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Die Käfig League der Caritas ist eine harte Schule fürs Leben

Fußball. Die Käfig League der Caritas ist eine harte Schule fürs Leben

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Das Beste an Husseins Kindheit in Wien-Margareten war der Blick aus dem Wohnzimmer, der genau auf jenes eingezäunte Viereck fiel, in dem sein Fußballerleben begann. Jetzt steht er auf dem perfekten Rasen der Wiener Austria: „Dass ich hier einmal lande, hätte ich nie gedacht.“

Hussein Bazzi, 15 (Foto), ist für die Trainer der „Käfig League“, das Straßenfußballprojekt der Caritas, ein Kerl zum Vorzeigen. Vorigen Sommer fuhr er zum Youth Cup des FC Bayern München. Seit er im Trikot seiner Vorbilder im Allianz Stadium stand, hofft er jedes Mal, wenn sein Handy klingelt, „dass sie mich haben wollen“.

An seiner Geschichte können sich die Burschen und Mädchen in den 25 Käfigen der Stadt aufrichten, die Caritas-Mitarbeiter jede Woche abklappern. Manche dieser Plätze waren wegen Drogen, Gewalt und rauen Jungs, die den Kleinen den Platz zum Spielen nahmen, arg verschrien. Inzwischen gelten sie als Kaderschmieden des Straßenkicks.

Kapaunplatz, 20. Wiener Gemeindebezirk: Viele der Kinder kennt Leonard
Vasile, 27, seit Jahren. Bevor der gebürtige Rumäne sie dehnen, laufen und springen lässt, versammelt er sie zum rituellen Kreisgespräch. Was die Sechs- bis 14-Jährigen hier erzählen oder herausweinen, dringt nur im Notfall nach außen: „Als Trainer will ich eine Vertrauensperson sein, die nicht wegen jeder Kleinigkeit zu den Eltern rennt.“

Vasile beobachtet und denkt viel nach. Etwa, wie es mit den somalischen Kindern weitergeht, die kaum ein Wort Deutsch verstehen. Wenn sie es mit dem Fußball ernst meinen, wird er versuchen, Schuhe für sie aufzutreiben.
In der Ecke wartet ein Sozialarbeiter. „Auch er drängt sich nicht auf, sondern lässt die Kinder an sich herankommen, wenn ihnen nach Reden ist“, sagt Peter Sniesko, Mitarbeiter der Käfig League. Es gibt Stress in der Schule, Probleme zu Hause, schlimme Erlebnisse in Bürgerkriegen, alltägliche Kränkungen. Manche der Kinder werden davon stumm, andere gefährlich aggressiv.

Rebellisch und fürsorglich
Fußball ist ein Vehikel. Im besten Fall helfen die Lektionen innerhalb des Käfigs außerhalb weiter, sagt Klaus Schwertner, Generalsekretär der Caritas Wien: „Die Kinder müssen sich an Regeln halten und zusammenspielen, um zum Ziel zu kommen. Sie erleben, wie man als Sieger mit Verlierern umgeht, und wie es sich anfühlt, wenn man selbst zu den Verlierern gehört.“
Manchmal werden die Rebellischen und Lauten fürsorglich, wenn sie mit Aufgaben betraut werden und sich wichtig fühlen. Für die tschetschenischen Brüder Andrabek, 16, und Saidbek, 18, die 2004 mit ihrer achtköpfigen Familie nach Österreich kamen, war es die vielleicht schwierigste Übung, sich in eine Mannschaft einzufügen. Schon als Kind sei er immer „misstrauisch“ und „kampfbereit“ gewesen, sagt der Ältere.

Die beiden stählten sich mit Karate und Judo. Fußball kannten sie nur von der PlayStation. „In unserer Kultur hat er keine Bedeutung.“ Das änderte sich, als sie am Hannovermarkt in die Käfig League hineinwuchsen. Saidbek, der in Wien ein Oberstufenrealgymnasium besucht, will nun Trainer werden. Sein Bruder Andrabek, Schüler einer HTL für Elektrotechnik, springt fallweise als Schiedsrichter ein. So wie Karim, 15, oder Leo, 15, der im Alter von drei Jahren mit seiner Familie aus Rumänien kam. Noch ringen die Käfig-Freunde damit, dass sie jetzt „immer fair sein müssen und nicht mehr schimpfen dürfen“ (Leo).

Ihre Entwicklung grenzt an ein Wunder. Als der Sportpsychologe Alex Schneider vor ein paar Jahren am Kapaunplatz auftauchte, stürzten sich zehn Burschen auf ihn. Einer von ihnen nützte den Tumult, um den Eindringling abzuwatschen: „Die wollten ihre Ruhe haben. Ich habe es sogar verstanden, ich bin selbst in einem Käfig groß geworden.“ Einer der Rabauken habe ihm später gestanden, sie hätten damals gedacht: „Die sehen wir nie wieder.“ Doch Schneider und Co-Trainer Vasile ließen sich nicht wegjagen. Drei Monate dauerte es, bis sich die Stimmung am Platz änderte. „Inzwischen kommen vom Kapaunplatz die besten Spieler.“

„Gutes Gefühl, im Dress herumzugehen“
Vergangene Woche begleitete Schneider wieder zehn Burschen zum FC Bayern nach München. Ex-Star Paul Breitner hatte sie im Vorjahr am UniCredit-Gelände am Kaiserwasser ausgewählt (siehe Interview hier). Vier Tage lang durften sie am FC- Bayern-Campus trainieren und danach zum Youth-Cup-Turnier antreten, dort, wo sich sonst Alaba, Schweinsteiger & Co auf Weltklassespiele vorbereiten. „Wenn mich eine Fußballerlegende wie Paul Breitner haben will, heißt das, dass ich auf dem richtigen Weg bin“, sagt Liban, 15, der mit seiner Mutter und neun Geschwistern aus Somalia flüchten musste.

Jugendcoach Udo Bassemir steht mit Kappe am Sportrasen und versucht, 80 Burschen im Auge zu behalten. Die Österreicher gefallen ihm heute, weil sie „viel reden und einander mit Namen anreden. Das ist ein gutes Zeichen.“ Dabei kennen die Burschen einander erst seit sechs Wochen. Harun, 16, möchte Elektriker werden. Oder Installateur. Seine 30 Bewerbungen blieben bisher ohne Antwort. In München fühlt er sich „wie ein Profi, zumindest stelle ich mir vor, dass sich so ein Profi fühlt“. Wie denn? „Perfekt!“

Zum Sightseeing schwärmten die Teams aus Japan, China, Thailand, Myanmar, Indien, Amerika, Italien und Österreich im Bayern-Ornat aus. Jeder hat im Fanshop Leiberl, Short, Stutzen und einen Trainingsanzug ausgefasst. Selbst der türkischstämmige Wiener Saban, 16, den es mehr zum Erzrivalen Borussia Dortmund zieht und der Fenerbahçe verehrt, räumt ein, dass es „ein gutes Gefühl ist, im Dress herumzugehen“, weil die Leute glaubten, man gehöre zum Klub. Galatasaray-Istanbul-Fan Ahmet, 16, will Profispieler werden – ein Traum, der mit einer Verletzung platzen kann. Deshalb macht er auch eine Ausbildung zum Islamlehrer.

Vor Schloss Nymphenburg posieren sie mit ihren neuen japanischen Freunden und ahmen ihr „Hai!“ und „Iie!“ nach. Für den FC Bayern sind sie ideale Testimonials. Man kann sie nicht kaufen, aber wenn sie aus München etwas Brauchbares für ihr Leben mitnehmen, werden sie in den Dressen der Bayern trainieren, bis sie daraus herausgewachsen sind – und über den Klub nur das Beste berichten.

Darum geht es auf den Wachstumsmärkten von Japan über Indien bis nach China nämlich auch: an die Top drei der weltweit beliebtesten Fußballmarken – Manchester United, Real Madrid und FC Barcelona – anzuschließen. FC Bayern München spielt mit Chelsea und Juventus in der Liga darunter. Bei den Länderausscheidungen erwartet sich Andreas Kufner, zuständig für internationales Marketing, wohlwollenden Medienrummel für den 430-Millionen-Euro-Weltkonzern. Wenn dabei ein Supertalent herausspringt, umso besser. Im Vorjahr fiel ein Japaner auf, der im Sommer wiederkommen soll. „Ein Klassespieler. Ob es für Bayern reicht, wird sich herausstellen“, sagt Kufner.

Inzwischen brennt die Sonne auf den Rasen herunter. Die Österreicher haben gegen die USA verloren und lockern sich für die nächste Runde auf. Italien werden sie noch schlagen, am Ende reicht es für Platz fünf in diesem Turnier. Natürlich würden sie gerne gewinnen, hat der 15-jährige Rauchfangkehrerlehrling Kevin tags zuvor im Sightseeingbus gesagt: „Aber es geht nicht um den Triumph, sondern um die Einstellung. Man muss mit den Gedanken am Platz sein, dann kommt der Rest von allein.“ Das klingt bereits wie eine Lektion, die man – mit dem FC-Bayern-München-Dress – im Gepäck mit nach Hause nehmen und dort den Jüngeren im Käfig weitergeben kann.

Bild: Michael Rausch-Schott für profil

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges