Interview

Gerald Fleischmann: "Ich bin nicht die Zensurbehörde"

Der Medienbeauftragte des Kanzlers, über Message Control, linke Medien, Verhaberung und den Kampf gegen US-Giganten.

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profil: Sie waren Pressesprecher, türkiser Stratege, sind jetzt Medienbeauftragter des Kanzlers. Was war Ihr profil-Moment?
Fleischmann: Es waren über 500 profil-Momente. Ich war von 2007 bis 2017 Pressesprecher auf Bundesebene. Mein profil-Moment war jeden Samstag um neun Uhr, wenn profil-Aussendungen über Enthüllungen im neuen Heft kamen. Die können einen Pressesprecher den ganzen Samstag beschäftigen. Schöne Samstage waren es, wenn es jemand anderen als die ÖVP traf.

profil: Sie waren Journalist, etwa beim "Standard", 2003 begannen Sie als Pressesprecher bei der ÖVP Niederösterreich. Wie ausgeprägt ist die Verhaberung von Medien und Politik?
Fleischmann: Es heißt, dass es im kleineren Österreich mehr Verhaberung gibt als in Deutschland. Das stimmt nicht. Der Unterschied zwischen Deutschland und Österreich ist nicht rasend groß. Ich war als Pressesprecher von Außenminister Sebastian Kurz in Kontakt mit deutschen Medien, Pressesprechern und Politikern. Es gibt in Deutschland wie in Österreich die Bandbreite von Ablehnung über professionelle Distanz bis zur Verhaberung - in allen Facetten in allen Parteien und allen Medien.

profil: Sebastian Kurz ist mit vielen Journalisten per Du. Zeugt das Du-Wort von Verhaberung?
Fleischmann: Es gibt auch Verpartnerungen in der Branche, wo man Beruf und Privat trennt. Man kann also mit jemandem per Du sein und trotzdem professionelle Distanz wahren. Verhaberung misst sich an nicht an Einzelsignalen wie dem Du-Wort.

profil: Was sind Österreichs Medien Ihrer Einschätzung nach? Konservativ? Links? Unparteiisch?
Fleischmann: Aus Betriebsratswahlen im ORF könnte man Linksdominanz ablesen. Und es gibt eine jahrzehntealte Studie, nach der zwei Drittel der Journalisten links eingestellt sind.

profil: Die ist uralt.
Fleischmann: Genau. Den meisten Medienvertretern gelingt es, professionelle Distanz zu wahren. Und: Ich war auch einmal jung und hatte als Student meine linke Phase.

profil: Wie äußerte sich die?
Fleischmann: Ich war Rockmusiker und gesellschaftsund elitenkritisch. Das sind viele Junge. Später, wenn man einen Beruf ergreift, Steuern zahlt, ein Haus baut, Kinder kriegt, werden viele bürgerlicher. Es gibt den Spruch: Wer als Junger nicht links ist, hat kein Herz, wer als Alter nicht bürgerlich ist, hat keinen Verstand. Das gilt für viele Berufe - aber nicht für den Journalismus. Da muss man kritisch bleiben, Fehler aufdecken. Journalismus ist nicht links oder rechts, aber kritisch. Als Journalist gehört es quasi zum Job, immer jung zu bleiben und alles zu hinterfragen.

profil: Wie ordnen Sie profil ein?
Fleischmann: Auf der Skala "kritische Medien" sicher weit oben. Das war wohl auch die Idee des Gründers - und gehört zum Genre Aufdeckermagazin.

profil: Gibt es einen Grundwiderspruch zwischen Politik, die stets das Beste über sich lesen will, und Medien, die kritisch beleuchten?
Fleischmann: Man braucht als Politiker eine dicke Haut. Gäbe es eine Job Description für Bundeskanzler oder Minister, würde weit oben stehen: geringe Schmerzgrenze, was Schlagzeilen betrifft. Weil: Was wäre das für eine Medienlandschaft, in der täglich berichtet wird, wie toll die Regierung ist?

profil: Wünschen Sie sich solche Schlagzeilen?
Fleischmann: Nein. Eines muss ich aber sagen: Es gibt eine fließende Grenze zwischen Kritik und Gehässigkeit, zwischen mahnenden Worten und verächtlicher Häme. Gerade in den letzten Jahren wurde die Grenze oft überschritten.

In der Job Description eines Kanzlers steht weit oben: Du musst Kritik aushalten - und wenn du es nicht aushältst, mach es nicht.

profil: Wo denn?
Fleischmann: Es wird jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf getrieben, es gibt jeden Tag Shitstorms. Da entlädt sich viel Wut, das betrifft alle politischen Lager. Aber es fällt auf, dass öfter als früher die Grenze überschritten wird. Darunter leidet die Debattenkultur.

profil: Das beklagte neulich auch Sebastian Kurz. Ist das nicht etwas wehleidig?
Fleischmann: In der Job Description eines Bundeskanzlers steht weit oben: Du musst Kritik aushalten - und wenn du es nicht aushältst, mach es nicht. So wie man in der Früh aufsteht und Zähne putzt, kriegt man in irgendeiner Zeitung eine drübergezogen. Das gehört zu jedem Tag wie Zähneputzen. Darüber darf man nicht nachdenken, sonst wird man fix und fertig. Das wird jedem Politiker vorab gesagt, deswegen finden sich auch immer weniger Leute für die Politik. Aber: Gehässige Kritik überschreitet die Grenze.

profil: Was meinen Sie? Kritik an unfähigen Ministerinnen und Ministern?
Fleischmann: Ich will nicht über Einzelbeispiele sprechen. Ich bin nicht die Zensurbehörde, die entscheidet, wann die Grenze überschritten wird. Das ist nicht meine Aufgabe und wäre anmaßend.

profil: Gibt es ein Leitmedium in Österreich?
Fleischmann: Es gibt viele Leitmedien in jedem Bundesland - etwa in Vorarlberg sind die "Vorarlberger Nachrichten" ein Leitmedium. Ein Medium kämpft bundesweit immer an der Spitze mit: die "Kronen Zeitung". Und natürlich der ORF.

profil: Der Politologe Fritz Plasser sagt, Österreich ist eine Boulevarddemokratie. Hat er recht?
Fleischmann: Das sind so Kategorien: Boulevarddemokratie, Operettenstaat, Bananenrepublik. Summa summarum können wir uns alle zehn Finger ablecken, dass wir in Österreich leben. Da halten wir jede Kategorisierung locker aus.

profil: Kanzler Sebastian Kurz wird nachgesagt, besondere Affinität zu Boulevardmedien zu haben.
Fleischmann: Der Bundeskanzler hat eine Affinität zur Bevölkerung. Er will umsetzen, was er für richtig hält. Er weiß aber, dass er davon die Bevölkerung überzeugen muss und nicht allein vorangehen kann, ohne die Menschen mitzunehmen. Daher muss er verständlich erklären, was er vorhat. Und dafür braucht er auch reichweitenstarke Medien.

profil: Warum fließt ein Großteil der Corona-Mediensonderförderung an Boulevardmedien?
Fleischmann: Die Kritik kontere ich mit Zahlen. "Heute", gilt als Boulevard, bekam im ersten Halbjahr 2020 zwei Millionen Euro an Förderung. "Die Presse" zwei Millionen. "Österreich", das als Boulevard gewertet wird, zwei Millionen. "Der Standard" zwei Millionen. Und "profil" und "Falter" rund 200.000 Euro.

profil: "Reporter ohne Grenzen" und andere Experten rechnen das anders und sehen das Gros beim Boulevard.
Fleischmann: Wenn man sich nur einen Topf anschaut, gibt es immer Verzerrungen. Wir haben heuer 45 Millionen Euro an Sonderförderungen vergeben: Presseförderung, Druckkostenbeitrag, Vertriebsförderung. Wenn man alles zusammenrechnet, ergeben sich die genannten zwei Millionen.

profil: Und Regierungsinserate, auch hauptsächlich an Boulevardmedien,
Fleischmann: Es zählt das Gesamtergebnis. Aus einer Kategorie wird immer einer mehr bekommen.

profil: Sie sagten, "Österreich", das als Boulevard gewertet wird. Ist es für Sie Boulevard?
Fleischmann: Das ist der allgemeine Sprachgebrauch. Natürlich gibt es in Österreich Boulevardmedien. Aber was Qualitätsmedien sind, dieses Urteil überlasse ich gerne anderen. Das maße ich mir als Medienbeauftragter des Kanzlers nicht an.

