Franz Küberl

Corona: Lockdown-Tagebuch von Franz Küberl, Teil 2

Ex-Caritas-Präsident Franz Küberl führte während der Corona-Krise Tagebuch. profil veröffentlicht Auszüge daraus. Teil 2.

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Einträge vom 26.3.2020

* Die Debatte um das Ausmaß von Tests ist voll im Gange. Es scheint auch eine Art Wettbewerb der verschiedenen Fachleute (Virologen, Soziologen…) zu werden. Weil es eben unterschiedliche Zugänge gibt. Die Möglichkeiten zu kontroversieller öffentlicher Diskussion sind allerdings beschränkt. Aber nur das Abwägen unterschiedlicher Argumentationsschichtungen könnte Licht ins Dunkel bringen. Die Nachvollziehbarkeit von Maßnahmen wäre aber für die Bereitschaft der Bevölkerung wichtiges Signal. Sonst entsteht ein Hamstereffekt auf Tests. Gnade uns Gott!

*Die Frage der Lernfähigkeit aus so einer Krise rückt etwas mehr in den Mittelpunkt. Das hat wohl auch unmittelbar mit den Maßnahmen und deren einsichtiger Wirksamkeit zu tun. Es gibt ein paar simple Änderungs/Adaptierungslinien: -Die Frage nach besserer Vorsorge von Reserven in der medizinischen Vorsorge – Militärspitäler, - Ärzte nur „provisorisch“ in Pension – Rückholung im Krisenfall ermöglichen, inklusive Weiterbildung im Pensionsalter,

-bessere Voraussetzungen für Einberufung von Milizsoldaten, a.o. Zivildienst, -Ehrenamtlichen-Strukturen in Spitälern und in der medizinischen Breitenversorgung, klare Stellenbeschreibungen werden genauso notwendig sein, wie Voraussetzungsformulierungen, Einsatzbedingungen (die einzige sehr gute Beschreibung die ich kenne, hat das Spital Rudolfstiftung in Wien III – das ist allerdings leider ein Spital, das zur Zeit eher im Abbau begriffen zu sein scheint. -Kriterien für „Einspringende“ in der 24h Betreuung: ob man wirklich bloß zuteilen kann, fachliche und menschliche Voraussetzungen, „Aura“ von zu pflegenden und zu betreuenden Menschen respektieren – sich waschen, anziehen lassen sind sehr intime Vorgänge, jemanden ins Schlafzimmer lassen, vielleicht in Kästen nach Wäsche suchen, da wäre es wichtig, die auch normalerweise vorkommenden heiklen Zonen bewusst zu haben und den Umgang damit beschreiben zu können. Sonst können Situationen für Betreuende, die einspringen und für Betreute, die sich „ausgeliefert“ vorkommen können, entsetzlich werden. -Bessere Abstimmung der einzelnen Behördenebenen, Kommunikationslinien, Entscheidungsstränge, vergleichbare Umsetzung…

-Ganz simpel wird auch die persönliche Vorsorge in der Bevölkerung verbessert sein sollen: was soll man als Krisenvorrat wirklich daheim haben? Wie tauscht man diesen Krisenvorrat rechtzeitig aus…. Interessant ist, dass bestimmte Teile unseres Lebensstils gerade durch Krisen als lebensnotwendige Teile von Lebensqualität sichtbar werden: Erwerbsarbeit, funktionierende Wirtschaft, Nachbarschaftlichkeit, Vielfältigkeit des Lebens, kulturelle, gesellschaftliche, freizeitliche Angebote, die mithelfen, das Leben lebenswerter und bewältigbarer zu machen. Wie man das alles krisenfester machen kann, bzw. ob wir nach einer Krise gereifter daraus Schlüsse zieht, ist noch nicht absehbar.

Deutlich wird auch, dass elektronische Kommunikation eine enorme Hilfe darstellt. Allerdings: die persönliche Kommunikation mit Menschen außerhalb des engsten Lebensbereiches wird dadurch nicht ersetzt. Man muss schon anderen Menschen begegnen, damit man Neues kennenlernt, nicht umsonst gilt die These, dass man bis zu 80 % des eigenen Wissens um leben zu können, im informellen Bereich der Begegnung mit Gleichgesinnten, Andersgesinnten, in Peergroups oder dem glatten Gegenteil davon…durch Auseinandersetzung, Konflikterfahrung, Konfliktlösung, Benennen von wichtigen Lebensfragen, Sinnstiftung, … erfährt. Die Qualität von Begegnung im öffentlichen Raum, an öffentlich zugänglichen Treffpunkten ist natürlich verbesserbar. Ersetzbar ist sie nicht…

Schwieriger werden alle prinzipielleren Fragen sein. Lernfelder wie Klimawandelbewältigung, Solidarität zwischen verschiedenen innerstaatlichen und interstaatlichen Instanzen werden. Die Neudefinition von Vernünftigkeit des Nationalstaates ist das Eine, das Zusammenspiel und die Ernsthaftigkeit internationalen Zusammenspiels ist das andere. Das wird politisches Aufmarschgebiet werden. Vielleicht auch über neue Parteien.

Ebenso ist die Solidarität angefragt. Nun zeigt sich, dass Solidarität wunderbar stattfindet, allerdings auf engstem Raum. Die Solidarität mit Menschen, die weiter weg sind, ist gefährdeter. Man meint immer, dass man zum Überleben nur die Nächsten brauche. Und die anderen sollen sich ihre Solidarität selber bilden. Das Drama ist, das Solidarität, die es bloß in Blasen gibt (vgl. Finanzblasen) immer am schwächsten Punkt platzen. Und die Schwächsten, egal wo, zahlen dann die Zeche.

