Häuserkämpfe

Die andere „Pizzeria Anarchia“: Mieter im Kampf gegen Spekulanten

Immobilienspekulation. Die andere „Pizzeria Anarchia“: Die Geschichte einer erfolgreichen Gegenwehr

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Kurz bevor die laute Praterstraße in den Praterstern mündet, an der Abzweigung zur Afrikanergasse, steht ein 180 Jahre altes Eckhaus. Auch an diesem Punkt des zweiten Wiener Bezirks, der Leopoldstadt, ist das neue, hippe Lebensgefühl schon angekommen. Konkret in Gestalt des „Kartoffelwerks“, das im Erdgeschoß Eintöpfe und Currys bietet, selbstredend auch vegan, gluten- oder laktosefrei, wie die „Bourgeois Bohemiens“, die berühmten „Bobos“, es eben gerne haben. Direkt daneben ist noch der alte zweite Bezirk, der namenlose „Geflügel-Fischimbiss“, der auf Schick wenig Wert legt, dafür auf viel Essen um wenig Geld. Das Grätzel schwankt zwischen trendig und schäbig: moderne Bio-Lokale neben grindigen Wettcafés, sündteure Dachterrassenwohnungen neben heruntergekommenen Gründerzeithäusern mit Pappendeckel im Fenster. Kurz: ein Paradies für Immobilienspekulanten.

Wenige Meter weiter liegt die Mühlfeldgasse, die es am Montag der vergangenen Woche zu einiger Berühmtheit ­gebracht hat, als die Polizei mit Hubschrauber, Panzer und 1700 Beamten zum Großeinsatz anrückte, um ein Haus von 19 Punks zu räumen. Seither wird in Wien über die Praktiken von Häuserspeku­lanten diskutiert, die alteingesessene Mieter aus abgewohnten Immobilien vertreiben, um mit neuen Bewohnern und neuen Mietverträgen das große Geschäft zu machen.

„Wir haben uns erfolgreich gewehrt“
Die Bewohner von Afrikanergasse 2 können in der Debatte besser mitreden, als ihnen lieb ist. Ihr Haus war 2011 von derselben Immobilienfirma wie jenes in der Mühlfeldgasse gekauft worden: von der Castella GmbH. Im Haus Afrikanergasse 2 allerdings mit einem Happy End. „Wir haben uns erfolgreich gewehrt“, erzählt Wolfgang Grafenberger, einer der Mieter. Schon an seiner Wohnungstür lässt sich an Aufklebern ablesen, was er ist („Surfer“) und was nicht („Ich habe Haider nicht gewählt“). Grafenberger ist Lehrer und muss heute noch seufzen, wenn er sich an seinen persönlichen Häuserkampf erinnert: „Es war die Hölle, und es ist nur gelungen, weil wir zusammengehalten haben.“

Aber von Anfang an.

Im November 2011 bekommen die Mieter einen Brief, dass ihr Haus verkauft wurde, und zwar an die Castella GmbH. Die Firma hat schon damals einen gewissen Ruf, der die Bewohner sofort der Mietervereinigung beitreten lässt. Anfang Dezember 2011 kommen sich die neuen Hausbesitzer vorstellen, kurz danach werden einzelne Mieter vorgeladen und bekommen zu hören: „Wir brauchen das Haus belagsfrei und wollen, dass Sie ausziehen.“

Eine Mieterin hat auch ein Haus im Burgenland. Dort taucht ein Detektiv auf und fragt herum, wie oft sie in Wien ist. Sie gibt als Erste auf: „Ich wollte mir das nicht antun.“ Schlägt den neuen Eigentümern ein paar tausend Euro heraus und zieht aus. Wenig später verlassen eine betagte Frau und ein Studentenpaar das Haus. Sie hatten nur einen befristeten Mietvertrag. Das macht Platz für neue Mieter: Roma-Familien ziehen in die kleinen Wohnungen, eine Großmutter, zwei Söhne und vier Kinder drängen sich auf 40 Quadratmetern, ein anderer Clan mit bis zu zehn Leuten teilt sich die andere Wohnung. „Das waren lauter arme Schlucker“, erinnert sich Grafenberger. Und: „Falls die den Job hatten, uns hinauszuekeln, haben sie den wirklich gut gemacht.“

