Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Kriegshysterie

Kriegshysterie

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Um von vornherein jedes Missverständnis auszuschalten: Das iranische Mullah-Regime sollte besser heute als morgen fallen; die antiisraelischen und antisemitischen Tiraden von Präsident Mahmoud Ahmadinejad sind unerträglich; und der israelischen Bevölkerung kann man einiges Verständnis entgegenbringen, wenn sie sich – historisch traumatisiert – von den iranischen Nuklearambitionen existenziell bedroht fühlt. Es gilt freilich zu fragen, wie realistisch diese Ängste tatsächlich sind.

Es sieht ganz so aus, als ob Israel noch in diesem Jahr zuschlagen würde und die USA in einen Krieg mit dem Iran hineinzöge. Aus Washington ertönen zwar immer öfter Warnungen Richtung Jerusalem: Israel könne mit seinem militärischen Arsenal maximal die potenzielle Herstellung einer iranischen Bombe ein wenig hinauszögern. Wirklich gestoppt könnte das Nuklearprogramm der Teheraner Herrscher nicht werden. Ein Waffengang gegen den Iran berge zudem unabsehbare Risken für die ganze Region. Die Regierung von Bibi Netanjahu zeigt sich aber unbeeindruckt. Jetzt bestünde ein „window of opportunity“, betont diese immer wieder. Bald werde der Iran seine atomaren Kapazitäten so weit entwickelt haben, dass Israel nicht mehr fähig wäre, dem Nuklearprogramm Teherans vernichtende Schläge zu versetzen. Es bleibe nur mehr kurze Zeit.

Nun ist zwar fast die ganze Welt gegen einen Krieg mit dem Iran. Gleichzeitig glaubt die westliche Öffentlichkeit jedoch fest daran, dass von einem atomaren Iran große Gefahr ausgeht. Die Iranophobie nimmt geradezu hysterische Züge an. Wäre aber eine persische Bombe tatsächlich so bedrohlich für Israel oder gar für den Weltfrieden?

Diese Frage stellte kürzlich die amerikanische Monatszeitschrift „The Atlantic“ einer Reihe von US-Spezialisten. Die Mehrheit von ihnen kommt zum Schluss: Ein nuklear gerüsteter Iran würde sich nicht viel anders verhalten als bisher. „Ein atomarer Angriff auf amerikanische oder israelische Ziele brächte Teheran jedenfalls kaum etwas, die Kosten solch einer Aggression wären aber gewaltig“, sagt Kyle Beardsley, Politologe an der Emory University. Dem Land würde die totale Vernichtung drohen.

Nun befürchten Pessimisten, dass Teheran mit dem neu erworbenen atomaren Drohpotenzial Israel erpressen, größere Ölfelder in der Region an sich reißen oder die USA aus dem Nahen Osten vertreiben könnte. „Aber diese Leute ignorieren die Lehren der vergangenen Jahrzehnte: Mit Nuklearwaffen kann man kaum etwas erzwingen“, meint Todd S. Sechser, Spezialist für nukleare Sicherheit im Council on Foreign Relations. Als Beispiel führt er Israel an, das „auch durch die atomare Bewaffnung nicht plötzlich die Fähigkeit erlangte, seine feindlichen Nachbarn herumzustoßen“. Nein, Nuklearwaffen seien keine sehr brauchbaren Erpressungsmittel. „Aus einem einfachen Grund: Atomaren Drohungen mangelt es an Glaubwürdigkeit.“

Sollte der Iran tatsächlich ein militärisches Atomprogramm vorantreiben – was die Regierenden in Teheran immer wieder abstreiten –, dann vor allem in defensiver Absicht. „Es geht ihnen darum, die Hauptgegner Israel und die USA von einem Angriff abzuschrecken“, analysiert Sarah Kreps, Militärtheoretikerin an der Cornell University.

Es kommt noch etwas hinzu: So verbal-radikal Ahmadinejad auch sein mag, historisch gesehen sind die Iraner keine Angreifernation: Das letzte Mal, dass sie einen Aggressionskrieg führten, ist 272 Jahre her. 1739 eroberten die Truppen von Schah Nadir I. für kurze Zeit Delhi. Im Rückblick wird klar: Der Iran war in der Folge meist Opfer von ausländischen Interventionen und Invasionen. Zuletzt, als der irakische Diktator Saddam Hussein mit tatkräftiger Unterstützung des Westens das Land überfiel und in einen achtjährigen Krieg verwickelte. Ein Blick auf die Landkarte überzeugt die Iraner, dass sie wehrhaft sein müssen: In unmittelbarer geografischer Nähe befinden sich gleich vier Atommächte: Russland, Pakistan, Indien und Israel. Die Amerikaner haben Basen in nahe liegenden Golfstaaten, und NATO-Truppen stehen in der Türkei. Wo sollte die Logik der gegenseitigen atomaren Abschreckung mehr Sinn haben als in solch einer geopolitischen Gemengelage?

Welche desaströse Dynamik aber eine Militärattacke auf den Iran auslösen würde, ist unabsehbar. Man will sich gar nicht ausmalen, was dann passiert. Sicher ist jedenfalls, wenn auch manche Golfmonarchen insgeheim mit den ­Angreifern sympathisieren mögen, dass die arabischen Massen sich empören würden: Ein Rückfall in den im arabischen Frühling weitgehend überwundenen sterilen Antiimperialismus wäre die Folge. Radikal-islamischer Fundamentalismus könnte eine Wiederauferstehung feiern.

Das Regime in Teheran würde aber stabilisiert. Heute steckt es in einer tiefen Krise. Ein Machtkampf tobt innerhalb der iranischen Führung. Die wirtschaftliche Situation wird immer verzweifelter. Und die unzufriedene Bevölkerung ist nur mit massiver Repression niederzuhalten. Sollten die Israelis allein oder mithilfe der Amerikaner das Land bombardieren – die konkurrierenden Fraktionen im Machtapparat würden wieder zusammenfinden. Und die Opposition hätte auf längere Sicht kaum eine Chance, etwas gegen die Diktatur auszurichten.

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