Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Reich und klug

Reich und klug

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Wie die Reichen argumentieren, warum sie nicht mehr Steuern zahlen wollen, wissen wir seit Langem. Legion sind die Ökonomen und Publizisten, welche die Argumente der Wohlhabenden publik machen: Höhere Abgaben der Reichen brächten zu wenig ein, als dass sich der zusätzliche Verwaltungsaufwand auszahlte; die Leistungsträger der Gesellschaft würden demotiviert; ohnehin finanzieren die Besserverdienenden mit ihren Abgaben den Großteil der Staatsausgaben; und unweigerlich würde bei zusätzlicher Besteuerung der Reichen auch der breite Mittelstand geschröpft, usw. Auch die Argumente der so genannten Gutmenschen und der linken Freunde der Verteilungsgerechtigkeit sind inzwischen in der Öffentlichkeit angekommen. Der Ruf „Tax the Rich“ ist nicht mehr bloß ein Slogan ewiggestriger Klassenkämpfer oder populistischer Sozis.

Neu freilich ist das Phänomen, dass immer mehr Millionäre und Milliardäre selber fordern, stärker zur Kassa gebeten zu werden. Als die amerikanische Investoren-Legende Warren Buffett vor einigen Jahren monierte, dass er prozentuell viel weniger an den Staat abliefere als seine Sekretärin, und für eine kräftige Erhöhung der Erbschaftssteuer eintrat, da wurde das noch vielfach als seltsame Schrulle des drittreichsten Manns der Welt belächelt. Inzwischen haben sich ihm aber Dutzende seiner amerikanischen Milliardärskollegen angeschlossen.

Vorvergangene Woche veröffentlichten 16 französische Top-Manager und Unternehmer in der Wochenzeitschrift „Nouvel Observateur“ einen Appell unter dem Titel: „Besteuert uns!“ – unter ihnen die reichste Frau Europas, die L’Oréal-Erbin Liliane Bettencourt. In Deutschland findet eine Gruppe „Vermögende für Vermögensabgaben“ immer mehr Anklang. In Italien machte Ferrari-Chef Luca di Montezemolo mit der Aussage Furore, es wäre nur gerecht, wenn Leute wie er mehr zum Gemeinwohl beitrügen. Selbst in Österreich finden sich vereinzelt Privilegierte, wie der liberale Unternehmer Hans Peter Haselsteiner und der Bankmanager Andreas Treichl, die ähnlich denken.

Es sieht ganz so aus, als ob da eine globale Bewegung der oberen Zehntausend für eine Reichensteuer entstünde. Was ist in sie gefahren? Warum agieren sie derart gegen ihre unmittelbar eigenen Interessen. Sind das alle Masochisten? Oder ist ihnen plötzlich christliche Moral eingeschossen?

Wohl nicht. Wahrscheinlich spielt bei dieser Ent­wicklung Altruismus nur eine sekundäre Rolle. Vielmehr dürfte diese Bewegung durchaus von wohlverstandenem Selbstinteresse motiviert sein.

Im Appell der Franzosen um Frau Bettencourt wird klargemacht: Der Versuch, nur ausgabenseitig die Schuldenkrise zu bewältigen, bedroht das europäische Sozialstaat-Modell, das der Wirtschaft bisher so gut gedient hat. Da müssten die Vermögenden schon stärker zu seiner Bewahrung beitragen. Tatsächlich hat die Ökonomie in Ländern mit stärker ausgeprägter öffentlicher Wohlfahrt die Krise bisher besser bewältigt als anderswo.

Wenn die Hauptlast der Krise von der breiten Masse der Lohn- und Gehaltsempfänger getragen wird, wenn diese überall gleichzeitig zu sparen gezwungen ist, bricht der Konsum ein, die Unternehmen können ihre Waren nicht mehr absetzen – eine schwere und langfristige Rezession droht. Sollte die Schere zwischen Reichen und dem Rest der Bevölkerung wie in den vergangenen Jahrzehnten weiter aufgehen und gleichzeitig Erben faktisch gratis sein, dann besteht die Gefahr, dass sich die gesellschaftlichen Klassen zunehmend verfestigen. Das wäre nicht nur extrem leistungsfeindlich. Weniger soziale Mobilität heißt auch weniger ökonomische Dynamik. Darüber ist vor allem Warren Buffett besorgt. Zu Recht: In den USA, einst als Land „der unbegrenzten Möglichkeiten“ gerühmt, ist inzwischen die Chance, aus den unteren Schichten aufzusteigen, geringer als in den meisten vergleichbaren Industriestaaten.
Schließlich scheint die Bewegung von Buffett, Bettencourt und Co sensibel gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen zu sein. „Ich erinnere mich nicht, je eine Zeit erlebt zu haben, in der so viele Länder der Welt gleichzeitig von dieser oder jener Form von Protesten auf der Straße oder veritablen Revolten erfasst waren“, schreibt Gideon Rachman im britischen „Guardian“. Die Unzufriedenheit unten – nicht zuletzt auch mit der ungerechten Verteilung des Reichtums – breitet sich weiter aus. Dass soziale Instabilität aber extrem schlecht fürs Geschäft ist, das wissen die wirtschaftlichen Eliten.

Seit 1970 wurden in den Industriestaaten sowohl die Steuern für Top-Verdiener als auch die Belastung von Vermögen und Kapitaleinkünften kontinuierlich gesenkt. Dieser Trend verstärkte sich noch in den vergangenen zehn Jahren durch einen von den Regierungen weltweit in Gang gesetzten Steuerwettlauf nach unten. Dass das so nicht weitergeht, wird zunehmend erkannt. „Europa knöpft sich die Reichen vor“, titelt zustimmend das deutsche „Handelsblatt“. Die Trendumkehr ist da.
Zwar wird das noch nicht aus der Krise herausführen. Aber ein Stückchen Vernunft ist zumindest in der aufgeklärten Fraktion der herrschenden Klasse angekommen.

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