Es wird laut im Haus. Mehrmals rückt die Polizei an, weil bis drei, vier Uhr früh gelärmt wird. Im Stiegenhaus sammelt sich Ramsch. Nichts funktioniert mehr: Der Müll wird nicht mehr abgeholt, Postkästen sind aufgebrochen. Das Haustorschloss wird getauscht, ständig klingelt jemand, meist nachts. Das Haustor geht kaputt. Immer öfter sind fremde Leute im Haus. Das Stiegenhaus dient als Toilette und riecht entsprechend. Einmal funktioniert das Licht nicht, ein anderes mal treten Wasserschäden auf und werden lange nicht repariert. Die Gangfenster sind ständig offen, bevorzugt bei Wind, wenn es die größten Chancen gibt, dass sie zerbrechen.
„Man kommt sich sehr bieder vor, wenn man das erzählt“, seufzt Peter Zoderer. Der bärtige Wuschelkopf ist Architekt und fasst die damalige Zeit so zusammen: „Die Summe der Vorfälle hat das Leben unerträglich gemacht.“ Nur auf eines ist er noch im Nachhinein stolz: „Offenbar haben die nur darauf gewartet, dass Ressentiments gegen die Herkunft der neuen Mieter aus uns rausgekitzelt werden. Das ist ihnen aber nicht gelungen.“
Absicht? System? Aber nein, sagt einer der beiden Besitzer der Castella GmbH, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, im Brustton der Überzeugung: „Wir ekeln keine Altmieter hinaus. Wir sanieren laufend Häuser, dafür müssen nicht unbedingt alle Mieter draußen sein.“ Er kann sich durchaus erinnern, dass in der Afrikanergasse Probleme aufgetreten seien, aber das habe einen simplen Grund: „Es gab zu dieser Zeit eine neue Hausverwaltung, vielleicht war manches in der Übergangsphase nicht optimal koordiniert.“ Er legt Wert auf die Feststellung, die Castella sei ein seriöser Immobilienentwickler: „Wir bieten Altmietern faire Summen, wenn sie den Mietvertrag auflösen.“ Gut, in der Mühlfeldgasse sei manches schiefgegangen, auch bei manchen anderen Häusern gebe es Kalamitäten, aber: „Wir haben mit den meisten unserer Mieter ein gutes Verständnis. Aufgrund der mietrechtlichen Lage kann es jedoch auch zu Konflikten kommen.“

So kann man es auch formulieren. Merkwürdig bloß, dass sich in den Häusern und Firmen der Geschäftsleute die Zufälle häufen: Das Büro von Wohnbaustadtrat Michael Ludwig dokumentierte 16 Zinshäuser, in denen es in den vergangenen Jahren zu Problemen kam. „Wir haben schon länger einen Fokus auf die Personen“, heißt es im Büro Ludwig.

Berlin als Vorbild?
Insgesamt zählt die Stadt Wien pro Jahr rund 20 Zinshäuser, in denen ungute Spekulanten am Werk sind. Mitte der 1990er-Jahre waren es mit 200 jährlich zehn Mal so viele gewesen. Damals begann Wien wieder zu wachsen, in den Wohnungsinseraten tauchte neben dem „Studentenhit“ (Codewort für Substandardwohnung) das hässliche Wort vom sogenannten „Ausländerhit“ auf: Spekulanten wie ein damals berüchtiger Rechtsanwalt quetschten zig Mieter in baufällige Häuser. Ein gewisser Werner Faymann war damals Wohnbaustadtrat und rief, gemeinsam mit seiner rechten Hand Josef Ostermayer, medienwirksam eine „schnelle Eingreiftruppe“ ins Leben, um die Mieter in Spekulationshäusern zu unterstützen. Das wirkte.
Josef Iraschko war schon damals Mieterschützer und weiß, „dass es lange Zeit ruhig war“ in Wien. Erst seit fünf, sechs Jahren, seit der zweite Bezirk einen beispiellosen Immobilienboom erlebt und die Mieten um 30 Prozent gestiegen sind, werden wieder Häuser von verschiedenen Firmen systematisch und mit überaus robusten Methoden „entmietet“: Zunächst funktionieren Gas und Strom nicht, ein paar Mieter geben auf, in die leeren Wohnungen werden unangenehme Zeitgenossen gepresst, dann kommen Buttersäure-Attacken und Delogierungen. Das lohnt sich: Für eine Wohnung, in der langjährige Bewohner mit alten Mietverträgen etwa 300 Euro Zins bezahlten, lassen sich 4500 Euro pro Quadratmeter verlangen, wenn sie saniert und verkauft wird. Iraschko sitzt für die KPÖ im Bezirksrat der Leopoldstadt und ist überzeugt, dass es nur eine politische Handhabe gegen Spekulanten gibt: „Die Stadt Wien muss nach dem Vorbild Berlins diese Häuser erwerben. Der Polizeieinsatz in der Mühlfeldgasse hat eine Million Euro gekostet – um das Geld hätte die Stadt das Haus auch kaufen und sich Ärger ersparen können. Sonst gewinnen die Spekulanten zu oft.“

Erfolgsgeschichten wie jene aus der Afrikanergasse sind selten. Die Gegensprechanlage ist immer noch kaputt, die Klingel funktioniert nicht, am Kellerzugang klebt ein Zettel: „Polizei war schon da.“ Doch der Spuk ist vorbei, Castella hat das Haus wieder weiterverkauft.

Im vierten Stock der Afrikanergasse wohnt Karin Stasny. Sie ist 1984 in die „Studentenbude“ eingezogen, hat sie schmuck hergerichtet und lange nachgedacht, warum ihre Geschichte so viel besser ausgegangen ist als jene in der nahen Mühlfeldgasse. Ein paar Erklärungen hat sie: „Uns war von Anfang an klar, dass wir zusammenhalten und das als Hausgemeinschaft durchstehen. Und wir sind auch alle artikuliert genug, um uns zu wehren.“

Es waren gar keine spektakulären Dinge, die sie mit Hilfe der Mietervereinigung gemacht haben, sondern eine Vielzahl von kleinen, weiß Stasny zu berichten: „Wir haben Briefe geschrieben, Mails, haben uns wegen der Betriebskosten beschwert – und das immer gemeinsam. Offenbar hat das gereicht, um den Eigentümern zu signalisieren: In diesem Haus wird das Entmieten schwer, da wohnen lästige Leute. Vielleicht haben sie deshalb verkauft.“

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin