Oho HeiHo!

Gabriele Heinisch-Hosek: Kampf für Koituskunde und gegen Gymnasien

Porträt. Gabriele Heinisch-Hoseks Kampf für Koituskunde und gegen Gymnasien

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Man würde sich mehr Politiker wie Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek in Österreich wünschen. Sie hat etwas zu sagen - im Gegensatz zu Werner Faymann. Sie sagt, was sie denkt - im Gegensatz zu Josef Ostermayer. Sie scheut nicht den offenen Streit - im Gegensatz zu Faymann und Ostermayer.

Nicht immer ist klar, ob Österreich mehr Politiker wie Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek auf Dauer verkraften würde. Sie kann die Mieten für ihre Schulen nicht bezahlen. Die Zentralmatura geriet zur Pannenprüfung. Österreich ist das einzige Land, das es nicht schafft, den PISA-Test fehlerfrei abzuwickeln.

Als Frauenministerin ist Gabriele Heinisch-Hosek, 52, seit 2008 im Amt - mit herzeigbarer Bilanz. In ihrem ersten Jahr als Bildungsministerin passierten ihr dagegen mehr Patzer als Kanzler Faymann in sechs Jahren. Mag sein, dass keine Fehler nur derjenige macht, der nichts tut. Wenn politisches Wirken aber allzu oft im Murks endet, ist die Frage gerechtfertigt, ob "HeiHo“ im neuen Amt eine Fehlbesetzung ist und wie lang ihr Versetzungsschutz noch gilt.

Gabriele Heinisch-Hosek hat - anders als männliche Kollegen - nie behauptet eine Alleskönnerin zu sein. Als sie im Dezember 2013 zur Unterrichtsministerin aufstieg, bekannte sie offen, in diesem Fach wohl kaum "eine Jubelfrau“ werden zu können. Das Amt bringt keinen Bonus - wie die jüngste Zeitgeschichte lehrt: Noch heute hält sich in der ÖVP die Überzeugung, Schuld an der überraschenden Wahlniederlage 2006 gegen eine Bawag-gebeutelte SPÖ trage Wolfgang Schüssels unbeliebte Bildungsministerin Elisabeth Gehrer. In der SPÖ wiederum denken viele, Heinisch-Hosek wäre sicher auf den Posten der Nationalratspräsidentin abgeschoben worden, hätte nicht Doris Bures den honorigen Topjob nach Barbara Prammers Ableben aktiv beansprucht.

In der Politik gilt das Prinzip der Erbschuld, und so muss Heinisch-Hosek teilweise tilgen, was ihre Amtsvorgängerin verbockte. Claudia Schmied schuf das Bildungsforschungsinstitut Bifie als Zentralstelle fürs Schulreformwesen - Heinisch-Hosek berief die Leiter ab. Schmied initiierte das vom Rechnungshof verrissene Megaprojekt "Neue Mittelschule“ - Heinisch-Hosek könnte die dabei vernichteten 200 Millionen Euro gut gebrauchen. Etwa für die Kosten der Schulgebäude: Die leicht abgesandelte Praxis, die Mieten bei der Bundesimmobiliengesellschaft anschreiben zu lassen, geht ebenfalls auf Schmied zurück.

Ganz zufriedenstellend fiel freilich auch Heinisch-Hoseks bisherige Amtsführung nicht aus. Nach dem Skandal um im Internet veröffentlichte Schülerdaten kündigte sie an, an PISA 2015 aus Datenschutzgründen nicht teilzunehmen. Dass dem österreichischen Schulsystem damit zwar der Zeugnisstress erspart bliebe, der internationale Anschluss aber verloren ginge, fand fast jeder Beteiligte skandalös - mit Ausnahme mancher ansonsten Ministerin-allergischen Lehrergewerkschafter. Zu Ostern erhöhte Heinisch-Hosek aus Spargründen per Verodnungshandstreich die zulässigen Klassenschülerhöchstzahlen und kürzte Jobs für Zweitlehrer in der Neuen Mittelschule. Selbst in den eigenen Reihen war die Empörung groß. Es zeichnet Heinisch-Hosek - anders als männliche Kollegen - durchaus aus, Fehler - wenn auch nur unter massivem Druck - einzubekennen. Die umstrittenen Verordnungen wurden zurückgenommen. An PISA 2015 nimmt Österreich nun doch teil.

Unterrichtsminister zu sein bedeutet legislaturperiodenlanges Lernen: "Ich habe die Schwierigkeiten des Amtes anfangs wohl unterschätzt“, sagt Heinisch-Hosek gegenüber profil. Wer auch nur Minireformen (Ende der 50-Minuten-Einheiten) oder Scheinmaßnahmen (Ende der Pausenglocke) setzen will, ist auf den Goodwill der halben Republik angewiesen: Ministerkollegen, eigene und fremde Abgeordnete, Landeshauptleute, Landesschulräte, Gemeinden, Städtebund, Gemeindebund, Lehrergewerkschafter, Finanzausgleichsverhandler, Elternvertreter, Schülervertreter, Kirchenvertreter. Dazu kommen erwünschte und unerwünschte Beitragsleister aus Wissenschaft, Medien und Opposition. Absolute Einigkeit herrscht nur beim Bekenntnis zur - utopischen - täglichen Turnstunde.

Nach dem Finanz- ist das Bildungsministerium wohl das forderndste Ressort. Während die Administration von Budget und Steuern technokratisch abläuft, ist das Schulwesen ein ideologisches Minenfeld. Eher einigen sich SPÖ und ÖVP bei der Einführung/Nichteinführung von Vermögenssteuern als im Dogmenstreit Gesamtschule vs. Gymnasium.

Bedeutet Fanatismus, den Provokationsgrad zu steigern, wenn die Zielerreichung unwahrscheinlicher wird, darf man Gabriele Heinisch-Hosek als Fanatikerin bezeichnen. Nur Tage nach der Angelobung der Koalitionsregierung im Dezember 2013 hatte sie in Antrittsinterviews die Einführung der Gesamtschule gefordert, obwohl es der ÖVP gelungen war, diese im Regierungsprogramm auszusparen. "Die gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen bleibt mein Ziel“, sagt Heinisch-Hosek.

Basis ihrer Schulideologie ist die - unumstrittene - Stärkung der Schwachen bei - fragwürdiger - Vernachlässigung der Starken. Der Satz "Ich bin auch die Ministerin für hochbegabte Schüler“ kommt der gelernten Sonderschulpädagogin nicht über die Lippen, der Satz "Ich sehe Notengebung und Sitzenbleiben skeptisch“ eher leicht. Presseaussendungen der Bildungsministerin zum Stichwort "Chancengleichheit“ finden sich im Archiv zuhauf, zu "Begabtenförderung“ keine. Folge ihrer Schulideologie ist das in linken SPÖ-Kreisen vertretene Konzept der sozial indexierten Schulförderung: mehr Geld für die Hauptschule im Problemviertel als für das Gymnasium im Speckgürtel.

Da das innerkoalitionäre Ruhebedürfnis des Bundeskanzlers Faymann den Schulreformwillen des SPÖ-Vorsitzenden Faymann übersteigt, bleibt Heinisch-Hoseks Gesamtschul-Bemühen derzeit Fleißaufgabe. Statt den Streit um die Sekundarstufe I sucht die Koalition Gemeinsamkeiten an der Schnittstelle Kindergarten und Volksschule. Wer glaubt, die Kleinkinder-Pädagogik biete kein Erregungspotenzial, kennt Gabriele Heinisch-Hosek schlecht. Ende Oktober mahnte die Ministerin ein, "Sexualerziehung“ solle "möglichst früh ansetzen“. Koituskunde schon im Kindergarten? Ja, sagt Heinisch-Hosek, falls Kinder entsprechende Neugier treibt. Keine ganz neue Forderung, aber immer noch ein Aufreger. Die FPÖ ("wirre Ideen der Ministerin“) forderte prompt Heinisch-Hoseks Rücktritt.

Zwar fällt die Sexualerziehung in den Bereich des Bildungsministeriums, ihren diesbezüglichen Beitrag erläuterte Heinisch-Hosek allerdings bei der Präsentation einer Frauenstudie. Derzeit wendet sie nach eigenen Angaben etwa 60 Prozent ihrer Zeit für das Unterrichtsressort und 40 Prozent für das Frauenministerium auf, wobei sich nach ihrem Wunsch bald wieder ein Gleichgewicht einpendeln sollte. Eine gefährliche Balance. So wichtig Gleichbehandlung, Antidiskriminierung, Gender Mainstreaming und Girls’ Day auch sind: Laut Organigramm des Bundesministeriums für Bildung und Frauen beschäftigen die Frauen nur eine Sektion, die Bildung deren sechs.

Möglicherweise liegt in der politischen und aufwandmäßigen Gleichstellung von Bildung und Frauen durch eine in Personalunion zuständige Ministerin auch der Grund für so manche Panne. Und vielleicht sind die beiden Funktionen habituell nicht kompatibel: Um das österreichische Schulwesen weiterzuentwickeln, muss eine Unterrichtsministerin ein Höchstmaß an innerstaatlicher Diplomatie, Mut zum Pragmatismus und Frustrationstoleranz aufweisen. Frauenpolitik, wie sie Heinisch-Hosek versteht, ist dagegen auch im Jahr 2014 nicht allein Sachpolitik, sondern besteht auch aus Propaganda (20-Prozent-Gender-Pay-Gap), lautstarker Bewusstseinsbildung bei jeder Gelegenheit (Frauentag, Mädchentag), Aktionismus (gegenderte Verkehrstafeln) und Geschlechterkampf mit allen verfassungsmäßig erlaubten Mitteln (Frauenquoten bei Uni-Aufnahmetests).

Als besonders diplomatisch gilt Heinisch-Hosek freilich nicht, aber als umso energischer. Sie selbst sagt: "Ich kann schon aufbrausend sein, aber ich beruhige mich auch wieder schnell.“ Auf ihrem Schreibtisch steht das Geschenk eines Mitarbeiters, eine weiße Keksdose mit der Aufschrift: "Keep calm and carry on“.

Ruhig bleiben und weitermachen - so würden es auch Werner Faymann und Josef Ostermayer formulieren.

Gabriele Heinisch-Hosek
Die Bildungs- und Frauenministerin, 52, startete ihre Karriere als Gemeinderätin im niederösterreichischen Guntramsdorf. Von 1999 bis 2008 war sie SPÖ-Nationalratsabgeordnete. Im Dezember 2008 wurde sie Ministerin für Frauen und öffentlichen Dienst. Nach der Wahl 2013 gab sie die Beamtenagenden ab und übernahm das Unterrichtsressort. Seit 2009 ist sie Frauenvorsitzende der SPÖ. Im Zivilberuf ist Heinisch-Hosek Hauptschul- und Sonderschulpädagogin für Gehörlose.