Codename „Minerva“
Der Mann hat als Investmentbanker in Österreich einen ebenso guten Namen wie in London. Sein derzeit größtes und brisantestes Projekt ist die Privatisierung der VoestAlpine AG.
Interessanterweise handelt es sich dabei um ein Projekt, das offiziell gar nicht existiert. Offiziell "befasst sich" mit der Privatisierung der Voest laut Auskunft der ÖIAG derzeit auch "definitiv keine Investmentbank" (ÖIAG-Sprecherin Viktoria Kickinger). Auf ausdrücklichen Wunsch von Karl-Heinz Grasser, des Eigentümervertreters der ÖIAG, kommt die Voest auch im ÖIAG-Privatisierungsfahrplan 2003 nirgends vor. Frühere Vorschläge des ÖIAG-Vorstands, die diesem Eigentümerwunsch nicht entsprachen, wurden vom Finanzminister Anfang Juni für hinfällig erklärt.
Weit und breit gibt es also offiziell kein "Privatisierungsprojekt Voest" - und dennoch tagt seit ein paar Wochen in der ÖIAG zu exakt diesem Thema eine Arbeitsgruppe. Beide ÖIAG-Vorstände, Peter Michaelis und Rainer Wieltsch, nehmen an ihr teil; die Leitung der Projektgruppe liegt in den Händen besagten Investmentbankers: Bei ihm handelt es sich um Walter Schuster, Auslandsösterreicher und Manager der Investmentbank JPMorgan in London. Auch wenn die "offizielle" ÖIAG dementiert, dass eine Investmentbank mit der Voest-Privatisierung befasst sei, so wurde JPMorgan in dieser Causa doch zumindest inoffiziell von der Staatsholding als "Berater" angeheuert.
Wobei die Crux dieser brisanten Angelegenheit in dem ganz speziellen Ziel liegt, das sich die Projektgruppe gesetzt hat. Hier werden nicht abstrakt verschiedene Möglichkeiten einer Voest-Privatisierung sondiert. Hier geht es deklariertermaßen und ganz konkret darum, Wege zu ersinnen, die Voest in die Arme von Frank Stronach zu treiben. Der klarste, auch nach außen hin sichtbare Beweis dafür ist die Tatsache, dass besagter Arbeitsgruppe neben dem Investmentbanker Schuster und den ÖIAG-Vorständen auch zwei kanadische Manager des Magna-Konzerns angehören.
Angepeilt wird laut Arbeitsgruppen-Unterlage ein "zumindest 90-prozentiger" Verkauf der Voest an Magna. Wobei den Mitgliedern der Arbeitsgruppe ebenso klar ist wie dem Finanzminister, dass die Konsequenz dessen, worauf die Gruppe hinarbeitet, eine Filetierung des Voest-Konzerns und somit unverrückbar das Ende der Voest - so wie man sie als erfolgreiches integriertes Unternehmen seit ihrem ersten Börsengang 1995 kennt - darstellt.
Noch stehen Grasser und ÖIAG nicht öffentlich zu diesem Ziel und diesem Projekt. Dass Grasser Verkaufsgespräche betreffend eine Übertragung von neun Prozent aus dem ÖIAG-Aktienpaket an der Voest an heimische Finanzgruppen (der ÖIAG-Vorstand dachte daran, diese neun Prozent noch heuer zu verkaufen) Anfang Juni stoppte, hat die ÖIAG-Vorstände spürbar verunsichert. Welche Rolle Grasser und welche der ÖIAG-Aufsichtsratspräsident Alfred Heinzel in dem zurzeit generell völlig unübersichtlichen Privatisierungsgeschehen spielen, scheint für Michaelis & Wieltsch nicht wirklich interpretierbar zu sein. Jedenfalls behält sich der Minister in allen großen Privatisierungsfragen neuerdings das letzte Wort vor, die Repräsentanten der ÖIAG nehmen das stumm zur Kenntnis. So kommt ihnen jetzt auch zur Voest kein Wort über ihre Lippen.
No comment. ÖIAG-Sprecherin Kickinger will die profil vorliegenden Informationen jedenfalls nicht dementieren: "Zur Existenz oder Nichtexistenz der Projektgruppe, von der Sie sprechen, gibt es von uns keine Aussage. Kein Kommentar."
Und natürlich braucht jedes klandestine Projekt auch einen Codenamen - die Geheimaktion "Voest an Stronach" ist da keine Ausnahme. Keiner, sei es in der ÖIAG, sei es bei JPMorgan, sei es bei Magna, würde offen die Namen der Unternehmen aussprechen, um die es wirklich geht. Kryptisch ist vielmehr nur vom "Projekt Minerva" die Rede. Wobei in dieser Namensgebung offenbar jener Spieltrieb zum Ausdruck kommt, den auch trockene Manager nicht unterdrücken können, wenn es sich um Decknamen, Geheimprojekte und die Aussicht auf richtig großes Geld handelt: Das "M" im Wort Minerva stehe für Magna, das "va" am Wortende sei die Abkürzung von Voest, gibt ein mit dem Projekt vertrauter Manager kichernd preis.
Minerva befindet sich zurzeit laut Unterlagen erst im Stadium einer "ersten Detailprüfung" der Thematik. So werden etwa prinzipielle Möglichkeiten für die Art aufgezählt, wie man den Eigentümerwechsel angehen könne. Demnach wäre es möglich, dass die ÖIAG ihre Voest-Anteile entweder per "Auktion", per "direktes Übernahme-Angebot" oder per "Aktienverkauf" loswird. Bei den meisten aller möglichen, unter diesen drei "Grundmodellen" zusammengefassten Verkaufsvarianten sei damit zu rechnen, dass eine Ausschreibung notwendig wird, glaubt die Arbeitsgruppe. Allerdings wurden auch schon Verkaufsvarianten ausfindig gemacht, bei denen die ÖIAG um eine solche Ausschreibung herumkäme.
Spätestens seit Voest-Generaldirektor Franz Struzl Mittwoch vergangener Woche öffentlich erklärt hat, dass er ein - mit einem Verkauf an Magna unvermeidlich verbundenes - Zerschlagen der Voest für grundlegend falsch halte, ergehen sich alle industriell Interessierten in Vermutungen, worauf ein Filetieren konkret hinausliefe.
Klar ist, dass Magna nur den "automotiven" Teil der Voest haben möchte. Zwar dürfte Magna-Topmann Siegfried Wolf (er sitzt pikanterweise auch im ÖIAG-Aufsichtsrat) da und dort den Eindruck erweckt haben, Magna würde dann eben "rückwärts integrieren" - sprich: das Stahlwerk in Linz und die Produktion veredelter Bleche behalten und selber betreiben.
Doch nimmt keiner eine solche Ansage für bare Münze. "Magna würde nach zwei, drei Jahren das Stahlwerk und die Blechproduktion hundertprozentig an irgendeinen internationalen Stahlkonzern weiterverklopfen", sind Fachleute überzeugt.
Zwar geben sich die meisten Kenner der europäischen Stahlbranche überzeugt, dass sich innerhalb der EU kein Kaufinteressent für das Werk Linz finden werde, der bereit sei, dafür einen vernünftigen Preis zu zahlen. Denn nach wie vor gebe es am europäischen Stahlmarkt Überkapazitäten. Andere Stahl-Leute allerdings hielten es für "durchaus plausibel", wenn sich der Thyssen/Krupp-Konzern in Linz engagierte: "Die Thyssen/Krupp-Leute sind, wenn auch sehr selektiv, nach wie vor auf der Suche nach Erweiterung. Und sie haben sich schon in der Vergangenheit für die Voest interessiert. Warum sollte dieses prinzipielle Interesse erloschen sein?"
