kann mehr verteilt werden, im Gegenteil muss der Bevölkerung per Einsparungen vieles genommen werden. Die Steuern müssen steigen, das Pensionsalter auch. Und ob endlich gemeinsame Schulpolitik gemacht wird oder nicht, hat noch keine Wahl entschieden.
Blieben also nur Faktoren wie Leadership und Charisma. Die haben mehr Gewicht als kluge Gestionierung der Realpolitik. Darauf muss man bei Faymann und Spindelegger nunmehr setzen. Fazit: Keine Neuwahlen. Am besten möglichst lange keine Wahlen.

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