Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Der geliebte Rechtsruck

Der geliebte Rechtsruck

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Vergangene Woche musste ich mich als Spielverderber betätigen. Ich war in der Roten Bar des Volkstheaters zu einer Diskussion geladen. Titel: „Rechtsruck in Europa: ­Warum und mit welchen Folgen?“ Fast alle auf dem Podium und im Publikum waren sich einig: Wir erleben eine besorgniserregende Rechtsentwicklung, einen bedrohlichen Aufschwung von Rassismus und Nationalismus. Die Demokratie sei in Gefahr. Der Abend entwickelte sich zu einer Art antifaschistischer Weihestunde. Bis ich nicht umhinkonnte, mit einer einfachen Frage zu stören: Und was, wenn der Titel der Debatte eine Themenverfehlung wäre und es gar keinen Rechtsruck gäbe? Meine Bedenken wurden als Tabubruch empfunden, als naiver Optimismus oder gar als gefährliche Verharmlosung interpretiert. Also: Geht Europa wirklich nach rechts? Hier ein kleiner Überblick.

Vorausgeschickt sei: Natürlich gibt es all jene unerfreulichen Phänomene, vor denen man sich in der Roten Bar zu Recht fürchtet. Die Frage ist nur: Werden sie stärker und ist das die dominante Tendenz unserer Zeit?

Auf Wahl- und Regierungsebene ist bei genauerem Hinsehen eine Rechtswende keinesfalls zu beobachten. Wir sprechen hier nicht von Extremismen, sondern von Verschiebungen von Mitte-links zu Mitte-rechts. Sozialdemokratische Regierungen wurden in drei von der Wirtschaftskrise besonders stark betroffenen südeuropäischen Staaten – Spanien, Portugal und Griechenland – vor nicht allzu langer Zeit abgewählt. In Italien musste aber mit Silvio Berlusconi ein Rechtspopulist die Macht abgeben.

In Hellas profitieren vom Absturz der linken Regierung von Giorgos Papandreou und vom Elend der vom Sparkurs gebeutelten Griechen nicht die Rechten, sondern drei kleinere Gruppierungen links der Papandreou-Partei. Sie werden bei den kommenden Wahlen im April sogar eine arithmetische Mehrheit erlangen. So prognostizieren die Meinungsforscher.
In Frankreich dürfte, wenn nicht noch ein Wunder passiert, im Mai erstmals seit 17 Jahren wieder ein Sozialist, François Hollande, in den Élysée-Palast einziehen. Die Deutschen gehen auch eher nach links als nach rechts: Zwar ist in den Meinungsumfragen die Kanzlerin Angela Merkel die beliebteste Politikerin und ihre christliche Union die stärkste Partei, die konservativ-liberale Koalition als Ganzes hat aber schon längst keine Mehrheit mehr. Und rechts von den Unionsparteien der Frau Merkel gibt es keine Kraft, die auch nur in die Nähe des Bundestags kommen könnte.

Und was ist mit Ungarn? Es stimmt: Der immer autoritärer werdende antieuropäische Kurs der Regierung von Viktor Orban kann erschrecken. Dem gegenüber steht freilich der jüngste Wahlsieg des Robert Fico in der Slowakei, eines Linkspopulisten, der sich inzwischen zum glühenden Europäer gemausert hat.

Wenn es um die reale Regierungsmacht geht, ist in Europa also ein konsistenter Zug von sozialdemokratisch nach konservativ, von links nach rechts nicht wirklich festzustellen. Aber feiert der extreme Rand nicht fröhliche Urständ? Wittern die H. C. Straches, die Marine Le Pens und Geert ­Wilders in dieser Krisenzeit nicht Morgenluft?

Auch hier muss man die Alarmisten des Roten Salons enttäuschen. Die Rechtspopulisten sind keinesfalls im Kommen: Alles in allem sind sie in den vergangenen Jahren nicht wesentlich stärker geworden. Zehn bis 15 Prozent für sie bei Wahlen und Umfragen: Das war und ist die – bedauerliche – Normalität in den meisten EU-Staaten. In einigen Ländern wie der Schweiz und Österreich können sie aus historischen Gründen mit der Unterstützung von über einem Viertel des Wahlvolks rechnen. Von bedrohlichem Wachstum kann jedoch nirgendwo (außer vielleicht bei den Ungarn und Finnen) gesprochen werden. Und das ist tatsächlich erstaunlich. Denkt man in historischen Parallelen, müssten sich die Völker in Krisenzeiten wie diesen längst radikalisiert haben. Es bedarf somit weniger der Erklärung eines Rechtsrucks als umgekehrt der Analyse, warum dieser trotz tiefer Wirtschaftskrise bislang nicht stattgefunden hat.
Ein Grund dafür ist sicher, dass das so effektive Feindbild Islam seit dem arabischen Frühling an Glanz verloren hat. Plötzlich mischt sich ins Imago des islamistischen Terroristen das Bild des um die Freiheit ringenden Jungen auf der morgenländischen Straße. Die Hetze gegen Muezzin und Minarett funktioniert unter diesen Umständen nicht mehr so fantastisch wie noch zuvor.

Auch der Hass auf Europa ist nicht mehr das, was er einmal war. Zumindest vorläufig ist das Zerbrechen der Union verhindert worden. Die Griechen wurden nicht rausgeschmissen. Und die Erkenntnis, dass ein Ende von Euro und EU alle furchtbar teuer kommen würde, setzt sich zunehmend durch. Keine gute Entwicklung für den Rechtspopulismus, der seit jeher gegen Brüssel mobilisiert.

Natürlich muss man immer „den Anfängen wehren“, wie mehrfach in der Roten Bar eingemahnt wurde. Die Demokratie zu verteidigen, gilt es ebenso – wahrscheinlich jedoch weniger gegen einen Vormarsch der Rechten als gegen die Indolenz und Verkommenheit, gegen den haltlosen Opportunismus und die Unkultiviertheit der politischen Mitte.

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