Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Der gute Imperialismus

Der gute Imperialismus

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Man erinnere sich an die Realisten von links und rechts, die am Vorabend des Machtwechsels im Weißen Haus vor zwei Jahren die Obama-Adoranten der Naivität ziehen. Wenn ihr glaubt, dass sich mit diesem neuen Präsidenten ­irgendetwas an der Außenpolitik der Vereinigten Staaten ändern sollte, dann täuscht ihr euch, hieß es da.

Die Hoffnung, die US-Weltpolitik werde sich mit dem neuen Mann im Weißen Haus grundlegend wandeln, sei ­„illusionär“, befand der österreichische Allround-Politologe Peter Filzmaier. „Die USA sind eben die Supermacht“, sagte Ende 2008 auch der Mitherausgeber der „Zeit“, Josef Joffe, in einem profil-Interview. „Unter Obama mag es verbindlicher und kooperativer zugehen. Aber die Interessen, die Amerika verfolgt und die uns Europäern nicht behagen, werden durch Freundlichkeiten nicht ausgebügelt werden.“ Da sei viel Neues nicht zu erwarten. Nicht viel anders dachte man aufseiten der Linken, wo man immer schon wusste, dass es egal sei, wer Amerika regiert. Nach dem Motto: US-Imperialismus bleibt US-Imperialismus.

Lange Zeit war nicht so klar, worin die Differentia specifica der Obama-Außenpolitik bestehen könnte. In Afghanistan wurden die Truppen zunächst sogar verstärkt, bevor man – so wie im Irak – mit dem Abzug von Soldaten begann. Im Atomstreit mit Teheran ging nichts weiter. Auch der israelisch-palästinensische Konflikt blieb so ungelöst wie eh und je. Sonst hatten viele den Eindruck, dass dem neuen weltpolitischen Ton, den der demokratische Präsident in seinen brillanten Reden anschlug, keine konkreten Aktivitäten entsprachen.

Die turbulenten Entwicklungen im Nahen Osten aber stellen nun Obamas Weltpolitik erstmals wirklich auf die Probe. Und es sieht ganz so aus, als ob er diese – bis jetzt zumindest – blendend bestanden hätte.
Ohne groß von Regimewechsel zu reden, ließ Washington nach kurzem Zögern den bislang engen ägyptischen Verbündeten Hosni Mubarak fallen, drängte den Diktator hinter den Kulissen zum Aufgeben, ermahnte die ägyptische Armee, die enge Beziehungen zur amerikanischen unterhält, auf keinen Fall auf die Demonstranten am Tahrir-Platz zu schießen, und bekundete wortreich die Solidarität mit den Freiheitsbewegungen.
Kein Zweifel, dass die USA – ohne sich dafür zu berühmen – wesentlich zum (vorläufigen) ägyptischen Happy End beigetragen haben.

Schwieriger wird die Einschätzung der Obama-Politik gegenüber Libyen. Zwar ist klar, dass das Blutbad, das Gaddafi für den Fall der Eroberung von Benghazi angedroht hatte, durch den internationalen Waffengang verhindert wurde. Wie sich dieser militärische Konflikt im nordafrikanischen Wüstenland aber weiterentwickeln wird, ist unabsehbar. Und es steht fest, dass er einige Risiken birgt. Wie positiv sich Obamas Kurs von jenem des George W. Bush unterscheidet, wird dennoch am Fall Libyen schon jetzt deutlich. Nach den langen Jahren der arroganten und verheerenden US-Alleingänge – siehe Irak-Krieg – erlebt die Welt nun die neue multilaterale Herangehensweise der amerikanischen Weltpolitik in Aktion.
Anfangs wollte Obama nicht so recht. Er war nicht sicher, ob überhaupt in Libyen eingegriffen werden sollte. Aber im Falle einer Intervention war ihm von Anfang an klar, wie ­diese vonstatten gehen müsse. In seiner Libyen-Rede am 28. März zählte er die Bedingungen auf, unter denen die USA letztlich bereit waren, gegen Gaddafi militärisch vorzugehen: „Ein internationales Mandat für die Aktion; eine breite Koalition, die bereit ist mitzumachen; die Unterstützung durch arabische Länder und die Bitte des libyschen Volks um Hilfe“. Unter diesen Umständen die Bewohner von Benghazi vor dem Wüten der Gaddafi-Schergen nicht zu retten „wäre ein Verrat an unseren Werten gewesen“.

Den Kritikern, die Obama vorwerfen, mit zweierlei Maß zu messen – in Libyen einzugreifen, aber anderen ähnlich bedrohten Völkern nicht zu Hilfe kommen zu wollen –, antwortet Obama erstaunlich ehrlich: „Es stimmt, dass Amerika sein Militär nicht überall einsetzen kann, wo Unterdrückung herrscht“, sagte er. „Angesichts der Kosten und der Risiken einer Intervention müssen wir immer unsere Interessen gegen die Notwendigkeit zu handeln abwägen. Aber das kann kein Argument dafür sein, niemals zu agieren, wenn es um eine gerechte Sache geht.“ Das ist ein klares, wenn auch differenziertes Bekenntnis zum Prinzip der „humanitären Intervention“.

Als Novum muss zudem gewertet werden, dass Obama kurz nach dem Start der Libyen-Aktion ankündigte, zwar alle logistischen und militärischen Mittel zur Verfügung zu stellen, aber das Kommando in der Anti-Gaddafi-Koalition abzugeben. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg lehnen die USA es somit entschieden ab, in einer Kriegskoalition die Führung zu übernehmen. Obama weiß offenbar ganz genau, warum er keine „amerikanischen Fußabdrücke“ in den Revolutionen des Nahen Ostens hinterlassen will.

Nun ist in den USA eine Diskussion losgebrochen. Der Präsident wird kritisiert, seine Außenpolitik sei inkonsistent. Man vermisst eine „Obama-Doktrin“. Aber ist ein doktrinärer Zugang zu so unterschiedlichen Konflikten mit so ungewissen Perspektiven wie jenen im Nahen Osten überhaupt sinnvoll? Wenn „Geschichte in Bewegung ist“, wie es Obama ausdrückt, kann eine unflexible außenpolitische Doktrin geradezu gefährlich werden.
Klar ist jedenfalls, dass die Voraussagen der vermeintlichen Realisten, alles werde beim Alten bleiben, nicht eingetroffen sind. Obamas Außenpolitik bedeutet einen fundamentalen Bruch mit jener seines Vorgängers. Und wenn das amerikanischer Imperialismus sein soll, dann muss man klar sagen: Wir wollen mehr davon.

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