Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof EU-Wahlen 2014: Eine durchwachsene Bilanz

EU-Wahlen 2014: Eine durchwachsene Bilanz

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• Zunächst kann man, unabhängig vom Ausgang der Wahl, feststellen, dass trotz aller Unzulänglichkeiten und nationalen Borniertheiten dieses Wahlkampfes noch nie so viele EU-Bürger sich mit europäischen Themen beschäftigt haben, wie in den vergangenen Wochen. So europäisch wie jetzt wurden EU-Wahlen bisher noch nicht geschlagen. Das erste Malkonnten die Wähler real mitstimmen, wer EU-Kommissionspräsident wird. Und, wie es aussieht, hat das europäische Elektorat entschieden: Der Kandidat der Europäischen Volkspartei (EVP), der ehemalige luxemburgische Premier, Jean Claude Juncker wird – wenn nicht noch Unerwartetes passiert – das höchste Amt der EU antreten. Zwar hat die konservative Parteienfamilie, der er angehört nicht unwesentlich an Mandaten im EU-Parlament eingebüßt und der Abstand zu den Sozialdemokraten ist geschmolzen. Aber die EVP bleibt die stärkste Partei und hat – gemäß der Übereinkunft und dem Versprechen der Regierungschefs – Anspruch auf den Präsidentenjob in Brüssel. Der Kandidat der Sozialdemokraten für den Job, der deutsche Martin Schultz, hat im Duell gegen Juncker verloren.

• Wie immer man zu den europäischen Konservativen stehen mag, mit Juncker ist erstmals seit langem wieder ein starker, profilierter und eigenständiger Europapolitiker auf diesem Posten, ein Mann, der nicht wie seine Vorgänger am Gängelband der Regierungschefs hängen wird. Die Verschiebung des Kräfteverhältnisses zugunsten der Sozialdemokraten wird einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Besetzung der übrigen Spitzenpositionen in den EU-Institutionen – wie etwa Ratspräsident, Parlamentspräsident, Hoher Repräsentant für Außenpolitik usw – haben. Kurz gesagt: Trotz Sieg des Christdemokraten Juncker wird die Führung der EU ein bisschen sozialdemokratischer werden als sie das bisher war. Sie rückt ein wenig nach links.

• Dass die rechtspopulistische Nationale Front der Marine Le Pen zur strahlenden Triumphatorin in Frankreich wurde und die beiden proeuropäischen Mitteparteien PS und UMP hinter sich lässt, wirkt wie ein Donnerschlag. Dass, wie erwartet, die radikal antieuropäische Independent Party UKIP in Großbritannien als erste Partei die Ziellinie überschritt, schockiert ebenfalls. Und erstmals zieht in Deutschland eine europakritische Formation, die AfD, mit 6 Prozent ins EU-Parlament ein.

• Der vorausgesagte Durchmarsch der Europafeinde aber fand EU-weit nicht statt. Den Siegen von Marine Le Pen und UKIP steht das schwache Abschneiden der Radikal-Nationalisten in Holland und Belgien gegenüber. Und auch die FPÖ, die noch vor kurzem hoffte, als stärkste der österreichischen Parteien aus der EU-Wahl hervorzugehen, musste sich mit vergleichbar bescheidenen Zugewinnen begnügen. In Straßburg wird die gewonnene Stärke der Rechtspopulisten jedenfalls keine große Rolle spielen. Immerhin stellen im neuen EU-Parlament die proeuropäischen Kräfte voraussichtlich etwa 80 Prozent der Abgeordneten. Und dass sich die nationalistischen Parteien traditionell schwer tun, zu länderübergreifenden Fraktionen zusammenzufinden, reduziert ihren realen Einfluss auf die EU-Politik.

• Die großen Erfolge der Rechtsaußenparteien in den zwei großen Ländern Frankreich und England ist dennoch fatal: Die schwer angeschlagenen linken und rechten Mitteparteien, werden in ihrer Politik nicht unbeeinflusst vom Zeitgeist bleiben, dem die Rechtspopulisten ihren Sieg verdanken. Bei den Gaullisten und Sozialisten werden sich die Europaskeptiker gestärkt fühlen, man wird zunehmend den xenophoben und nationalistischen Versuchungen opportunistisch nachgeben.

• Nicht realisiert hat die seit Wochen in der Öffentlichkeit vorgetragene Prognose, dass sich die Bürger bei diesem europäischen Urnengang mental noch weiter als bisher von der EU entfernen würden, dass die Europa– und Politikverdrossenheit die Völker zu noch geringerer Wahlbeteiligung führen würde. Wie es aussieht ist diese sogar leicht gestiegen. So tief ist die Krise der EU dann doch wiederum nicht.

• Man muss also eine durchwachsene Bilanz der Europawahl 2014 ziehen. Der Wechsel, den sich die Sozialdemokraten durch einen Kommissionspräsident Schulz erhofften, wird wohl nicht stattfinden. Dennoch scheint die Kommission mit Juncker an der Spitze eine größere Bewegungsfreiheit haben als zuvor. Und das Straßburger Parlament dürfte nicht zuletzt durch den sehr intensiven gesamteuropäisch geführten Wahlkampf gewonnen haben: Die Öffentlichkeit wird in Zukunft dieser demokratischen EU-Institution mehr Bedeutung zumessen. Gleichzeitig werden aber die Renationalisierungstendenzen der vergangenen Jahre durch den Sieg von Rechtsnationalisten in einigen Ländern neue Nahrung bekommen.

PS: Diesen Sonntag sind nicht nur die EU-Wahlen vonstatten gegangen. Auch die Ukrainer gingen – dort wo sie nicht von bewaffneten Separatisten gehindert wurden – zu den Urnen. Und zwar en masse und mit Begeisterung. Trotz aller Versuche Moskaus die Wahlen zu verhindern, bekommt Kiew nun eine – international anerkannte – legitime Führung, die entschieden den Weg nach Europa beschreiten will. Das ist nicht zuletzt ein Erfolg der Ukrainepolitik der EU, die sich – trotz Interessensunterschieden – nicht auseinanderdividieren ließ und einen konsequenten Kurs steuert: eine subtile Kombination von Sanktionen und Dialog-Bereitschaft.

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