 

profil: Ist die Presseförderung noch zeitgemäß?
Fleischmann: Im Regierungsprogramm steht, dass wir sämtliche Presseförderungen überprüfen werden. Ich halte es für richtig, dass die Allgemeinheit via Steuern einen Beitrag zur Medienvielfalt leistet.

profil: Halten Sie Printmedien für tot?
Fleischmann: Die Strukturen - quasi die Morphologie -der Medien ändert sich durch Internet, Streaming. Die Funktionen aber bleiben gleich: Kontrolle, Information, Bildung und Unterhaltung. Es ist auch Aufgabe der Regierung, diese Funktionen zu bewahren.

profil: Unter ÖVP-FPÖ gab es Attacken auf den ORF und Pläne, Gebühren abzuschaffen.
Fleischmann: Das waren eher blaue als türkise Attacken und Pläne.

profil: Hat der ORF seit der Corona-Krise einen neuen Stellenwert?
Fleischmann: In der Corona-Krise war die Rolle aller Medien wichtig. Sie haben Verantwortung gezeigt und gesagt: Wir können die Regierung danach wieder kritisieren, in der größten Krise seit 1945 müssen wir zusammenhalten. Ohne dieses Verantwortungsbewusstsein der Medien wäre es unmöglich gewesen, Ausgangsbeschränkungen zu verhängen, Geschäfte zu sperren, Schulen zu schließen. Der Shutdown wurde von den Medien schlüssig erklärt. Ohne Medien wäre das nie gegangen.

profil: Die Regierung hat sich daran gewöhnt. Nach dem Shutdown merkte man bei Regierungsmitgliedern die Kränkung, dass wieder kritisiert wird.
Fleischmann: Dann müssen die Regierungsmitglieder die Job Description lesen, die sie am Anfang bekamen: Kritik aushalten ist so normal wie Zähne putzen.

profil: Lieber arbeiten Politiker an eigenen Medienwelten, in denen sie sich keinen kritischen Fragen stellen müssen. Sebastian Kurz ist auf Facebook, Instagram, Twitter eine Größe. Verlieren dadurch traditionelle Medien an Gewicht?
Fleischmann: Soziale Medien werden traditionelle Medien nicht ersetzen. Facebook oder Twitter ist wie ein digitaler Kaffeehausbesuch. Im Kaffeehaus oder am Wirtshaustisch wird diskutiert, Gespräche beginnen mit: Hast schon gelesen, in der "Krone" oder im "profil"? Nur traditionelle Medien erfüllen diese Funktion der Glaubwürdigkeit. Genau das passiert auf Twitter: Jemand postet Links von Medien, dann wird diskutiert.

profil: Früher mussten Politiker mit Medien sprechen, um ihre Botschaften unter die Leute zu bringen. Heute können sie auf Facebook und Co posten und Inhalte ungefiltert verbreiten.
Fleischmann: Das ging doch immer schon mit Briefen und Veranstaltungen mit Freibier. Die Konkurrenz spielt sich ganz woanders ab - im wirtschaftlichen Bereich. Heimische Medien haben weniger Anzeigen, weil mehr Werbung auf Facebook und Co geschaltet wird. Zweitens produzieren heimische Medien Content - und Google kapert das einfach. Drittens arbeiten Journalisten durch Beiträge auf ihren Social-Media-Kanälen für US-Medienkonzerne. US-Onlinegiganten saugen heimische Medienunternehmen aus.

profil: Was tun Sie als Medienbeauftragter dagegen?
Fleischmann: Das Regierungsprogramm ist eine Kampfansage: Mit der geplanten Digitalsteuer schöpfen wir die Werbeerlöse der US-Konzerne ab und machen damit in Österreich Digitalförderung. Für den Medienfonds fordern wir von Netflix und Co Beiträge ein.

