Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Vorwärts, Deutschland!

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Winston Churchill sagte einmal: „Bei den Amerikanern kann man immer damit rechnen, dass sie das Richtige tun – aber erst, nachdem alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind.“ Dieser Ausspruch des legendären britischen Premiers wird in der aktuellen Krisenzeit immer öfter zitiert. Und nicht nur, wenn es um die USA geht. Auch die Europäer würden, so lautet die optimistische Interpretation, am Ende, wenn alles ausprobiert wurde und nichts funktioniert hat, „das Richtige tun“.

Viele haben es ja vor zehn Jahren gewusst: Der Euro könne nichts werden. Eine gemeinsame Währung ohne gemeinsame Wirtschaftspolitik sei ein Unding und müsse in die Katastrophe führen. Einige Jahre sah es so aus, als ob sie sich gründlich verschätzt hätten. Der Euro blühte, die europäische Wirtschaft boomte. Gegen Ende des Jahrzehnts aber zeigte sich schmerzlich, dass die Euro-Gegner nur allzu Recht hatten.

Ganz daneben lagen die Euro-Befürworter von damals freilich auch wieder nicht. Ihnen war ja bekannt, dass der Euro letztlich nur dann lebensfähig ist, wenn hinter ihm eine gemeinsame Politik steht. Nur waren sie überzeugt, dass die Ökonomie jenen Druck erzeugen würde, der zur notwendigen politischen Integration Europas führt. Sie setzten darauf, dass der „stumme Zwang der Ökonomie“, wie Karl Marx einst schrieb, von sich aus jenen Überbau schafft, den die Wirtschaft braucht. Noch ist dieser politische Überbau nicht da. Aber in den vergangenen zwei, drei Jahren zeigte sich der „stumme Zwang“ voll in Aktion. Vor allem die Deutschen bekamen ihn zu spüren.

Die Regierung von Angela Merkel musste unter dem Druck der Verhältnisse immer wieder Dingen zustimmen, die sie noch kurz zuvor vehement abgelehnt hatte. Nein, die faulen verschwenderischen Griechen müssten selbst die Suppe auslöffeln, die sie sich eingebrockt hatten, für die werden wir soliden Deutschen sicher nicht zahlen, tönte es aus Berlin. Merkel musste dann doch dem Hilfspaket für Athen ihren Sanctus geben. Und es blieb nicht bei Griechenland: Deutschland war gezwungen, den Widerstand gegen einen Rettungsschirm für die Südländer in Not aufzugeben. Dass die Europäische Zentralbank marode Anleihen der verschuldeten Staaten aufzukaufen begann, widerspricht eklatant der deutschen Finanzorthodoxie. Und dass – was im Juli mit der Stimme der deutschen Regierung beschlossen wurde – der Rettungsschirm selbstständig Anleihen erwerben kann, wäre noch vor dem Sommer undenkbar gewesen. „Einstieg in die Transferunion“, wettern die Gegner.

Das alles sind wohl Schritte in die richtige Richtung. Aber sie sind zu klein und zu zögerlich. Immer wieder glaubte man, jetzt habe man die Krise im Griff. Das Vertrauen der Märkte aber wollte sich partout nicht einstellen. Auch jetzt nicht. Auf die jüngste deutsch-französische Einigung, das zu etablieren, was noch vor Kurzem für die Deutschen eine welsche Schnapsidee war – eine europäische Wirtschaftsregierung –, verfehlte das Ziel: Die Investoren fassten mitnichten Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der europäischen Politik. Die Börsenkurse rasselten hinunter – vor allem auch in Deutschland. Die Angst vor einer generellen Rezession geht wieder um.

Auf Deutschland kommt es aber an: Das größte und reichste Land der EU müsse endlich die Verantwortung für Europa übernehmen, fordert der US-ungarische Großinvestor George Soros. Alle anderen Möglichkeiten seien erschöpft, nun gelte es, das Richtige zu tun – die Schaffung von Eurobonds. „Damit der Euro funktioniert, müssen seine Mitgliedsländer in der Lage sein, einen Großteil ihrer Schulden zu gleichen Bedingungen zu refinanzieren“, sagt Soros in einem „Spiegel“-Interview. „Dafür muss Deutschland sorgen.“ Nur mit dieser Vergemeinschaftung der Schulden können schwächere Ökonomien Europas ihren Bankrott verhindern und in absehbarer Zeit auf den Wachstumspfad zurückfinden. Nur so könne die Eurozone vor dem Untergang gerettet werden. Und es ist nicht nur Soros, der für Eurobonds plädiert. Das Europaparlament ist dafür. Die Anleger schwärmen von ihnen. Immer mehr Ökonomen und Wirtschaftsbosse detto.

Aber ist solch ein europäisches Schuldenregime jemals in Deutschland durchsetzbar? Gewiss: Drei Viertel der Deutschen sind wie Angela Merkel und die regierende CDU strikt gegen Euroanleihen. Wahrscheinlich wird Berlin schließlich doch nachgeben müssen. Und so politisch problematisch muss es nicht werden. Auch in Deutschland bröckelt die Ablehnungsfront. Und im Unterschied zu vielen anderen Ländern steht Frau Merkel keine populistische antieuropäische Opposition gegenüber. Im Gegenteil: Die SPD und die Grünen sind dezidiert proeuropäische Parteien. Sie haben bereits verlauten lassen, für Eurobonds zu stimmen. Sie sind bereit, einen so unpopulären Schritt mitzutragen – vorausgesetzt, dass die Haushaltsdisziplin der EU-Staaten künftig europäisch kontrolliert wird.

Frau Merkel muss sich nur einen Ruck geben. Bei den desaströsen Umfragewerten ihrer Regierung kann sie ohnehin nicht mehr viel verlieren.

Wird also Europa das Richtige tun, um das Ärgste zu verhindern? Ähnlich, aber viel poetischer als der Brite Churchill, schrieb der urdeutsche Dichter Friedrich Hölderlin: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“

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