„Verkürzen wir den Zivildienst auf sechs Monate”

Eva Glawischnig: „Verkürzen wir den Zivildienst auf sechs Monate”

Interview. Grünen-Chefin Glawischnig über die Bevormundung der Bürger und den Sinn von Verboten

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Interview: Otmar Lahodynsky, Rosemarie Schwaiger

profil: Wann haben Sie zuletzt ein Verbot missachtet?
Glawischnig (denkt lange nach): Falschparken könnte es gewesen sein. Ich bin normalerweise sehr vorsichtig, weil ich ja ständig unter Beobachtung stehe. Also bei Rot über die Kreuzung gehen – das mache ich nicht mehr, auch wegen der Kinder. Aber es kommt vor, dass ich mein Auto falsch parke.

profil: Zu schnell fahren Sie nie? Ihr Vorgänger Alexander Van der Bellen hat uns einmal gestanden, dass er gelegentlich zu schnell dran ist – angeblich nur aus Unachtsamkeit, wenn es bergab geht.
Glawischnig: Das ist nicht mein Ding. Ich fahre sehr ungern Auto und bin 20 Jahre lang sehr gut ohne ausgekommen. Erst seit dem zweiten Kind geht das nicht mehr. Aber eine Fahrt mit Van der Bellen durch das Gesäuse wird mir ewig in Erinnerung bleiben. Mir war nach zehn Minuten so schlecht.

profil: Fährt er so wild?
Glawischnig: Wahnsinn. Es gibt eine Comicfigur namens Homo Motoricus. Da sieht man einen zotteligen Hund, dem im Auto die Wolfszähne wachsen. Daran musste ich denken, als ich neben Van der Bellen saß.

profil: Es gibt eine rege Diskussion darüber, ob der Staat nicht schon zu viele Lebensbereiche durch Verbote regelt. Der Wiener Philosoph Robert Pfaller hat dafür die Initiative „Mein Veto“ gegründet, das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ schreibt diese Woche über den „Nanny-Staat“. Verstehen Sie dieses Unbehagen über Bevormundung?
Glawischnig: Da müssten wir zuerst definieren, was ein Verbot ist. Für mich liegt der Kern der Liberalität weniger in Verkehrsregeln, sondern in den Grund- und Freiheitsrechten. Die sind tatsächlich bedroht. Wir haben die von Edward Snowden aufgedeckte NSA-Überwachung, wir haben die Vorratsdatenspeicherung. Niemand außer uns findet etwas dabei, Asylwerber bis zu sieben Tage einzusperren. Jeder fünfte Einwohner Wiens darf nicht wählen, auch wenn er schon jahrelang hier wohnt. Schwule und Lesben dürfen noch immer keine Kinder adoptieren. Das sind wirklich Einschränkungen der persönlichen Freiheit. Diskussionen wie jetzt in Deutschland über den Veggie-Day gehen am Kern des Problems vorbei.

profil: Trotzdem ist die Aufregung groß. Der CDU-Chef von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, ein Wegbereiter für schwarz-grüne Koalitionen in Deutschland, sagte jüngst: „Mich nervt diese grüne Umerzieherei.“ Die Wochenzeitung „Die Zeit“ kritisierte die grüne „Erziehungsdiktatur“. Sind die Grünen Spaßbremsen?
Glawischnig: Wir Grüne verteidigen als einzige Partei radikal die Grundrechte. Wer außer uns hat den Mut, etwa zu sagen, Asylwerber sollen arbeiten dürfen? Es stimmt, dass wir bestimmte Schutzinteressen sehr stark in den Vordergrund stellen – wenn es zum Beispiel um die Lebensinteressen der künftigen Generationen geht. Unser Grundsatz lautet: das Ende der Beherrschung.

profil: Muss man dafür die Menschen gängeln?
Glawischnig: In der Umweltpolitik gab es lange die Philosophie, den Markt alles regeln zu lassen, zum Beispiel mit dem Zertifikathandel. Das hat nicht funktioniert. Der CO2-Handel in Europa ist zusammengebrochen. Auf der anderen Seite hat das Verbot von FCKW sehr gut funktioniert. In der Umweltpolitik geht es manchmal nicht ohne Verbote.

profil: Muss man Menschen manchmal zu zu ihrem Glück zwingen?
Glawischnig: Das glaube ich nicht. Aber es ist auch nicht okay, wenn jemand bestraft wird, nur weil er sich umweltbewusst verhält. Wenn es für Pendler keine geeigneten öffentlichen Verkehrsmittel gibt, dann kommt dies praktisch einem Mobilitätsverbot gleich.

profil: Muss es für Autofahrer deshalb eine flächendeckende Tempo-30-Beschränkung in der Stadt geben, wie die Grünen wollen? Offenbar soll das Autofahren möglichst teuer und unattraktiv werden.
Glawischnig: Nein. Aber in einer Stadt wie Wien, die jedes Jahr um 20.000 Menschen wächst, geht es einfach um die Frage, wie der knappe Raum verteilt wird. In den 1970er-Jahren kam in den Ballungsräumen ein Auto auf vier Kinder. Jetzt kommen vier Autos auf ein Kind.

profil: Im April beschlossen die Wiener Grünen, sich selbst den Einsatz von Heliumballons im Wahlkampf zu verbieten. Warum macht man so etwas?
Glawischnig: Ich habe auch herzlich gelacht, als ich das gehört habe. Es hat allerdings einen ernsthaften Hintergrund. Ich glaube, es ging darum, dass Tiere die abgestürzten Ballons mit Blättern verwechseln und daran ersticken könnten.

profil:
Na ja. Die Grünen sind die einzige Partei, die in der Gastronomie ein komplettes Rauchverbot fordert. Warum?
Glawischnig: Die jetzige Lösung ist ein echter Murks. Es wäre einfacher gewesen, ein generelles Rauchverbot in Lokalen einzuführen, wie in einem Großteil der europäi-schen Länder. Mir geht es da vor allem um den Jugendschutz.

profil: Und deshalb wollen Sie auch noch die Zigarettenautomaten verbieten?
Glawischnig: Da sind wir bei der Frage, wem der öffentliche Raum gehört. Ich ärgere mich auch täglich über diese grauslichen Kaugummiautomaten auf dem Schulweg. Jedes Mal muss ich meine Kinder da vorbeizerren. Warum dürfen die solchen Schrott aufhängen?

profil: Was halten Sie von einem fleischlosen Tag pro Woche in allen Kantinen, wie es die deutschen Grünen fordern?
Glawischnig: Ich halte überhaupt nichts von Zwang. Essen hat etwas mit Lust und Freude zu tun, auch mit Verführung. In Deutschland wurde immerhin eine interessante Diskussion ausgelöst. Es ist gut, darüber nachzudenken, was unser Fleischkonsum für andere Teile der Welt bedeutet. Interessant ist, welche Aufregung dieses Thema erzeugt hat. Deutschland wäre glücklich, wenn es keine anderen Sorgen hätte.

profil: Das denkt man sich auch bei manchen Vorschlägen Ihrer Partei. Nur eine kurze Auswahl: Die Wiener Grünen wollen Touristenbusse in der Innenstadt und den Fiakerbetrieb ab 30 Grad Außentemperatur verbieten. Madeleine Petrovic in Niederösterreich agitiert gegen eine Flugshow auf dem Hochkar. Auf oberösterreichischen Autobahnen gilt großräumig Tempo 100.
Glawischnig: Jetzt sollten Sie sachlich bleiben. Die EU verdonnert uns dazu, etwas zu unternehmen, wenn wir die Feinstaubhöchstwerte überschreiten. Diese Tempo-Begrenzung basiert auf den Richtlinien der EU zur Schadstoffreduktion.