Die sagenumwobene Message Control ist eine Erfindung der Medien.

profil: Themenwechsel. Sie gelten als Erfinder der sagenumwobenen türkisen Message Control.
Fleischmann: Die sagenumwobene Message Control ist eine Erfindung der Medien.

profil: Dann gehen wir Bestandteile der Message Control durch. Regierungsfotografen produzieren Schönbilder, das unterminiert Fotojournalismus.
Fleischmann: Das Kanzleramt lädt zu sämtlichen Terminen, Pressekonferenzen und Auslandsreisen alle Medien ein, auch Film- und Fotoredaktionen.

profil: Zu Auslandsreisen nicht, da sind nur gewisse Medien eingeladen.
Fleischmann: Wenn ein Medium eingeladen ist, dann immer auch mit Fotograf. Dass wir als Regierung Hausfotografen engagieren und Bilder zur Verfügung stellen, ist eine Serviceleistung.

profil: Ein anderer Bestandteil der Message Control: Minister wiederholen immer gleiche Phrasen.
Fleischmann: Früher war in der ÖVP jeder sein eigener Player mit eigener Agenda und hatte Bünde oder Bundesländer hinter sich. Alle waren Spieler ihrer Machtbasis, niemand war Spieler im Team, was der Parteiobmann wollte, war zweitrangig. In der türkisen Volkspartei sind Minister nicht nach Bünden ausgewählt, sondern nach Qualifikation, und spielen als Team. Auch die Kooperation in der Regierung funktioniert. Weil weniger gestritten wird, wirkt es eben kontrollierter.

profil: Auch weil die Regierung enorme Presse-Abteilungen hat, größer als viele Redaktionen. Wird versucht, Medien zu kontrollieren?
Fleischmann: Wenn SPÖ und ÖVP etwas vereinbarten, konnte man auf dem Sekundenzeiger mitschauen, wann die Vereinbarung gebrochen wurde. Da gab es nur mehr Missgunst und den Wunsch, dem anderen ein Haxel zu stellen. Bei Türkis-Blau oder Türkis-Grün gibt es Vertrauen, Abmachungen halten. Das ist keine Kontrolle der Medien. Politiker haben sich nur selbst unter Kontrolle.

profil: Mit dem Effekt, dass manche Minister wie Sprechautomaten wirken.
Fleischmann: Das sind eben keine lang gedienten Politiker, sondern Experten aus unterschiedlichen Bereichen, die in den Umgang mit Medien erst hineinwachsen.

profil: Mit Verlaub: Wie eine Expertin wirkt die Arbeitsministerin nicht.
Fleischmann: Für die Regierungsspitze ist entscheidend, was sachpolitisch weitergeht, und nicht, welche Noten für Medienauftritte verteilt werden. Bei der Arbeitsministerin ist die inhaltliche Performance gut: Die Arbeitslosigkeit sinkt, die Kurzarbeit wirkt.

profil: Ein Prinzip der Message Control lautet: Mache das Gegenteil von dem, was Twitter empfiehlt.
Fleischmann: Das soll ein Vertrauter des Bundeskanzlers gesagt haben. Eine zugespitzte Formulierung.

profil: Was ist die größte Herausforderung für Medien in den kommenden 50 Jahren?
Fleischmann: Der Kampf gegen die US-Konzerne. Von den über 50-Jährigen konsumieren 90 Prozent Fernsehen herkömmlich linear. Bei den unter 30-Jährigen streamt die Hälfte: Ein Viertel davon ORF, ein Viertel Netflix, 50 Prozent streamen YouTube. Wenn das die Medienzukunft ist, müssen wir im Kampf gegen US-Giganten aufs Tempo steigen. Sonst leiden nicht nur Medien, sondern auch die Demokratie.

 

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin