Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Gutes China

Gutes China

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Vor etwas weniger als drei Monaten brachte profil eine Coverstory mit der Überschrift auf der Titelseite „Böses China“ (siehe Substory links). In diesem Artikel berichteten wir davon, dass sich die Hoffnung, mit der tollen ökonomischen Entwicklung würde sich das Reich der Mitte auch politisch öffnen, nicht erfüllt hat. Ganz im Gegenteil. In den vergangenen Monaten und Jahren verschärfte sich, so schrieben wir, die Unterdrückung Andersdenkender, und die Zensur – vor allem auch im Internet – ist heute intensiver als noch vor einem Jahr. Die regierende Kommunistische Partei macht keine Anstalten, auch nur ein bisschen von ihrem politischen Monopol aufzugeben. Und wir hatten ja Recht. Der chinesische Botschafter in Wien, Shi Mingde, konnte in einem nachfolgenden Gespräch unsere kritische Einschätzung nicht zerstreuen. Böses China.

Dennoch: Es gibt natürlich auch das gute China. Das wird uns in diesen Tagen so recht bewusst. Europa wankt, die Schuldenkrise treibt ihrem Höhepunkt entgegen, und gefährliche Abgründe tun sich en masse auf – da tritt Ministerpräsident Wen Jiabao beim Weltwirtschaftsforum in der nordostchinesischen Hafenstadt Dalian auf und verkündet, sein Land sei bereit, „eine helfende Hand auszustrecken“. Dass das nicht ein leeres Versprechen ist, hat sich schon daran gezeigt, dass Peking in den vergangenen Monaten Staatsanleihen strauchelnder Eurostaaten kaufte. Weitere Finanzspritzen aus Peking sind zu erwarten. In welcher Höhe sich China bisher in Europa finanziell engagiert hat, ist nicht bekannt. Aber offenbar zeigt die chinesische Führung in einer Zeit, in der das Vertrauen in die EU und die Regierungen auf dem Kontinent bei den Märkten und den eigenen Bevölkerungen gegen null geht, erstaunliche Zuversicht in die europäische Entwicklung.

Überall blüht Euroskepsis. Peking aber demonstriert geradezu Brüsselenthusiasmus. „Wir stehen zu einem stabilen Euro“, sagte schon Botschafter Shi Mingde zu profil. „Wir sind für ein starkes, eigenständiges Europa, das ein Player in der Welt sein sollte.“ Deswegen wolle Peking helfen.

Und eine Retterrolle spielt ja China nicht zum ersten Mal. Schließlich konnte man angesichts des Finanzkrachs und der tiefen globalen Rezession vor drei Jahren die Ironie der ­Geschichte erleben, dass einer der letzten kommunistischen Staaten dafür gesorgt hat, dass die Krise des Kapitalismus nicht die Tiefe der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre erreichte. Die anhaltend hohen Wachstumsraten der chi­nesischen Ökonomie haben das Ärgste verhindert. Gutes ­China.

Uneigennützig sind die Herrschaften in Peking aber sicherlich nicht, wird nun eingewendet. Tatsächlich will China etwas als Gegenleistung für die helfende Hand: Erleichterung im Handelsverkehr und bei Großinvestitionen im Ausland. Auch streben die Chinesen die Aufhebung des bisher existierenden Hochtechnologie-Embargos an.

Überhaupt, wird vielfach moniert, sei die spektakuläre Generosität der Chinesen weniger altruistisch motiviert als von Interessen geleitet. Und das stimmt auch.

Die chinesische Führung will diversifizieren. In ihren Devisenreserven sollen zunehmend neben den Dollars auch Euros gebunkert werden, neben dem gewaltigen Berg von US-Staatsanleihen will man auch vermehrt europäische Bonds im Portfolio haben. Kein Wunder, dass man in Peking Interesse am europäischen Wohlergehen hat. Und man erkennt da auch, dass Anleihen kaufen allein der Weisheit letzter Schluss nicht sein kann, wenn es darum geht, die erwirtschafteten Billionenüberschüsse günstig anzulegen. Wenn die Manager aus Schanghai, Kanton oder Peking mit ihren Einkaufszetteln nach Europa kommen, um Anteile von Firmen zu erwerben oder ganze Konzerne zu übernehmen, wollen sie nicht auf Schritt und Tritt behindert werden.

Dass hinter der chinesischen Europafreundlichkeit durchaus ganz handfeste Egoismen stehen, heißt aber noch lange nicht, dass sie verdächtig ist. Im Gegenteil. Offenbar leben wir in einer Periode, in der sich chinesische und europäische Interessen weitgehend decken. Darüber gilt es sich zu freuen.
Die ausgestreckte Hand sollte ergriffen werden. Und die chinesischen Investoren, die in den kommenden Jahren noch in verstärktem Maße anreisen werden, möge man mit offenen Armen empfangen.

Ganz ungefährlich ist diese Entwicklung aber auch nicht. Nicht, weil man besonders Angst vor dem Pekinger Großmachtstreben haben müsste. Ungemütlich könnte es aber werden, wenn im Westen die Reaktion auf die chinesische Wirtschaftsoffensive zu hysterisch ausfällt und die Populisten aller Art „die gelbe Gefahr“ für ihre Ressentimentpolitik entdecken. Ein wenig hat das China-Bashing bereits be­gonnen.

Weiters ist zu befürchten, „dass Kritik an der Menschenrechtssituation in China in Zukunft noch leiser geübt wird“, meint Dirk Pleiter von Amnesty International. Er hat Recht.Dem muss entgegengewirkt werden. Es muss doch möglich sein, dass man mit China wirtschaftlich und diplomatisch gedeihlich zusammenarbeitet, der Pekinger Führung aber weiter und in verstärktem Maße mit Kritik an der bösen Seite dieses Regimes auf die Nerven geht.

Das immer wieder vorgebrachte Pekinger Argument der „Einmischung in die inneren Angelegenheiten“ zieht jedenfalls in dem Maße weniger, als sich China selbst immer stärker international engagiert.

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