Gastkommentar Klaus Tasch

Gastkommentar von Klaus Tasch: Fremdschämen

Schulpolitik. Fremdschämen

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Gastkommentar von Klaus Tasch

Ich bin gerne Lehrer und Direktor an einer AHS, die in der Unterstufe als Neue Mittelschule geführt wird. An unserer Schule unterrichten viele Lehrer und Lehrerinnen, die mit großem Engagement und Geschick ihren Beruf ausüben. Als Maturavorsitzender habe ich viele engagierte Lehrer und Lehrerinnen an anderen Schulen kennenlernen dürfen. Trotzdem schäme ich mich schon geraume Zeit, der Berufsgruppe der AHS-Lehrer und -Lehrerinnen anzugehören. Ich schäme mich, weil Funktionäre der AHS in einer Organisationsform, deren Wurzeln in den antidemokratischen Ständestaat der Zwischenkriegszeit reichen, erzkonservative Gesellschaftspolitik unter dem Deckmantel der Gewerkschaft betreiben und damit die Idee und Praxis von Gewerkschaften in Demokratien pervertieren.

Das ist mehrfach schade.

Sie stellen sich damit gegen die Interessen der übrigen Gewerkschaften, deren Ziel es immer war und sein wird, im Interesse ihrer Mitglieder ein Bildungssystem mit einem emanzipatorischen Charakter zu fordern. Denn Bildung ist das Kapital der Arbeitnehmer. An sich ein Gut, das beliebig vermehrbar wäre, wenn es nicht durch ein Bildungssystem, das durch Segregation und Selektion geprägt ist, künstlich verknappt werden würde. Gewerkschaften haben immer auch die Gesellschaft als Ganzes im Auge. Sie stellten sich nicht gegen Schichtarbeit, sondern erkämpften eine entsprechende Abgeltung. Sie stellen sich nicht gegen den Fortschritt und die Veränderung, sondern streiten dafür, dass auch die Arbeitnehmer davon profitieren.

Zu Schaden durch die AHS-Funktionäre kommen aber auch die gar nicht so wenigen (AHS-)Lehrer und Lehrerinnen, die sich mit großem Engagement um die ihnen anvertrauten Schüler und Schülerinnen kümmern und deren Vorstellungen von einer Gesellschaft eine ganz andere ist. Sie befinden sich in Geiselhaft.

Schade ist es aber auch, da es für die eigentliche gewerkschaftliche Arbeit im Interesse der Lehrer und Lehrerinnen genug zu tun gebe. Die Aneinanderreihung von „50-Minuten-Einheiten“ ist für Schüler und Schülerinnen eine Zumutung. Sie frisst auch die Energieressourcen der Lehrer und Lehrerinnen und ist eine der Quellen für Burn-out. Eine Gewerkschaft, der an der Gesundheit ihrer Mitglieder gelegen ist, könnte eine längere Verweildauer der Lehrer und Lehrerinnen an der Schule in geeigneten Arbeitsräumen fordern. Die Vorstellung, dass man mit einer vollen Lehrverpflichtung ohne ausreichende Kinderbetreuung so nebenbei auch noch eine Familie managen könnte, ist die große Lebensfalle, in die viele Lehrer und Lehrerinnen, vor allem Frauen, tappen. Neben den eigenen Kindern zuhause Hausübungen und Schularbeiten zu korrigieren, sich auf den Unterricht so vorzubereiten, dass sich Zufriedenheit einstellt, ist praktisch unmöglich. Viele Kollegen und Kolleginnen verschieben diese Arbeiten, solange sie es schaffen, auf die Nachtstunden. Ein fürsorglicher Arbeitgeber würde das nicht zulassen. Und eine Gewerkschaft, die nicht Gesellschaftspolitik in den Vordergrund stellt, würde diese Fürsorglichkeit vom Arbeitgeber massiv einfordern. Auch ein Rechtsanspruch auf regelmäßige bezahlte Supervision für Lehrer und Lehrerinnen ist schon lange überfällig. Ein gewerkschaftlicher Aufschrei über diesen Missstand ist nicht zu vernehmen.

Um nicht missverstanden zu werden: Das Problem ist nicht, dass AHS-Gewerkschafter gesellschaftspolitisch konservativ bis reaktionär sind. Das Problem ist, dass sie die Idee der Gewerkschaft instrumentalisieren, um jede Veränderung zu verhindern, zu verzögern oder madig zu machen. So sind Gewerkschafter bereits vor einigen Jahren, als sie das Gefühl hatten, dass vorbeugende Obstruktion auf Beamtenebene das Ministerium nicht davon abhalten wird, eine zentrale Reifeprüfung einzuführen, von Schule zu Schule gezogen, um vor diesem „Teufelswerk“ zu warnen und dagegen zu mobilisieren. Mit dem Ziel, zu verhindern. So bleibt jede Weiterentwicklung auf der Strecke, aber auch die Kritik, das Wesen einer aufgeklärten Gesellschaft. Und dazu braucht es die Außensicht. Außensicht aber wird im System derzeit nur geduldet, wenn sie mit den Vorstellungen der Lehrervertreter übereinstimmt. Alle, die von der Gewerkschaftslinie abweichen, werden als weltfremde Theoretiker oder „selbsternannte“ Experten abgekanzelt, nicht selten mit Häme und Spott überschüttet, in einem Stil, der oft schwer mit dem Bild eines gebildeten Menschen in Einklang zu bringen ist.

Hinter all dem liegt ein grobes Missverständnis. In einer demokratischen Gesellschaft gehört die Schule nicht den Lehrer und Lehrerinnen oder gar den Direktoren und Direktorinnen, in einer demokratischen Gesellschaft gehört die Schule schlicht und einfach allen. Es ist der Ort, an dem die Zukunft der Gesellschaft verhandelt wird. Was alle angeht, gehört von allen entschieden. Deshalb gehören die Entscheidungen, wie das Schulsystem gestaltet werden soll, uneingeschränkt durch die Volksvertreter im Parlament getroffen.

Mit großer Bewunderung sehe ich tagtäglich Lehrer und Lehrerinnen, die Ausbildungen für Peersmediatoren organisieren, in Kursen für Olympiaden Begabungsförderung betreiben und Lesenächte mit den Schülern und Schülerinnen im Schulhaus verbringen. Jene Lehrer und Lehrerinnen haben schon jetzt den großen Respekt der Gesellschaft verdient. Nicht verdient haben sie Gewerkschafter, die hinderliche Strukturen zementieren und auf dem Rücken einer Berufsgruppe ihr politisches Spiel spielen.

Klaus Tasch, Schulleiter der Allgemeinbildenden Höheren Schule/Neuen ­Mittelschule Klusemannstraße in Graz.