Einträge vom 29.3.2020

Es wird wohl indirekt in ein neues Bewusstsein investiert werden, denn die ungemein teuren Covid-19-Folgen werden die Prämissen neu ausrichten helfen. Soziale, finanzielle, wirtschaftliche, gesundheitspolitische, touristische, sportliche, bildnerische, wissenschaftliche bis kulturelle Verwerfungen werden nicht ausbleiben und werden daher mit einer Bewusstseinsänderung gekoppelt sein, weil es praktisch jeden mehr oder weniger schon getroffen und weiter treffen wird. Das neue Bewusstsein wird mit unterschiedlichen Opfern und mit Neu-Erfahrungen/Kenntnissen verbunden sein und daher auch unterschiedlich nachdenklich bis investierend wirken.“ Auszug aus einer E-Mail-Debatte von Janos Eder und Wolfgang Kapfhammer (280320)

Bei der Frage nach Neuausrichtung nach der Corona Krise scheiden sich querfeldein die Geister. Die einen, z.B. Mathias Horx, meinen, es werde nichts mehr so sein wie vorher, andere, so der Virologe Dr. Bischofberger wiederum, dass sich die Menschen, dass sich die Menschen nach dem Virus bald wieder an die wiedergewonnene Freiheit gewöhnen und damit wohl ähnlich wie vorher weitermachen würden. Durchschimmern tut bei allen, dass es manche Lernerfahrungen geben kann, die z.B. mit etwas weniger fliegen, etwas weniger Autofahren, mehr Sinnstiftungsaufwand, kritischerer Blick auf Ökonomie, Globalisierung zu tun haben könnten.

Der Publizist Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG und Präsident des Deutschen Zeitungsherausgeberverbandes benennt, dass das Corona Virus Ausgangspunkt einer fundamentalen Änderung es Gesamtgesellschaftlichen sein werde. Weil: Krisen und Katastrophen seien immer Ausgangspunkte von fundamentalen Neuerungen gewesen.

Jetzt, so scheint es kommt die Angst vor Armut in der Mittelklasse an. Wenn Ende letzter Woche, gleich nach Verlautbarung der entsprechenden Förderungen für Klein- und Einzelunternehmer am Freitagabend fast gleichzeitig rund 200.000 Menschen quasi gleichzeitig die Website der Wirtschaftskammer stürmen, um € 500,-- oder € 1.000,-- Hilfe in bar zu bekommen, (vgl. Kronenzeitung vom 29.3.2020, S 12), dann ist das ein Umbruch der Sonderklasse. Die schwierige Frage, ob das eine Momentaufnahme ist, wird später im Jahr zu beurteilen sein. Das längere Zeit übliche Benennen einer 2/3 Gesellschaft scheint leider greifbarer zu werden. Wie sich das auswirkt,

*verstärktes Ringen – auch unter den Betroffenen – um staatliche Zuwendung, *zu befürchtende Abdrängung von Ärmeren, die es vorher schon gab(was ist „wirkliche“ Armut), wenn dieser Zustand länger andauert *neue Form von Armut, die auch mit Forderungen von jenen, die betroffen sind, versehen wird – im Gegensatz zu jenen, die schon länger arm sind und selten in der Lage sind, ihren Lebensdramen Gehör zu verschaffen, *schafft die neue Situation mehr oder weniger Bewusstsein für Gefahren des Abdriftens ins Bodenlose, *jetzt wird – ein wenig im Stil der Hochwasserkatastrophe von 2002 – scheinbar mit etwas geringeren bürokratischen Hürden staatliche Förderung vergeben – wie lange? *Die Wahrscheinlichkeit, dass neue Debatten über Regelungen, wirkliche Armut und der Vorwurf bloß „scheinbarer“ kommen könnten, wird stärker werden. *könnten neue Gefahren für Demokratie, Staatsverständnis, Wirtschaftskapazität entstehen? *Denkbar wäre allerdings auch – weil unter den neuen – vorläufig kurzfristig Armen – viele unternehmerische „Typen“ dabei sind, dass neue Formen der Eigeninitiative und Selbstbewältigung von Armut entstehen können – da gilt es für klassische Sozialinstitutionen auch, dazuzulernen, man könnte es später ja auch „wiederverwenden“. (Bis jetzt kennen wir das eher aus den USA, in denen nicht wenige leben, die eigentlich „mittelschichtig“, aber arm sind. *Welche Funktion kommt der Caritas zu, wenn es um Bewältigung neuer Armutsformen geht? Ein Postulat der Caritas ist zu Recht, dass auch die Armen geliebt werden. Ein Vorwurf aus jenen Gruppen, die „nur“ Angst davor haben, arm zu werden, war ja seit jeher, dass sie von der Caritas nicht geliebt (beachtet) würden. Neue „Grenzlinien“ könnten wichtig sein. *Ein Ringen um die Neuverteilung des Spendenkuchens könnte ebenso folgen. *Es wäre auch denkbar, dass neue Initiativen zur Armutsbekämpfung entstehen. Auch im Verbund der Wirtschaftskammern, von Rotariern und anderen Serviceclubs. Ein Grazer Lions Club hat einen Fonds zur Unterstützung von einkommenslos gewordenen Unternehmern gegründet und sucht Spender. Aufmerksam machen muss allerdings auch, wie viele Unternehmer verdammt knapp wirtschaften, dass bereits am Beginn einer Unterbrechung des Wirtschaftskreislaufes so viele verdammt knapp bei Kasse sind. Da sind nach der Krise einige Änderungen notwendig. Z.B. eine Arbeitslosenversicherung für Einzelunternehmer, andere Kapitalvorschriften für Unternehmen mit Angestellten….Ausweitung von persönlichen Entschuldungsverfahren in Abgrenzung zu Konkursen.

Also, natürlich kann die Corona Krise Ausgangspunkt neuer Entwicklungen werden, wenn es jemand will. Und wenn es genug Menschen und Institutionen gibt, denen Weiterentwicklung von Gemeinschaft und Gesellschaft wichtig ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Ausgangspunkt von Neuerungen bei Ideen liegen kann, die man eh schon immer durchsetzen wollte, ist ja beileibe nicht ausgeschlossen. Die Frage bei Ideen dieser Art wird wohl auch sein, ob sie im Rückblick zum großen Feldversuch Coronakrise bewältigungsreich erscheinen. Vielleicht kann die Katholische Kirche in Österreich auch überlegen, wie man Neuerungen anstoßen, bündeln, pastoral, sozial im eigenen Wirken, aber auch mit Impulsen, die die Gesellschaft als solche beträfen, formulieren kann.

Denkbar wäre – in Anlehnung an „Evangelii Gaudium“ von Papst Franziskus ein pastoral-sozialer Hirtenbrief. Entwickelt und erarbeitet vergleichbar mit dem Sozialhirtenbrief der Österreichischen Bischöfe 1990. Natürlich unter Mitverwendung der neueren Kommunkationsformen des elektronischen Bereiches.

Wünschenswert wäre auch eine etwas stärkere öffentliche Abwägungsdebatte (auch im Sinne von Pro & Contra) von jenen, die wissenschaftlich mit Fragen der Bekämpfung von Corona tätig sind. Auch interdisziplinär. Leider, auch die kirchliche Erwachsenenbildung hat sichtlich noch keine Formen, dergestaltige Diskussionen unter den jetzigen Bedingungen zu bewerkstelligen. Ebenso wie das fast vollkommen fehlende öffentliche zu Wort melden aus dem Milieu der Katholischen Fakultäten (Von Zulehner, Pollak, Esterbauer, und dem evangelischen Theologen Körtner, das sind die, die mir aufgefallen sind, abgesehen).

Also, Mut, Denke und Erfindungsgeist sind auch kirchlich noch nicht ausgeschöpft.

*Interessant wäre es auch, transparent zu machen, welche Algorithmen Mathematiker, Virologen, Statistiker anwenden, um ihre Berechnungen zu machen. Das wäre ein praktischer Zugang zu den Algorithmen -Debatten, die uns schon einige Jahre begleiten. Denn jetzt trifft es potentiell alle bzw. sehr viele Menschen. *Bedrückend ist die Arbeitslosenquote, jeden 1. Des Monats um Punkt 10.00 Uhr kommt die Meldung: dieses Mal ein Schock: 562.562 Personen sind arbeitslos. 12,2 %. Um 4,7 % im März gestiegen. Höchste Rate seit 1946. Und im April, so ist zu fürchten, wird der Anstieg weitergehen. Wie rasch das bei Normalisierung abzubauen ist, ist leider nicht absehbar. Nur das Prinzip Hoffnung bleibt.

*Wir haben in Österreich ja einige Grundeinkommensformen, viele davon über ASVG geregelt: Arbeitslose, Notstandshilfe, Waisenpension...in rudimentärer Form auch die frühere Mindestsicherung – jetzt wieder auf Notstandshilfe zurückgestuft. Allerdings stellt sich jetzt – im großen Feldversuch heraus, dass trotz massiver Geldbereitstellung des Staates, Grundeinkommensformen bloß Überbrückung darstellen. Weil die allermeisten Menschen ja aufgrund von etwas, das sie tun, bezahlt werden wollen. Denn Arbeit – da ist JP II. Enzyklika „Laborem Exercens“ mit seiner Arbeitsdefinition (Teilhabe an der Schöpfung, Sicherung der Existenz, Arbeit als Teilhabe an der Gesellschaft, Teil der Identität der Person…) noch immer sehr auf der Höhe der Zeit. Die Frage, ob man Grundeinkommen ausweiten kann (man denke an beschützende Werkstätten, man denke an Pensionsausweitung – eben auch für sozial, körperlich oder psychisch beeinträchtigte Personen, die in keinem normalen Arbeitsverhältnis stehen können) steht allerdings auf dem Programm. Und das wird man gesellschaftlich tragen sollen. Sicher ist, dass die Wertschöpfung einer Gesellschaft wohl wesentlich durch Arbeit, die Mehrwert schafft, zustande kommt.

* Für die Klimadebatte ist die Coronakrise natürlich eine Übung im größtmöglichen Maßstab. Es wird eine Menge an Aufschlüssen geben, wieviel an Einschränkungen gesellschaftlich ohne „Verarmungsgefahr“ denkbar sind. Abgesehen von Erfindungen, die im Bereich der Eindämmung des Energieverbrauches eine Rolle spielen. Der jetzige Feldversuch könnte, so meinen sich in Klimafragen Auskennende, könnte aber mit der Normalisierung wieder rasch ein Ende finden. Wir werden sehen, ob manche Krisenverhaltensweisen sich im normalisierten Alltag wiederfinden könnten.

*Die Debatte um die großen strategisch versorgungswichtigen Lebensmittelhandel Konzerne contra kleine Geschäfte (Blumen, Bäckereien, Kleidung, Wäsche, Spielzeug, Gebrauchsartikel) nimmt an Schärfe zu. Weil die großen Ketten gerne alles verkaufen (Argument: one stopp Shop). Erstaunlich wie eine Krise die berühmte kapitalistische Marktwirtschaft, die sonst von allen – auch den Konzernen – gerühmt wird, plötzlich auf eher staatskapitalistische Lenkungsmaßnahmen begeistert aufspringen. Das Wort Solidarität im Unternehmerischen hat halt auch rasch aufgezogene Grenzen, wenn es um den eigenen Vorteil geht. Auch, wenn dann weniger Leute Geld haben, um einkaufen zu gehen…

*Das bringt auch die Wirtschaftskammern in die Bredouille, denn natürlich leben sie bei den Beiträgen zunächst von den großen Ketten, in der politischen Gewichtung – und bei den Wahlen – aber von den mehreren Hunderttausend kleineren und mittleren Unternehmen. Da könnten auch Brüche entstehen…Daher hat sie auch einige Tage gebraucht, um die Sorgen ihrer mehreren Mitglieder aufzugreifen. Etwas befremdlich und unklar bleibt, dass die einzige nennenswerte Gruppe, die der Wirtschaftskammer seit 2006 übrigens 1000e Mitglieder brachte – die zu Unternehmern gemachten 24 h Pfleger*innen – öffentlich praktisch nicht im Fokus der Interessensvertretung sind c(Ausbeutungsähnliche Heikelitäten, Einkommenssituation, Betreuungsunmöglichkeiten aufgrund der Quarantänevorschriften…) *Ein Bekannter, Tischlereiunternehmer, erzählt mir, dass das Geschäft zurzeit sehr schleppend sei, sie dürfen zwar arbeiten, aber es gebe keine Aufträge, weder privat, noch Gewerbe. Alles stehe… *Etwas Bemerkenswertes ist auch geschehen: nach dem Löschen eines Brandes in Graz-St. Peter haben die Nachbarn und einige Schaulustige die Feuerwehr überhaupt nicht behindert, nein sie haben nach dem Brand aus heftig applaudiert und sich so bedankt. O Tempora, o Mores.