profil: In Salzburg will Astrid Rössler Müllkübel durchsuchen lassen, weil Supermärkte zu viele Lebensmittel wegwerfen.
Glawischnig: Das sind ernsthafte gesellschaftspolitische Fragen. Astrid Rössler hat mir Fotos einer Mülltonne voll mit weißem Spargel in tadellosem Zustand gezeigt. Das hat mich echt schockiert. Es ist nicht nötig, dass ein Drittel der Lebensmittel im Müll landet. Insgesamt würde ich mir wünschen, dass über die gesellschaftspolitischen Verbote der Konservativen auch einmal geredet und geschrieben wird. Die betreffen persönliche Freiheiten von Menschen: Stichwort Homosexuelle. Stichwort Asylwerber. Das sind fundamentale Fragen, bei denen es um viel geht.

profil: Einst sind die Grünen mit dem Schlachtruf „Legalize it“ angetreten.
Glawischnig: Die Entkriminalisierung weicher Drogen steht nach wie vor in unserem Parteiprogramm. Ich sehe da auch überhaupt keinen Widerspruch. Junge Leute, die einen Joint geraucht haben, kriegen einen schwarzen Punkt im Suchtmittel-Strafregister. Und wenn sie später zum Beispiel ein Gewerbe anmelden wollen, darf die Wirtschaftskammer im Register nachschauen. Das halte ich für eine Unverschämtheit.

profil: Würden Sie mit der Forderung nach Entkriminalisierung in Koalitionsverhandlungen gehen?
Glawischnig: Ja. Außerdem ist jeder für seine Gesundheit selber verantwortlich.

profil: Was halten Sie davon, Konzerte von Musikern zu verbieten, weil die Texte der Songs frauenfeindlich, rassistisch oder sonstwie anstößig sind?
Glawischnig: Solange die Texte nicht das Verbotsgesetz verletzen oder verhetzend sind, bin ich gegen ein Verbot. Man kann solche Bands kritisieren, man kann eine Gegendemo veranstalten. Das ist eine gesellschaftspolitische Auseinandersetzung.

profil: Und was ist mit den pädophilen Texten von Daniel Cohn-Bendit?
Glawischnig: Das ist für mich unerträglich. Solche Texte hätten nie geschrieben werden dürfen.

profil: Sind Sie noch immer für die Abschaffung der Wehrpflicht?
Glawischnig: Ja. Das ist eines der ärgsten Gebote des Staates, der jungen Männern ohne jede Rechtfertigung einen Teil ihrer Lebenszeit raubt. Wenn ich in die Regierung komme, dann verkürzen wir den Zivildienst auf sechs Monate, und dann bricht das ganze System schnell zusammen, weil niemand mehr zum Bundesheer gehen wird.

profil: Wird das eine Koalitionsbedingung?
Glawischnig: Das ist mein persönliches Ziel. In einem Land, das ohnedies schon so autoritär ist, was gibt man den jungen Männern mit? Kuschen und aus.

profil: Warum ist Österreich so autoritär?
Glawischnig: Das darf man mich nicht fragen. Ich komme aus einem Oberkärntner Gasthaus, wo mein Papa Porsche gefahren ist, und die Frauen haben gearbeitet. Nach wie vor ist Österreich ein sehr patriarchalisch geprägtes Land. Ich erinnere mich an die Debatten im Parlament über die Bundeshymne mit den Redebeiträgen der Rechten. Es war furchtbar, einfach unpackbar.

Foto: Philipp Horak für profil

Ein Interview, ein Thema
profil befragt die Spitzenkandidaten der österreichischen Parteien in diesem Wahlkampf etwas anders. Vorgegeben wird ein Generalthema, das sich durch das gesamte Interview zieht. Den Anfang macht Grünen-Chefin Eva Glawischnig, mit der wir über die Verbotsgesellschaft sprechen.