Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Technoparty

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Die Demokratie wird suspendiert. Und alle Welt klatscht Beifall. So geschehen dieser Tage – in Griechenland und Italien. Auch eingefleischte Demokraten sind froh, dass einmal nicht die politischen Parteien und die gewählten Volksvertreter das Sagen haben, sondern Technokraten. Die gelernten und politikfernen Wirtschaftswissenschafter, Banker und ehemaligen Euro-Bürokraten Lucas Papademos und Mario Monti haben in Athen und Rom Regierungen gebildet. Und die öffentliche Meinung in Europa gibt ihnen einen Vertrauensvorschuss. Sie könnten mit ihrer Expertise ihre maroden Südländer – und damit den Euro – vor dem Untergang bewahren, hofft man.

In der Tat: Wer ist nicht froh, dass Silvio Berlusconi, der äußerst fragwürdige Bunga-Bungist, der über die Jahre Italien so zugerichtet hat, abtritt? Und wer kann wünschen, dass in dieser dramatischen ökonomischen Situation am Stiefel bald gewählt wird, wo doch die gesamte italienische Politik und ihr Personal nicht weniger in der Krise stecken als die Ökonomie?

Auch in Griechenland war es doch so offensichtlich, dass die Parteien nicht in der Lage sind, den gewaltigen Herausforderungen zu begegnen. Da mag der abgetretene Premier Giorgos Papandreou im Unterschied zum allseits verachteten italienischen Amtskollegen als tragischer Held in die Geschichte eingehen. Aber es war klar: Der griechische Sozialist, dessen Vater und Großvater bereits das Land regierten, hatte die politische Kraft nicht mehr, die Spar- und Reformmaßnahmen durchzusetzen. Papademos, der ehemalige europäische Zentralbanker, ist da sicher besser aufgestellt.

Man muss „die Märkte“ – die großen Investoren und Rating­agenturen, die Banker und Broker – nicht mögen. Sie sind es aber, die heute inmitten der Finanzkrise über das Schicksal der europäischen Ökonomien entscheiden. Sie zeigen mit dem Daumen nach oben oder nach unten. Sie zu beruhigen ist heute die dringlichste Aufgabe. Dafür könnten Papademos und Monti geeigneter nicht sein: Sie kommen ja gerade da her, von wo die Gefahr droht. Sie stammen aus der Welt der Default Swaps und Zinskurven. Sie wissen um die Ängste und Bedürfnisse der Märkte. Und diese fühlen: Die beiden sind Fleisch von unserem Fleische.

Und noch eins: Weil sie, wie es aussieht, keine längerfristigen Politkarrieren im Auge haben, können sie schnell schwierige und unpopuläre Entscheidungen treffen.

Man kann ihnen nur Erfolg wünschen. Als Herrschaftsmodell sind Technokratenregierungen jedoch nicht brauchbar. Das kurzfristige Außerkraftsetzen demokratischer Mechanismen, eine Quasi-Beurlaubung der Politik, mag in einer dramatischen Situation angemessen sein. Auf Dauer wäre solches aber nicht nur äußerst gefährlich – es würde auch nicht funktionieren. Denn die Experten sind ja nicht so unpolitisch, wie man gern annehmen würde, sondern letztlich nur eine Seite der Gleichung im Spannungsverhältnis zwischen den Gewinnerwartungen der Investoren und den Erwartungen der Staatsbürger, dass es halbwegs gerecht zugeht. Um einen vernünftigen Ausgleich dieser beiden Inter­essen zu finden, bedarf es starker Legitimität. Die haben die Technokraten nicht, sie kann nur demokratisch hergestellt werden.

Auf der Ebene der Nationalstaaten muss man in unserer Zeit die permanente politische Enteignung des Volkes nicht fürchten. Die Politik wird bald wieder ihr Recht einfordern: sei es in Form von Neuwahlen oder aber als Streikwellen oder „Occupy“-Bewegungen gegen die „unpolitische“ Politik der Technokratenregierungen. Es ist abzusehen: Diese haben nur eine sehr kurze Halbwertszeit.

Auf europäischer Ebene wird es freilich komplizierter. Denn bisher ist die EU ja, wie es allgemein heißt, ein „Elitenprojekt“. Nun haben die europäischen Staatskanzleien – allen voran in Berlin und Paris – spät, aber doch erkannt, dass die Finanzpolitik vergemeinschaftet werden muss, soll die gemeinsame Währung, ja die EU insgesamt, gerettet werden. Ein Euro-Finanzminister muss her, eine Wirtschaftsregierung gilt es zu etablieren. Darüber sind sich jetzt alle einig. Sogar die beiden starken Figuren der europäischen Politik, Angela Merkel und Nicolas Sarkozy, mussten schmerzhaft erfahren, dass es ohne Souveränitätstransfers von den Nationalstaaten an die Union, also ohne Vertragsveränderungen, nicht geht.

Aber wie soll diese Transformation der EU aussehen? „Merkozy“ scheint am Elitenprojekt festzuhalten und einen postdemokratischen Weg einzuschlagen: „Eine Konzentration der Macht bei einem intergouvernementalen Ausschuss der Regierungschefs, die ihre Vereinbarungen den nationalen Parlamenten aufs Auge drücken, ist der falsche Weg“, kritisiert der Philosoph Jürgen Habermas die deutsch-französischen EU-Umbaupläne – ein technokratisches Projekt, gegen das auch die Europa-Parlamentarier vergangene Woche in Straßburg Sturm liefen.

Die Klage über den Mangel an Demokratie in der EU ist seit Langem berechtigt. Jetzt freilich wird dieses Demokratiedefizit für Europa existenzbedrohlich. Die aktuelle ökonomische Misere zeigt klarer denn je: Technokratische Lösungen funktionieren da nicht. Ohne tief greifende Demokratisierung ist die Union dem Untergang geweiht.

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