Bleierne Zeiten

Einfallslos, ambitionslos, feige: Diese Koalition sieht uralt aus

Regierung. Einfallslos, ambitionslos, feige: Diese Koalition sieht uralt aus

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Was jetzt kommen müsse, darüber waren sich die Kommentatoren in den Tagen nach der Nationalratswahl einig: eine „Koalition ganz neuen Stils“, eine „Zusammenarbeit moderner Art“; sogar von „koalitionsfreien Räumen“ und einem flotten Dreier mit NEOS oder Grünen wurde da geträumt. Nur eines durfte es nicht mehr werden: ein bleiernes, alle Probleme vor sich herschiebendes Regierungsbündnis; eine sieche Zweckgemeinschaft; eine zwar wohlmeinende, aber in vielem zu schwache Regierung.

Genau das ist es wieder geworden. Dass alle großen Brocken, von der Steuerreform über den Föderalismus bis zu den Pensionen, vertagt oder in Arbeitsgruppen verlagert wurden, kommt einer Selbstaufgabe der beiden Parteien gleich.

Schlichtungskommission
Vieles im Programm bleibt vage, einiges ist von gutem Willen, aber wenig Realisierungspotenzial getragen, und manches bleibt mysteriös. So heißt es etwa zum Thema Pensionen: „Erzielt die Bundesregierung über die Maßnahmen (zur Anhebung des faktischen Pensionsalters, Anm.) keinen Konsens, tritt ein auf drei Monate befristetes Schlichtungsverfahren zwischen den Koalitionspartnern ein.“ Die Schlichtungskommission besteht aus vier Personen, Beamten des Finanz- und Sozialressorts sowie Experten. Ihre Vorschläge sind laut Papier „für die Koalitionspartner verbindlich“.

Enttäuschung bei der SPÖ
Entscheiden dann Beamte über einschneidende Pensionsreformmaßnahmen, und die Politik hält sich vornehm heraus? In der SPÖ war die Enttäuschung über das Verhandlungsergebnis am offenkundigsten: keine Spur einer vermögensbezogenen Steuer, die der Parteivorsitzende noch im Wahlkampf als unverzichtbar bezeichnet hatte. Der steirische Landeshauptmann und SPÖ-Chef Franz Voves – er hatte eine solche Steuer als Erster gefordert – verließ vergangenen Freitag noch vor der Abstimmung die Sitzung der Parteigremien und legte seine Funktion als Faymann-Stellvertreter zurück.

Wenige Stunden zuvor hatte schon der Vorarlberger Abgeordnete Elmar Mayer sein Amt als SPÖ-Bildungssprecher im Nationalrat niedergelegt: Er habe im Wahlkampf mit Überzeugung das SPÖ-Ziel der Gesamtschule gepredigt, „jetzt findet sich von dieser zentralen Wahlkampfforderung kein Wort im Koalitionsprogramm. Wir sind bei der Umsetzung keinen Schritt weitergekommen.“

Die Enttäuschung über das Regierungsprogramm zieht sich quer durch die SPÖ: Millionärssteuer – abgesagt. Gesamtschule – abgesagt. Steuerreform – in eine Arbeitsgruppe ausgelagert. Föderalismusreform – wieder einmal einer Kommission überantwortet. „Es hat keinen Sinn, eine Mehrheit für die Sozialdemokratie zu erringen, wenn der Preis dafür ist, kein Sozialdemokrat mehr zu sein“, hielt die protestierende Parteijugend Donnerstagabend den Altvorderen auf Plakaten ein Zitat Willy Brandts entgegen.

So ungestüm wie die Jungspunde lehnte nur die SPÖ Vorarlberg das Regierungsprogramm ab, eine Landesgruppe, die bei der Nationalratswahl mit 13 Prozent gerade noch zweistellig geblieben war. Allerdings war der SPÖ-Vorsitzende Werner Fay-mann persönlich ausgerückt, um die renitenten Genossen zu überzeugen. Es gelang ihm bei exakt zwei Vorarlberger Vorstandsmitgliedern. Die restlichen 46 lehnten den Koalitionsvertrag ab.