Einträge vom 2.4.2020

*In Fragen des Internationalen tut sich wieder etwas. Als seien die Posthorntöne, die durch den Kältestrom des Nationalismus eingefroren worden waren, wieder aufgetaut. Weil man doch von anderen etwas braucht, auch wieder „überreißt“, dass man anderen auch zur Seite stehen sollte.

-Wenn z.B. die EU 350 Mio. € für humanitäre Hilfe in Syrien zur Verfügung stellt. - wenn z.B. die chinesische Community in Wien der Stadt Wien eine große Sachspende mit Schutzkleidung & Co finanziert, diese aus China bestellt. Der chinesische Botschafter ist dabei, wenn der Wiener Bürgermeister die Spende mit großer Dankbarkeit übernimmt. -wenn einige französische Corona Patienten in deutschen Spitälern aufgenommen werden, auch im LKH Salzburg werden französische Patienten behandelt. -wenn süditalienische Ärzte (für die Lombardei ist das ja fast Ausland!!!) im Norden des Landes aushelfen, Ärzte aus Kuba und China kommen. - Wenn russische Hilfen Italien und die USA erreichen. Wenn die USA anderen Staaten helfen. Ein Schelm nur denkt daran, dass mit Hilfe politische Absichten verbunden sein können. Gilt ja auch für China. In der EU gibt es schon berechtigterweise auch Ärger darüber, dass die 50 t – Hilfslieferung an China von der chinesischen Regierung nicht so öffentlich bemerkt wurde, wie nun die chinesische Regierung ihre Hilfen öffentlich vermarktet. -Offen bleibt zurzeit allerdings, ob die WHO genug Geld für die Bekämpfung von Corona in Afrika erhalten wird – auch eine Anfrage an internationale Solidarität. Da merkt man schon deutlich den Unterschied von der sogenannten Ersten Welt im Verhältnis zur Dritten und Vierten Welt. Wir leben hier schon auf einer sehr großen Insel der Seligen.

Einträge vom 6.4.2020

-Vormerken sollte man sich für die Zeit nach der Corona-Krise, wie man international - auch in Pandemiezeiten – normale Formen des Zusammenspiels zusammenbringt. -Ebenso wird es wohl an der Zeit sein, die berühmten 4 Grundfreiheiten die die EU weltanschaulich zusammenhalten, auf den heutigen Stand zu bringen. Sie waren ursprünglich Basis der EWG. Wurden in die EU „übernommen“. Zurzeit sind diese Freiheiten stärkere Dogmen als es heute kirchliche Dogmen sind. Es schadet nicht, diese 4 Wohlstandssäulen vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen zu aktualisieren, sie auf Zukunft hin neu zu positionieren, damit diese Grundfreiheiten mithelfen können, materielle und immaterielle Sicherheit und Wohlergehen in der EU zu unterstützen.

Verschoben hat sich der Blickwinkel der Solidargemeinschaft zwischen den Staaten. Ursprünglich war die Idee wohl klar: Die EU ist die Ergänzung der nationalen Solidarität durch interstaatliche Solidarität. Nun wiederum in einer Krisensituation – praktisch alle Mitglieder haben zwar dasselbe Problem – aber sind beseelt davon, es national zu lösen. Die Frage, wieviel Zusammenspiel es den einzelnen Staaten ermöglichen würde, ihre logischerweise im Land zu lösenden (Rechtsvorschriften, Regelungen des Gesundheitswesen, Steuer(ungs)hilfen…) Probleme leichter zu bewältigen, wird erst in der Not als Hilfeschrei und Handlungs-Unterlassungs- Vorwurf an die anderen und an Brüssel formuliert. Der Nationalismus schlägt die Zusammenarbeit.

Das muss ja nicht so bleiben – in einer Katastrophe gibt es- das wissen wir aus allen Katastrophen weltweit – immer den Reflex, zunächst seine eigene Haut zu retten – na net. Erst im zweiten Schritt erkennt man wieder, dass man immer anderer bedarf, damit die „Selbsthilfe“ greifen kann. Insofern sehe ich nicht das von Manchen bereits beschworene (auch unter Verwendung politischen Kleingeldes) Ende der EU. Dass auch auf dieser Ebene Reformen, Anpassungen… aufgrund der bisherigen Katastrophenerfahrungen notwendig sind, steht außer Frage. Insbesondere wird wohl eine Beschreibung und damit Konkretisierung des Solidarprinzips ergänzend zum Subsidiaritätsprinzip notwendig sein.

Aber zurück zum Innerstaatlichen:

* die Debatte um die Transparenz bei der Entstehung von Entscheidungen nimmt an Stärke zu. Es geht einerseits darum, die Trennung von „Herstellung und Darstellung“ (Theodor Eschenburg) von Politik aufzuheben. Andererseits hat es auch mit dem Werben um Verständnis zu tun. Manches Mal entsteht der Eindruck, dass die Grenze zwischen klarer Verantwortungswahrnehmung und Angsterzeugung nicht klar gezogen ist. Der Einfachheit halber zu rasch zu Angstformeln greift (unabschätzbares Ausmaß von Toten, generelle Ansteckungsgefahr – jede* dem ich begegne ist ein potentieller Anstecker, also für mich möglicherweise lebensbedrohlich…). Statt ausdauernd zu argumentieren. (Könnte manchen Menschen aus der eigenen Erziehungswelt bekannt vorkommen.)

*Die Gefahr, dass positiv auf Corona getestete Personen als Sündenböcke fungieren müssen, ist ein heikler Punkt, der nicht übersehen werden darf. *Die Hinweise von Rechtskundigen (RA Dr. Noll, Sektionschef a.D. Matzka, Verfassungsrechtler wie Mayer, Funk…), dass es in der unschierbar schnell notwendigen Zusatzgesetzgebung zur Aushebelung von verfassungsrechtlich gebotenen Normen kommen könne. *Die schwierige Frage, warum die sonst so hervorgehobenen zu schützenden Personen (Vorerkrankungen) prinzipiell geschützt werden, z.T. durch zusätzliche Verfahren (Gesundheitskassendaten) wird bei öffentlich Bediensteten, strategisch wichtigen Gruppen (Verkäufer*innen) glatt ausgehebelt.

*Auf einem anderen Blatt stehen die so schwer zu beschaffenden medizinisch wichtigen Schutzformen (Masken, Schutzkleidung…) für bestimmte Personengruppen (Ärzte, Pflegepersonal…)Da wird auf die staatlichen Organe mehr geachtet (Kobra in Corona-Schutzkleidung, Masken für Polizisten). Ebenso im argen Notstand liegt die sichtlich mangelnde Struktur für die Untersuchungsmöglichkeiten, um das Ausmaß der Corona-Positiven zu entdecken. Dass die praktischen Ärzte – sonst als Säule des Gesundheitssystems in den Himmel gehoben, keinen klaren Platz und keine klare Unterstützung durch die Oberen bekommen, mutet nach mehreren Wochen Corona-Krise seltsam an.

* Dazu kommt, dass die Importe von medizinischen Schutzgütern – etwa aus China – vor Ort bei Abholung nicht darauf kontrolliert werden können, ob sie den bestellten Ansprüchen entsprechen. Übrigens, unsereins hat bereits vor 50 Jahren in der Handelsschule gelernt, dass zwischen Bestellbrief und Bezahlung der Rechnung die Kontrolle des gelieferten Produktes vor dem Annehmen durch den Besteller zu erfolgen habe…. Da scheint bis zu staatlichen Instanzen einiges verloren gegangen zu sein.

*Klar ist allerdings auch, dass insgesamt noch immer viel zu wenig über Funktionsweise und Auswirkungen von Corona bekannt ist. Das muss dazu führen, dass Abhilfen zum Teil im dichten Nebel angeordnet werden müssen. Das ist hartes Los politischer Verantwortlicher, da braucht es auch großen Respekt davor, dass die Verantwortungsausübung so gut funktioniert. Und – ich weiß das von mir selbst auch – manches Mal braucht es Informationsverdauung, bis man mit einem neuen Schwenk, mit einer zusätzlichen Einschränkungsmaßnahme umgehen kann.

* Aus der Katastrophenhilfeerfahrung der Caritas (und anderer!!) gibt es das Prinzip: in jeder Katastrophe gibt es Fehler – kein Wunder. Entscheidend ist, dass der wichtigste Punkt die Bewältigung des Fehlers sein muss. Die Debatte darüber, wie der Fehler entstehen konnte und wie er in Zukunft verhindert werden kann („Lessons learned“) ist immer der zweite Schritt. In einer großen Katastrophe, deren Bewältigung natürlich Kapazität, Kompetenz (auch formale) und Fachkenntnis erfordert, gibt es logischerweise viele Zuschauer. (Beginnt beim Drama von Oppositionsparteien, setzt sich weiter fort auf Menschen, die sich nicht betroffen fühlen, aber auch auf Menschen, die zwar die Auswirkungen von Einschränkungen spüren, aber sie machtlos zur Kenntnis nehmen müssen. ) So kann eine in der Psychologie „By-stander“-Effekt genannte Situation entstehen. Andererseits gibt es in einer Katastrophe aber keine Nichtbeteiligten – sonst kann das Ding nicht bewältigt werden. Daher ist die Kommunikation – auch mit politischen Gruppen und vielen Instanzen im Leben eines Staates unabdingbar notwendig. Sonst käme Sand ins Getriebe.

*Sicher braucht es auch innerstaatlich eine ernsthafte Debatte und Notwendigkeit von Freiheit – und der allenfalls erforderlichen Einschränkung aus Solidarität, die mithilft, ein Problem zu bewältigen. *Ebenso darüber, wie allgemein man Schutzzonen zieht (vgl. Ältere – als seien 65jährige schon Greise – das war vor 100 Jahren noch der Fall, bei Einführung der Beamtenpensionen in der Monarchie rechnete man damit, dass die Pensionsberechtigten allenfalls noch ein paar Jahre zu leben hätten).

*Bemerkenswert sind auch Bespiele aus dem täglichen Leben der auf engen Raum gesetzten Personen. Immer wieder kommt einem zu Ohr, dass nicht so viele Leute für andere kochen können, wie es erforderlich wäre. Bewegungsknappheit, Kontaktverknappung, enger Wohnraum… Es gibt überforderte Eltern: wie mit Kindern spielen, sie beschäftigen, an Frischluft zu kommen, etwas erklären, Lehrer im Kinder- home -office ersetzen. Haushaltsmanagement kann eine komplexe Sache sein. Auch hier stellt sich die Frage, wieviel Katastrophenvorsorge Eltern für den mitmenschlichen, kulturellen Haushalt im Vorrat haben sollten. Kommunikationsformen, Spiele, Regeln, können in einer Krise viel schwerer (stärkere Gefahr des „katastrophalen“…) entwickelt werden. Viele dieser kleinen Katastrophenvorsorgen kann man auch nicht alleine entwickeln – da braucht es Gespräch, Erfahrung, Austausch mit anderen Menschen in ähnlichen Situationen. Ich bin mir sehr unsicher, ob jene, die jetzt daheim Probleme haben, aufgrund bloß psychologischer, ernährungswissenschaftlicher… Zurufe Bewältigungsformen entwickeln können. Fachhinweise von Fachleuten können auch aus Hilflosigkeit entstehen!

*Eine Kleinigkeit, das Lesen, G’scheiterweise prinzipiell jetzt stark propagiert. Lesen kann natürlich Selbstbildung, Selbstzerstreuung sein. Aber die wirkliche Wirksamkeit des Lesens ergibt ja dann Sinn, wenn ich Gelesenes, also Gedankens – und Wissenszuwachs – brauchen, umsetzen kann. Dazu braucht man erfahrungsgemäß den Kontakt mit der „Gesellschaft“, die ja nachbarschaftlich beginnt. *Übrigens Nachbarschaft: die feiert gottseidank fröhliche Urständ. Es gibt quer durch Österreich viele wiederentdeckte Formen nachbarschaftlicher Hilfe. Und manche Neuentwicklungen. Richtig ist allerdings auch, dass in Krisenzeiten die Solidaritätsreichweite sinkt. Dies gilt für einzelne Menschen genauso wie für Siedlungen, Gemeinden, Bundesländer, Staaten… - wenn man nicht bewusst gegensteuert, kann nach der Krise mehr davon bleiben, als lebenswert wäre.

*Das makabre Beispiel dafür ist das von David Alaba zum Glück international stark öffentlich gemachte Solidaritätsgrenzziehenwollen französischer Ärzte: allen Ernstes schlugen diese vor, Medikamententests in Afrika durchzuführen. Damit man wisse, ob man sie gegen Corona einsetzen könne. Ideen, die man ausspricht, entstehen im Kopf. Wie muss es in den Köpfen mancher wirklich aussehen? Denken sie daran, dass man, bevor man etwas sagt, Gedanken aus dem Kopf wohl über das Herz in den Mund zum öffentlich machen gehen lassen muss – damit sie mitmenschlich nachvollziehbar werden?

*Eine Auswirkung der – von so vielen ersehnten – Einschränkung des Luftverkehrs geht bis in die Wettervorhersagen. Die WMO (Weltwetterorganisation, Genf) machte darauf aufmerksam dass die nun fehlenden Daten von den Sensoren der Flugzeuge in Europa im März d.J. dazu geführt haben, dass statt 700.000 Wetteranknüpfungspunkten nur mehr wenige tausend Daten existierten. Das habe starke Auswirkung auf die Qualität von Wettervorhersagen.

* Zur berühmten Frage, was wir aus dieser Katastrophe lernen sollten (nicht nur die „Qualitätsmedien“ verwenden viel Raum dafür), ein eingrenzendes Wort von Ingeborg Bachmann: „Die Geschichte lehrt ununterbrochen. Aber, sie findet keine Schüler“. Durchbrechen ist wohl angesagt. Und die Frage, ob es ein „später lernen“ (Paul Valery) geben kann. *Ein Aspekt noch zur berühmten Schutzmaskendebatte. Ursprünglich, so lesen wir allenthalben, waren Masken auch Funktionsträger der Abwehr unheilvoller Dämonen – jetzt sollen wir sie selbst tragen, um andere zu schützen – werden wir jetzt „unheilvolle Dämonen“? *In der Lombardei gibt es eine Waffenproduktion, die den amerikanischen Kampfjet F-35 produziert. Diese Fabrik bekam eine Regierungsausnahme aus Rom…also den Titel lebensnotwendige Produktion… * Es gibt auch freiwillige Gehaltsverzichte: die GD der Nationalbibliothek, Johanna Rachinger, wird genannt, ebenso leitende Verantwortliche der Bundestheater – als Fonds für Ausgleichsformen für Kurzarbeitende in diesen Institutionen.

*Karl Kraus meinte in seiner bissigen Art einmal: Ich verlange von einer Stadt, in der ich leben soll: Asphalt, Straßenspülung, Haustorschlüssel, Luftheizung, Warmwasserleitung. Gemütlich bin ich selbst. Ja, aber heute wissen wir, dass wir von einer Stadt (und den staatlichen Körperschaften) weit mehr verlangen, denn je zuvor. Vielleicht ist es auch eine wichtige Zukunftsdebatte, darauf zu achten, was von den öffentlichen Stellen erwartet werden darf oder muss. Aber auch, was an Bewältigungsfragen bei den Menschen bleiben muss, damit die von Kant voraufklärungshaft benannte selbstverschuldete Unmündigkeit nicht von hinterrücks wieder Vorwärtsbewegung schafft. * Elias Canetti beschreibt in „Masse und Macht“ auch das Wesen der Familie: „ Die Familie entsteht beim gemeinsamen Essen“. Dieses Diktum wird gerade jetzt wiederum starke Wirklichkeit. Und die Fähigkeit, dieses Gemeinsame real zu fördern, ist wieder stark beansprucht. Bliebe nach Corona ein wenig von positiver Erfahrung davon, wäre das auch ein „Wertewandel“.

Einträge vom 10.4.2020

*) Gestern am späten Nachmittag treffen wir unseren Sohn Severin mit Freundin am Parkplatz unserer Siedlung. In Sichtweite der Wohnung. 1 ½ Stunden reden wir stehend, natürlich unter Einhaltung des staatlich vorgegebenen Respektabstandes. Bei aller Freude, dass wir uns wenigsten sehen konnten, es hat etwas Makabres. *) Die Zahl der positiv getesteten Personen steigt seit Tagen nicht mehr exponentiell. Also ein Hauch von hoffnungsvoller Normalität hält – zeitgerecht vor Ostern- Einzug in die rund um die Uhr bewohnten Wohnungen. * Die Zahl der Angezeigten – also unbotmäßig unterwegs seienden sei alleine am 5. April um 1.200 auf 16.000 gestiegen. Eva Linsinger schreibt im Magazin „Profil“ von heute von einem „Operetten-Polizeistaat“, der sich breit mache. Tatsächlich muten manche Polizei-Corona-Interventionen sehr eigenartig an. Ein Parkbanksitzender wurde mit einer Strafe von € 500,-- belegt, weil er durch sein Sitzen den1m Abstand nicht einhalten könne. (Ob Fußgänger nicht selbst auf 1m ausweichen könnten, um der Parkbank nicht zu nahe zu kommen, wird nicht benannt – große Aufgaben für die Städte und Gemeinden – Parkbänke nachcoronistisch umzusetzen oder Parkwege breiter zu machen…). Vor kommt auch, dass Einkaufstaschen - bei einer Frau wurde unsittlicherweise nach einem Einkauf ein Schulheft entdeckt –und daher mit Anzeige bedroht…Was der Unterrichtsminister dazu sagen wird, wenn eine Mutter ihre zur Zeit ganz offiziell ihr übertragene Bildungs-Sorgepflicht gegenüber Kindern ernst nimmt…

Eher Operettenhafte Polizeimaßnahmen gibt es allerdings weltweit. Die Geschichte aus einer indischen Stadt – bekannt durch eine Meditationsreise der „Beatles“ aus den späten 60igern, dadurch zu internationalem Wallfahrtsort geworden, soll dafür stehen: Dort hat die lokale Polizei 10 aus anderen Staaten Zugereiste, die die Ausgangsbeschränkungen nicht einhielten, 500x schreiben lassen, dass sie diese respektieren mögen. Und die südschwäbische Polizei wanderte alle Schutzhütten des Schwarzwaldes durch, um festzustellen, dass eh niemand unterwegs sei. Wanderbare Polizei – vielleicht mit freiwilligen Meldungen für diesen Einsatz aus dem Polizeikorps?