Aufstand. In Linz beziehungsweise im Land Oberösterreich bräche ein wahrer Aufstand los, sollte die Regierung ausgerechnet das Paradeunternehmen Voest tatsächlich zur Zerschlagung freigeben, glauben viele. Andere, die Frank Stronachs Fähigkeiten kennen, sich öffentliche Körperschaften mit finanziellen Zuwendungen zu Willen zu machen, bezweifeln das. "Wenn Stronach zum Beispiel als Kultursponsor viel Geld in Aussicht stellt, um Linz bei der Kandidatur für die EU-Kulturhauptstadt 2009' unter die Arme zu greifen, und wenn er gleichzeitig den Linzer Stadtvätern klar macht, dass dieses Geld nur fließt, wenn sie ihm helfen, die Voest zu kriegen - dann bin ich nicht ganz sicher, ob sich die Linzer Stadtväter und der oberösterreichische Landeshauptmann in Wien für einen Erhalt der Voest stark machen", meint ein Kenner der Gepflogenheiten und setzt hinzu: "Frankie-Boy amerikanisiert auch in Österreich die Gebräuche."
In Kanada ist er längst dafür bekannt, nicht nur ausgeschiedene Politiker gekonnt zu instrumentalisieren, sondern auch aktive Vertreter dieses Gewerbes seinen Anliegen gegenüber freundlich zu stimmen: Nachdem schon der Premierminister der Provinz Ontario in einem Wahlkampf mit gröberen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, zu Stronach, dem großen Sponsor seiner Partei, ausreichend Distanz zu demonstrieren, hat dieses Problem im Frühjahr auch den Finanzminister der Provinz Ontario ereilt. Der hielt am 27. März seine Budgetrede nicht im Parlament, sondern - auf Stronachs großzügige Einladung - in der entsprechend aufgemotzten Werkshalle einer Magna-Fabrik. Seither schwelt in Kanada der Volkszorn ob solch politischer Degenerationserscheinungen in Richtung "Magna-Demokratie" - wie das die Tageszeitung "Toronto Star" nennt.
Donawitz. Das Problem könnten aktive Politiker auch in Österreich bald kennen lernen. Allerdings nicht der steirische Wirtschaftslandesrat Herbert Paierl: Der bekundet nämlich, was die steirischen Voest-Gesellschaften anlangt, schon seit längerer Zeit ein Interesse des Landes, sich dort zu beteiligen. Paierl könnte also einem Abspalten der steirischen Werke von sich aus etwas abgewinnen. Der ÖIAG-Magna-Arbeitskreis hat nun eine "Untergruppe Steiermark" gegründet, die der Industrielle Cornelius Grupp leitet. Der pflegt darauf hinzuweisen, dass die steirischen Voest-Werke "leicht von Linz loszulösen wären". Tatsächlich sind die weiterverarbeitenden steirischen Voest-Betriebe, anders als die "Profile"-Sparte der Voest in Krems, nicht von in Linz erzeugtem Rohstoff abhängig.
Was allerdings die maßgebliche Rolle von Cornelius Grupp beim Erarbeiten eines Zerschlagungskonzepts für die Voest äußerst pikant macht, ist die Tatsache, dass er gleichzeitig als Aufsichtsrat der Voest fungiert. Für einen solchen erscheint es eigentlich ganz unangemessen, die Beschlüsse dieses Gremiums in Geheimaktionen zu konterkarieren oder zu unterlaufen. Immerhin hat sich der Voest-Aufsichtsrat auf die Strategie der Voest als integrierter, in den Weiterverarbeitungsstufen offensiv expandierender Konzern eingeschworen, während die Absichten der ÖIAG-Magna-Projektgruppe dazu in diametralem Widerspruch stehen. Darüber hinaus hat Cornelius Grupp schon in der Vergangenheit deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er als Privatindustrieller an einer Übernahme des steirischen "Eisenbahntechnik"-Teils des Voest-Konzerns sehr interessiert sei. Dem Vernehmen nach ist dieses Interesse bis heute nicht erloschen, was die Frage aufwirft, ob Grupps Vorgehen mit seiner Rolle als Voest-Aufsichtsrat noch kompatibel erscheint.
