Veronika Haberl mit ihrem Sohn.
Drängt dieses Kinderbetreuungsmodell Frauen aus dem Arbeitsleben?

Heimvorteil: Drängt dieses Kinderbetreuungsmodell Frauen aus dem Arbeitsleben?

Immer mehr Gemeinden zahlen Eltern Prämien, wenn sie ihre Kleinkinder ausschließlich zu Hause betreuen. Werden Frauen damit systematisch aus dem Arbeitsleben gedrängt?

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Die Gemeinde Berndorf im Salzburger Flachgau, die am Fuße des Haunsberges liegt, ist ein beschaulicher Ort. Schmale Straßen führen durch den Ortskern, vorbei am Gemeindeamt, an der stattlichen Kirche, am blühenden Friedhof und am Dorfwirt. Von den rund 1500 Einwohnern, die Berndorf zählt, lässt sich an einem schwülen Nachmittag im Hochsommer kaum einer sehen. Der eine Teil ist zum Arbeitsplatz ausgeflogen, der andere planscht in einem der nahegelegenen Seen. Über die Ortsgrenzen hinaus ist Berndorf vornehmlich für zwei Dinge bekannt: für den Komponisten des weltberühmten Weihnachtsliedes "Stille Nacht, heilige Nacht", Franz Xaver Gruber, der von 1829 bis 1835 in Berndorf als Lehrer und Kirchenorganist amtete - und für sein Kinderbetreuungsmodell, das zwar erst 2013 eingeführt wurde, aber auch an längst vergangene Zeiten erinnert.

Wer in Berndorf auf einen Platz in der Krabbelgruppe verzichtet und seine Kinder unter drei Jahren stattdessen zu Hause betreut (was fast ausschließlich Frauen tun), bekommt von der Gemeinde einen monatlichen Zuschuss in der Höhe von bis zu 130 Euro. Die Idee stammt vom Berndorfer Bürgermeister Josef Guggenberger (ÖVP), der sein Konzept stolz als "Berndorfer Modell" in ganz Österreich propagiert. Auf Länder-und Bundesebene ist er damit bisher weitgehend abgeblitzt, in den Gemeinden hat er hingegen schon zahlreiche Nachahmer gefunden. In Schwarzenberg in Vorarlberg etwa bekommen Eltern für die Kleinkinderbetreuung im eigenen Heim seit Anfang des Jahres 300 Euro jährlich bezahlt; weitere Gemeinden im Bregenzerwald arbeiten an ähnlichen Konzepten. In Salzburg honorieren inzwischen Bergheim, Großarl, Seekirchen und ab September auch Neumarkt am Wallersee die Mütter fürs Daheimbleiben. Was die örtlichen Gemeindevertreter als "Wertschätzung" titulieren, bezeichnen Kritiker als "Herdprämie": Es gehe in Wahrheit nur darum, Frauen länger vom Arbeitsmarkt fernzuhalten.

Ich stehe nicht nur hinter dem Herd. Muttersein ist ein Fulltime-Job, und unser Bürgermeister erkennt das auch.

Veronika Haberl ist 29 Jahre alt und wohnt mit ihrer Familie ein paar Gehminuten vom Berndorfer Ortskern entfernt. Sie nimmt das "Berndorfer Modell" schon zum zweiten Mal in Anspruch. Ihre Tochter ist fünf, ihr Sohn wird im November zwei Jahre alt. "Ich möchte diese Zeit bei meinen Kindern verbringen, und die 130 Euro im Monat ermöglichen mir etwas mehr Unabhängigkeit", sagt sie. Auch Haberl empfindet die Zahlungen der Gemeinde als Wertschätzung: "Ich stehe nicht nur hinter dem Herd. Muttersein ist ein Fulltime-Job, und unser Bürgermeister erkennt das auch." Nach ihrer Karenzzeit will Haberl wieder ihre Stelle in der nahegelegenen Apotheke annehmen, aber nur auf geringfügiger Basis. Einen Krabbelstubenplatz werde sie auch dann nicht nutzen, sondern auf die Unterstützung der Großeltern zurückgreifen: "Wenn ich die Betreuung zahlen muss, dann brauche ich gar nicht arbeiten gehen. Schon in meiner Vollzeitanstellung als pharmazeutisch-kaufmännische Assistentin habe ich nur 900 Euro netto verdient." Ein Platz in der Krabbelstube kostet, je nach Betreuungsumfang, zwischen 87 und 174 Euro pro Monat. Dass Haberls Partner, der als Mechaniker arbeitet, der "Familienernährer" ist, störe sie nicht.

Ähnlich wie Haberl sehen es auch Verena Weiser, 34, und Anita Breitenthaler, 30, die am Mittwoch der Vorwoche mit ihren Babys im Arm im Bürgermeisterbüro von Adolf Rieger in Neumarkt am Wallersee sitzen. Die Stadtgemeinde ist knapp 20 Autominuten von Berndorf entfernt und zählt rund 6500 Einwohner. Das Kinderbetreuungsangebot in Neumarkt ist derzeit gut aufgestellt: Es gibt zwei Kindergärten mit Nachmittagsbetreuung, die ganzjährig geöffnet sind, und eine Krabbelstube mit 48 Plätzen. "Wir werden das Angebot aber weiter ausbauen müssen, weil wir eine wachsende Gemeinde sind", sagt ÖVP-Bürgermeister Rieger. Auch deshalb wird Neumarkt nach dem Vorbild Berndorfs ab Herbst zusätzlich auf eine monatliche Förderzahlung in der Höhe von 50 Euro für hausinterne Betreuung setzen. 2019 sind für diesen Posten 60.000 Euro im Gemeindebudget vorgesehen.

Der Neumarkter Bürgermeister Adolf Rieger (ÖVP) mit den Müttern Anita Breitenthaler und Verena Weiser, die sich über den monatlichen Zuschuss der Gemeinde freuen.

Für Verena Weiser und Anita Breitenthaler, die beide ihre Kinder daheim betreuen wollen, bedeutet das ein erfreuliches "Zuckerl". Auch die Männer dieser beiden Frauen sind die Hauptverdiener; zudem arbeiten sie in Branchen (der eine auf dem Bau, der andere als LKW-Fahrer), in denen Vaterkarenz, wie sie sagen, "undenkbar" sei. Auch wenn die 50 Euro Zuschuss für Weiser und Breitenthaler nicht entscheidend für die längeren Karenzzeiten waren, hofft Bürgermeister Rieger trotzdem, dass es für die eine oder andere Mutter Anreiz genug ist, um statt eines Krabbelstubenplatzes - der die Gemeinde weit mehr kostet - die Betreuung daheim zu wählen.

Mit jeder Maßnahme, die Frauen potenziell länger vom Arbeitsmarkt fernhält oder in Teilzeitjobs drängt, fördert man letztlich Altersarmut.

Genau hier liegt für Andrea Klambauer das Problem: "Es ist die Verpflichtung der Gemeinden, sich um Kinderbetreuungsplätze zu kümmern. Mit solchen Prämien versucht man, diese Verpflichtung möglichst gering zu halten." Klambauer ist seit Kurzem NEOS-Landesrätin für Kinderbetreuung und Familien in Salzburg, das seit der Landtagswahl von einer Koalition aus ÖVP, Grünen und NEOS regiert wird. Beim Schlagwort "Berndorfer Modell" muss Klambauer erst einmal tief durchatmen: "Solche Maßnahmen sind nur kurzfristige Anreize. Die langfristigen Effekte auf die Lebenseinkommen der Frauen werden dabei nicht besprochen. Mit jeder Maßnahme, die Frauen potenziell länger vom Arbeitsmarkt fernhält oder in Teilzeitjobs drängt, fördert man letztlich Altersarmut."

In dieselbe Kerbe schlägt auch Doris Weichselbaumer, die das Institut für Frauen -und Geschlechterforschung an der Johannes-Kepler-Uni in Linz (JKU) leitet. Die Ökonomin zweifelt zwar daran, dass die zusätzlichen 50 Euro pro Monat in der Gemeinde Neumarkt große Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit von Frauen haben werden, spricht aber von einer symbolischen Bedeutung: "Dadurch werden traditionelle Bilder von Mutterschaft zementiert." Es sei verständlich, dass solche Zahlungen kurzfristig für Frauen reizvoll sein können, "aber das EU-Ziel ist, Frauen in die Beschäftigung zu bekommen, weil es wichtig für ihre Karriereverläufe und ihre Pensionen ist.'Herdprämien' fördern die finanzielle Abhängigkeit von Frauen." Dazu kommt: Derartige Angebote sind vor allem für sozial schwächere Gruppen attraktiv. "Wir wissen aber aus vielen Studien, dass genau diese Gruppen am meisten von Betreuungseinrichtungen und frühkindlicher Bildung profitieren", sagt Weichselbaumer.

Dass selbst relativ geringe Geldbeträge Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit von Frauen haben können, zeigt ein Beispiel aus Deutschland: In Thüringen wurde von 2006 bis 2010 neben den Familienleistungen des Bundes ein zusätzliches Betreuungsgeld in der Höhe von 150 Euro pro Monat und Kind zwischen zwei und drei Jahren ausbezahlt. Für jedes ältere Geschwisterkind in der Familie erhöhte sich die Förderung um jeweils 50 Euro bis zu einem Höchstbetrag von 300 Euro. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) rechnete in einer 2013 veröffentlichten Studie vor, dass durch die Einführung des Thüringer Betreuungsgeldes die Erwerbsquote von Müttern durchschnittlich um 1,13 Prozentpunkte gesunken ist, jene von Müttern mit drei Kindern um mehr als zwei Prozentpunkte.

Bürgermeister Rieger aus Neumarkt und der Berndorfer Ortschef Guggenberger untermauern ihr Fördermodell mit zwei Hauptargumenten. Das erste lautet:

"Wir möchten damit Wahlfreiheit für Frauen schaffen." Das Kernproblem an dieser Argumentationslinie: "Solange die Nachfrage nach leistbaren Betreuungsplätzen größer ist als das Angebot, kann man nicht von Wahlfreiheit sprechen", sagt Marian Fink, der am Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) zu den Themen Arbeitsmarkt und soziale Sicherheit forscht. Vielen Gemeinden fehlt es nach wie vor an Kindergärten und Krabbelkrippen, die ganztags und auch zu Ferienzeiten geöffnet haben. Auch in der Gemeinde Berndorf sind die Kindergärten und Krippen in den Sommermonaten nur von 7:30 bis 13:30 Uhr geöffnet; drei Wochen bleiben sie ganz geschlossen.

In fast allen Bundesländern gibt es besonders für unter Dreijährige nicht genug Plätze. Österreich verpflichtete sich bereits 2002 auf das sogenannte EU-Barcelona-Ziel, das eine Betreuungsquote von 33 Prozent bis 2020 in dieser Altersgruppe vorsieht. Aktuell liegt Österreich bei einer Quote von 28,6 Prozent, landesweit fehlen rund 12.000 Plätze. Zusätzlich will nun die Bundesregierung die Fördermittel für den Ausbau von 140 Millionen auf 110 Millionen Euro jährlich kürzen.

Die zweite Argumentationslinie der Bürgermeister betrifft eine vermeintliche "Schieflage", die es auszugleichen gelte:

Wer sein Kind in Betreuung gebe, erhalte eine staatliche Förderung (in Salzburg muss das Land rund 520 Euro für die Betreuung von Kindern unter drei Jahren beisteuern, die Gemeinde rund 320). Wer sein Kind ausschließlich daheim betreue, bekomme hingegen nichts. "Auch dieses Ausgleichsargument hält nicht", betont Fink vom WIFO: "Wer freiwillig eine angebotene Leistung nicht in Anspruch nimmt, hat nicht automatisch Anspruch auf eine Kompensation." Unabhängig davon gebe es ja genau eine solche Kompensation: "Es gibt das Kinderbetreuungsgeld, oder etwa auch den Alleinerverdienerabsatzbetrag, der geltend gemacht werden kann - bei einem Kind sind das rund 500 Euro im Jahr, bei zwei 670 Euro."

Dazu kommt: Das österreichische Fördermodell zementiert bereits die traditionelle Rollenverteilung, was vor allem an den direkten Geldleistungen liegt. Für Familienleistungen wendet Österreich 2,6 Prozent des BIP (2013) auf und liegt damit knapp über dem OECD-Durchschnitt (2,4 Prozent des BIP). Die Struktur der heimischen Familienförderungen unterscheidet sich aber deutlich vom Durchschnitt der OECD-Länder. 2013 waren knapp drei Viertel der Gesamtausgaben der öffentlichen Hand für Familienleistungen direkte Geldleistungen und Steuererleichterungen, die Ausgaben für Kinderbetreuungseinrichtungen und andere Sachleistungen machten lediglich rund ein Viertel aus. Im Durchschnitt der OECD-Länder hingegen betrug der Anteil der Sachleistungen mehr als 40 Prozent; in Schweden und Dänemark waren es sogar mehr als 60 Prozent bei insgesamt höheren Familienleistungen.

Das Wifo kam in einer kürzlich veröffentlichen Analyse der Familienleistungen zu einem eindeutigen Schluss: Die österreichische Förderstruktur unterstütze "tendenziell ein Familienmodell, in dem Mütter den größeren Teil der Betreuungsarbeit übernehmen und Väter den größeren Teil der Erwerbsarbeit" - im Zusammenspiel mit weiteren Regelungen wie etwa der Möglichkeit einer relativ langen Inanspruchnahme des Kinderbetreuungsgeldes, der im Durchschnitt deutlich geringeren Entlohnung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt "und nicht zuletzt einer ausgeprägten Skepsis in der Bevölkerung gegenüber einer Erwerbstätigkeit von Müttern mit kleinen Kindern".