* Hinweise aus der Bevölkerung und bestimmte Verhaltensweisen dieser bringen „entsetzliche Vergehen“ zum Vorschein: – ein Ehepaar auf Skitour, Menschen, die beim Laufen oder Spazierengehen angehalten werden, ob es nicht manches Mal irre ist, was sich in scheinbar freundlichen Nachbarn auftut? Was den Polizisten aufgetragen wird und sie wohl je nach eigenem Unrechtsverständnis praktisch judizieren? Denn, auch wenn eine Strafe beeinsprucht werden kann. Die eigentliche Strafe ist ja die, öffentlich an den Pranger gestellt zu werden. Jeden, der sich nicht ganz konform verhält, als Delinquenten zu behandeln? Feiert das Blockwartesystem – origineller Weise ernennen sich Mitbürger einfach dazu (scheinbare Demokratisierung dieses idiotischen Systems) – fröhliche Urständ? Denn diese „Blockwarte“ erwartet keine „Strafe“ wegen Anmaßung von Amtsautorität. Vielleicht beginnt diese Mentalität auch ganz leise. Ärger, dass andere sich anders verhalten als ich zusammenbringe. Angst davor, dass das Verhalten anderer mich in größere Ansteckungsgefahr bringen kann. Vielleicht auch zu große Willfährigkeit obrigkeitlichen Anordnungen gegenüber. Oder gar die unselige Auferstehung des Gedankens vom einheitlichen Staatsvolk, das durch Unbotmäßige nicht zersetzt werden solle? Mich erinnert dieser fallweise Umsetzungswahn öffentlicher Regelungen an das islamische System der Religionspolizei. In Banda Aceh (auf Sumatra, anlässlich der Wiederaufbauarbeiten nach dem Tsunami erlebte ich, wie 4 Religionspolizisten ein junges Paar auseinandertrieben und Verhaftung androhten. Das „Verbrechen“ der Jungen: sie scheinen nicht verheiratet gewesen zu sein“.

*Evident ist an Beispielen wie diesen, dass es in Österreich kein Bildungsprinzip ist, dass man zum rechten Gebrauch von Macht „erzogen“ wird. (Romano Guardini hat vor vielen Jahren – in der Festschrift für Karl Rahners 60iger 10 Fragen zum redlichen Umgang mit Macht benannt – das wäre ein sehr guter Grundriss für einen entsprechenden Lehrplan). Da fällt mir wieder ein, dass der Bundespräsident bei der Angelobung der jetzigen Regierung zu Recht darauf aufmerksam gemacht hat, dass die neuen Regierenden mit der Macht, die sie durch diese Ernennung erhalten haben, verantwortungsvoll umgehen mögen. Vielleicht ist es angemessen, in diesen Hinweis auch die Staatsdiener und in weiterer Folge die Bevölkerung aufmerksam zu machen.

*Die Mühsal des Nachdenkens wird zu oft nicht auf sich genommen. Die einer Demokratie und ihren Demokraten angemessene vernünftige „Skepsis“ gegenüber obrigkeitlichen Anordnungen, gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen, öffentlichen Informationen, Neuigkeiten (vgl. Liessmann) hat nicht immer den Durchbruch, der zur Durchlüftung des Gemeinwesens notwendig wäre. *Vielleicht korrespondiert die Tatsache, der Entsetzlichkeiten, die sichtlich gar nicht so wenige Menschen im Internet verbreiten, mit diesem öffentlichen Anprangerungstun mehr als uns bewusst ist und lieb sein kann. *Evident wird an diesen Beispielen auch, dass die berühmte Formel, Ausnahmesituationen brächten außergewöhnliches Engagement zugunsten des Gemeinwohls zustande, aber auch Niederträchtigkeiten, leider wohl stimmen wird. Denn Dummheit und Bosheit können, auch als Ergebnis von nichtreflektierter Angst, wie ersichtlich auch eine unheilige Allianz eingehen. *Ein weiterer Aspekt scheint zu sein, dass die Coronakrise und das – notwendige – Agieren der politisch Verantwortlichen „zivilreligiöse Missionierung“ auslöst. In einem Land, nach Peter Michael Lingens ist „Gott nirgends so tot wie in Österreich“ kann es mehr Sehnsucht nach Religiosität geben, als Lingens lieb sein mag.

*In den letzten Wochen ist auffällig, dass diese Sehnsucht, Corona zu besiegen, zu so einer zivilreligiösen Aufwallung führen kann. Diese Situation führt eben dazu, dass sie Identität stiftet, Akzeptanz schafft (und wie für viele Religionen wichtig), auch Abgrenzung von Nichtgläubigen. Die Katholische Kirche hat inzwischen eingesehen, dass die Abgrenzung von Nichtgläubigen der falsche Weg war, nein, heute ist sie in vielen Teilen durchaus bereit, im Dialog mit Nichtgläubigen zu sein, und: auch von ihnen zu lernen (Inkulturation). Nachdem Zivilreligion nichts ist, das ein Lehramt als solches hat, könnte wieder einmal eine Reform von Zivilreligion(vgl. II.Vaticanum) anstehen. Der zarte Anlauf zu einer Reform in der Republik wurde allerdings -siehe „Konvent“ am Beginn des neuen Jahrtausends - (vorläufig?) versemmelt.

*Die Sorge, oftmals ausgedrückt, dass die Krise in der wir sind, dazu ausgenützt werden könnte, Geburtsstunde einer autoritäreren Staatsform zu sein, teile ich nicht. Ich denke eher, dass wir demokratisch gut fundierte Institutionen haben, eine Menge an mit demokratischem Verantwortungsbewusstsein ausgestatteten Personen. Nicht zuletzt eine Opposition im Parlament (besser als eine Konzentrationsregierung!), genug präzise Medien und zivilgesellschaftliche Institutionen. Dazu kommt schon ein jetzt stark gebändigter Freiheitswille, der sich auf Dauer wohl nicht einsperren ließe. * Aber nun zur Kirche und zu Gläubigkeit: Kern von Gläubigkeit ist immer, dass sich Menschen treffen, um einander der Gläubigkeit zu versichern, dadurch sich selbst seiner Gläubigkeit zu versichern. Denn, alleine kann man auf Dauer nicht glauben. Und der Glaube drückt sich immer in Werken, Werten und Haltungen aus, die anderen vermitteln, wessen Geistes Kind ich bin.

Da ist die Coronakrise in mehrfacher Weise quer auf die Kirche hereingebrochen. +Ostern, Zentralfest der Gläubigkeit kann in diesem Jahr nur daheim, im engsten Kreise begangen werden. In unserer Zeit gottseidank-durch Medien,- gedruckt und elektronisch – gestützt. Das „Lagerfeuer“ der Nation ist natürlich die ZiB 1 (quasi zivilreligiös), aber die Religionssendungen im ORF – und die Religionseinflechtungen in Zeitungen erfahren beachtlichen reichweitlichen Zuspruch und auch beachtliche Ausweitung durch die Redaktionen. Dass die Speisensegnung einmal via ORF II von einem Diözesanbischof österreichweit anstelle vieler hunderter lokaler Treffpunkte quer durch Österreich stattfindet, hätte sich Anfang Feber noch kein Mensch in Österreich gedacht. (Der frühere Grazer Bischof Johann Weber hat die Speisensegnung, die in der Steiermark mehr Menschen anzieht, als die am selben Abend stattfindende Osternachtsfeier, immer als das „8.Sakrament“ benannt.)

Gleiches gilt natürlich seit den Ausgangsbeschränkungen für Sonntagsgottesdienste, Karwoche.... Der ORF hat exzellente Abteilungen in Radio und Fernsehen, die auch ORF-On beschicken. Und jetzt in der Lage ist, anständig Gas zu geben. Es hat Zeiten gegeben, in denen Religionsabteilungen von Kollegen in anderen Redaktionen des ORF durchaus schief angeschaut wurden. Die Politik der Generaldirektionen, Religion als eine tragende Säule des Gemeinwesens zu sehen, hat sich davon aber nie irritieren lassen. Jetzt ist sowie alles in Butter, denn Religion sichert zusätzliche Qualität, zusätzliche Quoten, zusätzliche Zufriedenheit der Hörer und Seher.

Das Dilemma der Kirche ist allerdings, dass nicht ganz klar ist, wie viele der „Scheinchristen“ (Taufschein und Firmkarte, Trauschein…) die Riten der Kirche als Behübschung und Alltagsvertiefung empfinden und „brauchen“ und wie viele Menschen tatsächlich auf Trost, Richtungsweisung, Lebensweginterpretation, Transzendenz, Begleitung in Lebensabbrüchen, Leid und Sterben Kirche brauchen und auf Kirche setzen. Aber vielleicht sind die Übergänge auch fließend und die religiöse Empfindsamkeit in unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich. Geht es einem gut, hat der Herrgott vielleicht einen mehr kulturellen Anschein, wird es dünner, kann die Nachdenklichkeit über Endlichkeit des Lebens und bestimmter Lebensstile auch neue Tore aufstoßen.

*Skeptisch bin ich jedenfalls gegenüber der These, dass „Not beten lehrt“. Meine Erfahrung, caritasgeprägt, ist jedenfalls, dass Not unterschiedliche Dimensionen hat. Es geht darum ob Not als endgültig empfunden wird, dann lehrt sie eher fluchen. Hat Not am Ende des Tages einen Lichtblick, dann lehrt sie beten. Weil in Wirklichkeit Hoffnung beten lehrt. Wie Hoffnung entsteht, ist ein großes Land. Wohl durch Hilfe, die denkbar wäre, Zurechtfinden in (vorübergehend) misslicheren Umständen. Auch neue Zielsetzung kann hoffnungstragend werden. Da fällt mir wieder Viktor Frankl ein, der die Schrecken des KZ’s, wie er selbst erzählte, deswegen überlebt hat, weil er noch ein Buch schreiben wollte…Die erste Frage ist also nicht, ob die Leute eh beten lernen, sondern die, ob man halbwegs glaubhaft Zuversicht und Hoffnung in sich selbst entdecken kann, bzw. ob diese Perspektiven von anderen Menschen geöffnet werden könnten.

*Etwas, das in Bezug auf Gläubigkeit stutzig macht, ist, dass weltweit in Religionsgemeinschaften alle möglichen (und unmöglichen) Denkrichtungen und Verhaltensweisen sichtbar werden. Ob religiöse Zusammenkünfte, trotz des Wissens, dass große Menschenansammlungen Corona infizierend sein können. Das kann von Christen genauso wie von Muslimen ausgehen. Ob in Südkorea, Elsass, USA, Iran, Pakistan. Und so mancher Gläubige (und mancher Obere) meint schon, Gläubige hätten einen besonderen Vertrag mit Gott zu haben, dass Gott nämlich (nur)jene besonders schütze, die in einem bestimmten Ritus(Kommunion, Massenumarmung…) feiern. Religion kann auch mit Nichtwissen um Gefahren der Schöpfung zu tun haben. Retro also.

*Ob man deswegen behördlich eine Eucharistiefeier auflösen soll, weil 10 Gläubige – weit auseinander sitzend in der Kirche am Imsterberg in Tirol feiern, steht auf einem anderen Blatt. Das riecht nicht nach staatlicher Autorität, sondern bloß nach Autoritärem…Möglicherweise hätte es eine gelindere Deutlichkeit auch getan.

Anmerkung: Die folgenden Textauszüge aus Franz Küberls Tagebuch wurden wortwörtlich übernommen und nicht redaktionell bearbeitet.