Die Kompatibilitätsfrage stellt sich, wenngleich weniger massiv, auch bei Michaelis und Wieltsch, die beide ebenfalls im Voest-Aufsichtsrat sitzen (Wieltsch als Vizepräsident). Zwar haben die beiden ÖIAG-Vorstände kein persönliches Interesse, sich aus dem Nachlass einer zerschlagenen Voest individuell zu bedienen. Aber auch ihnen scheint entgangen zu sein, wie eigenartig es wirkt, wenn sie als Mitglied eines Gremiums der Voest deren jetzige Strategie mittragen, zugleich aber Geheimpläne ausbrüten, die eben diese Strategie unterlaufen.
KHG. Auch im Zusammenhang mit dem Finanzminister stellt sich die Kompatibilitätsfrage - wenn auch "nur" politisch-moralisch und nicht juristisch: Wenn Grasser als Eigentümervertreter der ÖIAG deren Organe dazu anhält, eines der wichtigsten und renommiertesten Unternehmen Österreichs an jenen Konzern zu verkaufen, mit dem er über ein Rückkehrrecht verbunden ist, dann scheint das zumindest sehr bemerkenswert. Wer garantiert, fragen sich da viele, dass Grasser als ÖIAG-Eigentümervertreter hier nicht in seinem höchstpersönlichen Interesse an einem "Magna-Imperium Österreich" strickt, das er später zu führen hofft?
Freilich habe Grasser seinen Gesprächspartnern von der ÖIAG klar gemacht, dass ein solcher Deal so darstellbar sein müsse, dass ein Verkauf der Voest an das "österreichische Unternehmen Magna" absolut "im österreichischen Interesse" liege. Wenn dann nach der oberösterreichischen Landtagswahl ein wenig die Tuchent über dem - bis dahin streng geheim zu haltenden Plan - gelüftet werde, dann habe, so will es Grasser, ein Team bester PR-Fachleute bereitzustehen, das den Österreichern den Deal schmackhaft machen soll.
Wenn sich der jetzige Voest-Vorstand dem Vorhaben verweigert, dann wollen Grasser und die ÖIAG auf die Mitwirkung der gegenwärtigen Vorstandsmitglieder pfeifen und die Führung auswechseln", beschreibt ein Insider die momentane Haltung in staatlichen Voest-Eigentümerkreisen. Möglicherweise zeichne sich hier gar die "erste feindliche Übernahmeschlacht in Österreich" ab.
Jedenfalls ist das Wettrennen darum, stärkste Kraft in der Hauptversammlung der Voest zu sein, mittlerweile zwischen der Pro-Magna-Allianz und jenen österreichischen Finanzgruppen, die zusammengerechnet derzeit ebenfalls um die 30 Prozent des Voest-Aktienkapitals halten, eröffnet. Um diese Banken und Versicherungen, die von der gegenwärtigen Voest-Strategie und -Führung überzeugt sind, zum Verkauf ihrer Aktien an den Magna-Konzern zu bewegen, müsse und werde Frank Stronach, wie man hört, einen "sehr guten Preis" bieten.
Sollte sich ein Erfolg der Pro-Magna-Allianz in diesem Match um die Dominanz in der Hauptversammlung abzeichnen, dann steht spätestens Mitte kommenden Jahres der nächste Schritt an: die Entscheidungsschlacht um die Dominanz im Aufsichtsrat. Um ein Unternehmen in Stücke zu zerschlagen und abzuverkaufen, braucht der Eigentümer einer Gesellschaft die Mitwirkung des Vorstands. Der jetzige, bisher auch vom Eigentümer immer wieder ausdrücklich gelobte Voest-Vorstand steht für ein anderes Konzept. Um aber den Vorstand auszutauschen, bedarf es eines personell runderneuerten Aufsichtsrats. Das steht für Mitte 2004 an.
Die Radikalerneuerung eines Aufsichtsrats ist ein Unterfangen, das für die kommenden zwölf Monate sowieso Kraftproben aller Art verheißt. Es sei wahrlich "ein Jammer", meint einer, der von der gegenwärtigen Voest überzeugt ist, "wie sich neuerdings alles entwickelt". Die Voest sei "so gut unterwegs" gewesen. "Und jetzt droht alles in Grabenkämpfen zu versinken."
Aus dem Archiv (profil 26/2003)