„Kleine Schritte”
In anderen Landesorganisationen war sicherheitshalber erst gar nicht abgestimmt worden. „Es ist halt eine Politik der kleinen Schritte und nicht eine Politik der großen Würfe“, seufzte ÖGB-Präsident Erich Foglar. Aus Foglars Mund hat diese Kritik an der Politik der Hasenherzigkeit besonderes Gewicht: Er ist alles andere als ein Feuerkopf und hat als Sozialpartner verinnerlicht, dass Politik auch zäher Kompromiss ist.

Dabei hatte die SPÖ-Spitze mit allerlei Tricks gearbeitet: Bei ihrer Tour durch die Landesparteien hatten die Minister am Donnerstag nicht das Koalitionsprogramm, sondern ein eigens angefertigtes SPÖ-Papier dabei, in dem nur die roten Verhandlungserfolge aufgezählt wurden. Dass das „echte“ Regierungsprogramm Freitagvormittag in Wien mit nur sechs Gegenstimmen angenommen wurde, lag vor allem daran, dass sich viele SPÖ-Granden mit vagen Formulierungen im Kleingedruckten trösteten.

Kühne Hoffnung
So lobte Salzburgs SPÖ-Vorsitzender Walter Steidl ausdrücklich, dass der geförderte Wohnbau nun in die Verfassung geschrieben werden soll – als ob das irgendwelche Konsequenzen hätte. Für die aufmüpfige SPÖ-Oberösterreich freute sich deren Vorsitzender Reinhold Entholzer über „die geplante Steuersenkung“. Eine recht kühne Hoffnung, denn SPÖ und ÖVP hatten sich nur auf den Minimalkonsens einigen können, dass wieder einmal eine Steuerreformkommission eingesetzt wird, die Vorschläge zur Senkung des Eingangssteuersatzes erarbeiten soll. Ob der Steuersatz dann wirklich gesenkt wird, hängt, so steht es geschrieben, von den „finanziellen Spielräumen“ oder „der Gegenfinanzierung“ ab. Man muss schon ein großer Optimist sein, um aus dieser Passage herauszulesen, dass demnächst eine Steuerreform kommt oder die ÖVP gar ihren Widerstand gegen die Finanzierungsquelle Vermögenssteuer aufgibt.

Der schwergewichtige SPÖ-Gewerkschaftsflügel erteilte seinen Sanktus nur mit Vorbehalt. „Wenn wirklich Privatisierungen kommen sollten, werden wir das mit aller Kraft bekämpfen“, kündigten die roten Gewerkschafter vorsorglich ihren Widerstand an. Vorerst besänftigte sie eine Reihe von Einzelmaßnahmen im Programm, etwa das Bonus-Malus-System für Arbeitgeber, die Ältere beschäftigen oder kündigen. Oder der geplante Abbau von All-in-Verträgen und der angekündigte Ausbau der Ganztagsschulen.

Am wissenschaftlichsten ging die „Sektion 8“, eine Gruppe von Parteilinken und Ökonomen, die Analyse des Papiers an. Nach einem Punktesystem wurde bewertet, wie viele Inhalte aus dem SPÖ-Wahlprogramm umgesetzt wurden. Das Ergebnis: 6,75 Punkte. Für ein Genügend wären 8 Punkte nötig gewesen.

Rückschritt
In vielen Bereichen ist das Regierungsprogramm ein Rückschritt gegenüber den Projekten, die in den Untergruppen der Koalitionsverhandlungen vereinbart gewesen waren. Ein Beispiel: Wird jemand alt und krank und muss ins Pflegeheim, holt sich der Staat als Ersatz für die Heimkosten das Vermögen – zuerst die Pension, und, wenn diese nicht reicht, die Eigentumswohnung, Sparbücher oder sonstigen Besitz. Dieser sogenannte Pflegeregress ist eine Art Vermögensteuer, die allerdings nur für Pflegebedürftige gilt – und damit sehr ungerecht ist, befanden zumindest die Verhandler von SPÖ und ÖVP. Sie vereinbarten, den Pflegeregress abzuschaffen, sobald eine Ersatzfinanzierung dafür gefunden ist. Als Varianten wurden eine verpflichtende Pflegeversicherung oder die Wiedereinführung der Erbschaftssteuer angedacht. Viel zu mutig, viel zu konkret, befanden die Chefverhandler von SPÖ und ÖVP. Vom vergleichsweise fundierten Vorschlag der Untergruppe blieb im Regierungsprogramm nur noch eine nichtssagende Absichtserklärung: Sobald eine nicht näher definierte „Ersatzlösung“ für den Pflegeregress gefunden ist, soll „die Systematik geändert werden“. Noch vager wäre es nicht gegangen.

Manchmal reichte die Durchsetzungskraft nicht einmal für Minimalreformen. So hatte die Staatsreformgruppe um SPÖ-Landeshauptmann Hans Niessl und ÖVP-Seniorenbund-Präsident Andreas Khol vorgeschlagen, den Bundesrat künftig zum Teil mit Landtagsabgeordneten zu beschicken. Nach einem Gespräch der Regierungsspitze mit den Landeshauptleuten war der Reformeifer erloschen – ein Bundesratsmandat gilt weiterhin als politischer Vollzeitjob mit einer Monatsgage von 4220 Euro. Andreas Khol: „Der Widerstand der Betroffenen war offenbar zu groß. Das ist ernüchternd.“

In der ÖVP waren die Turbulenzen nicht weniger heftig als bei der SPÖ. Die ÖVP-Granden hatten Michael Spindelegger absolute Personalhoheit bei der Auswahl der Regierungsmitglieder zugestanden. Dass er diese auch ausnutzen würde, hatten nicht alle Landes- und Bündeobleute geglaubt. Ein schwarzes Vorstandsmitglied: „Spindelegger weiß, dass er jetzt ganz allein die Verantwortung trägt.“

„Dreamteam“
Immerhin nominierte der ÖVP-Obmann mit Sophie Karmasin und Wolfgang Brandstetter zwei Minister ohne ÖVP-Parteibuch, während etwa die steirischen Schwarzen leer ausgingen. In der vergangenen Legislaturperiode hatten sie mit Beatrix Karl die Justizministerin gestellt. Der steirische ÖVP-Klubobmann Christopher Drexler kommentiert die Häufung von Wienern und Niederösterreichern in Spindeleggers „Dreamteam“ gegenüber profil süffisant: „Mit Blick auf die Herkunft der ÖVP-Mannschaft kann man wohl von einem Zentralkomitee sprechen.“ Und Zentralismus zählt aus Sicht von ÖVP-Landeschefs bekanntlich zu den politischen Todsünden. Der steirische ÖVP-Chef Hermann Schützenhöfer hatte die Sitzung des Parteivorstands Donnerstagabend vergangener Woche vorzeitig verlassen, um nicht über den Koalitionspakt abstimmen zu müssen.

Auch in Oberösterreich und im Wirtschaftsbund ist man ob Spindeleggers Personalpolitik zumindest irritiert. Vor allem der Umgang mit Maria Fekter dürfte nicht so schnell vergessen werden. Nach der Degradierung der Finanzministerin zur einfachen Abgeordneten folgte am Donnerstag die Erniedrigung im Parlamentsklub. So wurde nicht Fekter zur Finanzsprecherin bestimmt, sondern Michaela Stein-acker. Die Raiffeisen-Managerin ohne politische Erfahrung war von Spindelegger auf Platz zwei der schwarzen Bundesliste bei der Nationalratswahl positioniert worden. Fekter bleiben zum Trost die Agenden als Kultursprecherin.

ÖVP-intern wird aufmerksam regis-triert, dass der Parteichef vor allem enge Vertraute befördert. Kabinettschef Jochen Danninger, 38, ist neuer Finanzstaatssekretär, Kabinettsmitarbeiter Gernot Blümel, 32, neuer ÖVP-Generalsekretär. Auch die Neuzugänge stehen in einem Naheverhältnis: Den designierten Justizminister kennt Spindelegger aus ihren gemeinsamen Zeiten als Universitätsassistenten. Wie der Vizekanzler ist Wolfgang Brand-stetter Mitglied im Cartellverband. Die neue Familienministerin Sophie Karmasin hatte in den vergangenen Jahren diverse Projekte für die Volkspartei abgewickelt.

Einziger Nicht-Spindelegger-Mann an zentraler Stelle ist der neue Klubobmann Reinhold Lopatka. In den Koalitionsverhandlungen hatte er sich für den ÖVP-Obmann unentbehrlich gemacht. Lopatka gilt als taktischer Fuchs und absolut loyal, obwohl ihn Spindelegger bei Übernahme der ÖVP-Obmannschaft im Frühjahr 2011 aus der Regierungsmannschaft ausgemustert hatte. Donnerstag vergangener Woche rächte sich Lopatka dafür in einer launigen Antrittsansprache vor den schwarzen Abgeordneten: Er kenne den Klub ja besonders gut, schließlich habe ihn Spindelegger vor zweieinhalb Jahren ins Parlament zurückgeschickt. Neben dem Management der Parlamentsriege soll Lopatka seine störrischen steirischen Landsleute befrieden.

Der Krach mit den Tiroler Schwarzen wird nicht so leicht beizulegen sein. Anlass dafür ist der wohl schwerste Sündenfall der neuen Koalition, die Abschaffung des Wissenschaftsministeriums zugunsten eines völlig überflüssigen Familienministeriums. Die Tiroler Volkspartei ärgert dabei vor allem der Hinauswurf ihres Spitzenkandidaten bei der Nationalratswahl, Karlheinz Töchterle, und die Art, wie ihm der Parteichef den Stuhl vor die Tür stellte. Spindelegger hatte Töchterle am Donnerstag um 16 Uhr, also nur eine Stunde vor Beginn der Klubsitzung, zu einem Vieraugengespräch gebeten und ihm dabei eröffnet, er brauche noch ein „weiches Ressort“, eines für Familie und Jugend. Dafür müsse er leider ein anderes opfern, eben Töchterles Wissenschaftsministerium. Der Altphilologe war von den Socken: Er habe doch in allen Umfragen tolle Sympathiewerte und in Tirol ein vergleichsweise gutes Wahlergebnis erzielt, klagte Töchterle nach seinem Hinauswurf in die Kameras.

Der zur selben Stunde aus Innsbruck eingeflogene Tiroler ÖVP-Chef Günther Platter war fassungslos. In einer von ihm geforderten Sitzungsunterbrechung drohte er Spindelegger mit der Ablehnung des Koalitionspakts. Dem ÖVP-Obmann gelang es, das Steuer herumzureißen, indem er den Plan aufgab, den früheren Rewe-Vorstand Werner Wutscher, einen Kärntner, zum Landwirtschaftsminister zu machen, und den Job an einen Tiroler, den früheren Agrar-Sektionschef Andrä Rupprechter, vergab.

Freitag wurde in der ÖVP gerätselt, was Spindelegger veranlasst haben könnte, das symbolträchtige Wissenschaftsministerium und damit den beliebten Professor Töchterle zu entsorgen. Eine der Erklärungen: Töchterle habe sich zu wenig für die ÖVP im Allgemeinen und die Linzer Medizin-Uni im Speziellen eingesetzt und sich damit den Groll von Landeshauptmann Josef Pühringer zugezogen. Brisanter die Variante, die ein hochrangiger ÖVP-Mann kolportierte: Töchterle sei zuletzt wegen seiner guten Werte in mehreren Zeitungen als möglicher Präsidentschaftskandidat gehandelt worden, was den Argwohn des selbst einschlägig geneigten Erwin Pröll erregt habe.

Aber auch die Sozialdemokraten können sich in dieser Frage nicht davonstehlen: Sie müssen im Parlament der Änderung des Ministeriengesetzes zustimmen und damit das im April 1970 von Übervater Bruno Kreisky begründete Wissenschaftsministerium per Handheben wieder abschaffen, weil Michael Spindelegger ein „weiches Ressort“ benötigt. Auch das ist „Große Koalition“.

Der Stress von Wahlkampf und Koalitionsverhandlungen zwang inzwischen zwei Spitzenpolitiker ins Krankenbett. ÖGB-Präsident Erich Foglar erlitt einen Bandscheibenvorfall, Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl fing sich eine Lungenentzündung ein.

Leitl hatte das sich abzeichnende Ergebnis zu Wochenbeginn noch als „kompletten Topfen“ bezeichnet. Von einem Bürger wurde er darob per Mail getadelt: Das gleichnamige Milchprodukt sei von hoher Qualität und habe es nicht verdient, mit dem Regierungsprogramm verglichen zu werden.