Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Löwenherzlich

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Man konnte sich bisher sicher sein: Bei einem Kommentar, in dem gleich am Anfang José Manuel Barroso vorkommt, steigen acht von zehn Lesern nach den ersten Sätzen aus. Der EU-Kommissionspräsident ist nur allzu bekannt: als Phrasendrescher ohne eigenes Profil, als Brüsseler Frühstücksdirektor, der geschmeidig und beflissen den mächtigen Gästen aus den EU-Metropolen gefällig ist. Es stimmt: Barroso war die längste Zeit ein Fadling. Dennoch: Von diesem ehemaligen portugiesischen Premier, den die Regierungschefs der europäischen Staaten - bereits zweimal - gerade deswegen zum obersten Kommissar auserkoren haben, weil er so eine schwache Type ist, muss als Held gefeiert werden. Denn seine "Rede zur Lage der Union“, die er Mittwoch vergangener Woche vor den Europaparlamentariern hielt, hatte es in sich.

Seit dem Ausbruch der Finanzkrise war Barroso weitgehend abgetaucht. Er hatte die Bühne der europäischen Politik Angela Merkel und Nicolas Sarkozy überlassen und tatenlos zugesehen, wie die Staatskanzleien Europas, allen voran jene in Berlin und Paris, die Kommission sukzessive entmachteten und sich immer öfter die Dinge einfach untereinander auspackelten. Damit müsse nun Schluss sein, donnerte Barroso in Straßburg. Seine temperamentvolle und rhetorisch brillante Rede wurde zu einer Kampfansage.

Frontal attackierte er etwa das Lieblingsprojekt des französischen Präsidenten, die europäische Wirtschaftsregierung. Man brauche keine neuen Institutionen, um anstehende Probleme der Finanz- und Schuldenkrise zu lösen: "Den EU-Verträgen zufolge ist die EU-Kommission die Wirtschaftsregierung der Union.“ Die sei auch dem Straßburger Parlament rechenschaftspflichtig. Es bringe Europa nicht weiter, wenn die einzelnen Länder zwischenstaatlich kooperierten. Im Gegenteil: Das führe "zur Renationalisierung und damit zum Tod Europas“, warnte er mit feurigem Pathos.

Barroso machte überdies klar, dass die Kommission genau das für absolut notwendig hält, was Frau Merkel kategorisch ablehnt: Eurobonds - ein gemeinsames europäisches Schuldenregime, mithilfe dessen die Länder in Not, unter strengen Auflagen, aus der Krise heraus und wieder auf den Wachstumspfad gelangen könnten.

Und "zum Drüberstreuen“ brachte er mit dem Kommissionsvorschlag einer Finanztransaktionssteuer die britische Regierung in Rage. Als er sagte, dass nun die europäische Bankenwelt, die von den Steuerzahlern gerettet wurde, gefälligst zur Lösung der Schuldenkrise beitragen müsse, bereitete ihm das Parlamentsplenum Ovationen. Und alle - von links bis rechts - lobten den portugiesischen Konservativen ob seines Mutes. Der italienische Christdemokrat Mario Mauro pries ihn gar als "Barroso Löwenherz“.

Woher nimmt der aber plötzlich den Mut, sich gleichzeitig mit Paris, Berlin, London und den Banken anzulegen? Warum taucht er gerade jetzt aus der Versenkung auf?

Es wird immer offensichtlicher: Die so genannte "intergouvernementale“ Methode, wonach sich die Regierungen der wichtigen EU-Staaten an Brüssel vorbei die Dinge untereinander ausmachen, funktioniert nicht. Diese Herangehensweise hat Europa nur weiter in Richtung Abgrund geführt. Die Verhältnisse selbst drängen zu beschleunigter Integration.

Gleichzeitig kommt in Europa einiges in Bewegung. Barroso wird offenbar bewusst, dass er es demnächst wohl mit einem ganz anderen Personal zu tun haben wird.

Vergangene Woche erlebte Sarkozy ein Debakel sondergleichen. Seine gaullistische Partei UMP stürzte ab. Das erste Mal seit über einem halben Jahrhundert hat die Linke in der zweiten Kammer die Mehrheit erobert. Und das drückt einen Trend aus. Da mögen die Sozialisten nicht in der besten Verfassung sein - dass ihr Kandidat, wer immer das auch sein mag, bei den Präsidentenwahlen kommendes Jahr Sarkozy schlagen wird, erscheint eher wahrscheinlich.

Auch die Tage der konservativen deutschen Kanzlerin dürften gezählt sein. Zwar hat Angela Merkel erst vergangenen Donnerstag mit Ach und Krach eine "eigene parlamentarische Mehrheit“ für die Ausweitung des Eurorettungsschirms zusammengebracht. Aber der Koalitionsregierung von Union und Freidemokraten kann es kaum schlechter gehen. Sie ist zutiefst zerstritten. Und die rot-grüne Opposition erfreut sich seit Langem in allen Umfragen einer satten Mehrheit.

Und dass der erotomanische Gauner Silvio Berlusconi bald aus dem Regierungspalast in Rom ausziehen muss und entweder einem aufgeklärten Technokraten oder einem Linken Platz machen muss, ist inzwischen unbestritten.

Vor zwei Jahren, als in der EU neben Österreich nur Pleitestaaten wie Griechenland, Spanien und Portugal linke Regierungschefs vorweisen konnten, schrieben wir hier im profil einen politischen Nachruf auf die europäische Sozialdemokratie. Nun stellt sich heraus: Die Todesnachricht war - frei nach Mark Twain - eine starke Übertreibung. Wie es aussieht, könnten in absehbarer Zukunft die zentralen Länder Europas wieder links regiert werden.

Auf diese Verschiebungen der politischen Kräfteverhältnisse stellt sich der so geschmeidige Barroso offenbar jetzt bereits ein - der Blick in die Zukunft macht ihn mutig. Zu hoffen bleibt, dass die absehbare Wende auch tatsächlich jene Kräfte stärkt, die mehr - und nicht weniger - Europa wollen.

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