Lercherlschas & Nächstenliebe

H. C. Strache im Freibier-Wahlkampf – Nächstenliebe der anderen Art

Reportage. H. C. Strache im Freibier-Wahlkampf – Nächstenliebe der anderen Art

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Da hat jetzt die Regie ein wenig versagt: Es ist knapp nach 18 Uhr, die langen Wirtshaustische am Rathausplatz von Stockerau sind nicht zuletzt dank Freibier und Gratiswurst einigermaßen besetzt, H. C. Strache springt drahtig aus dem Auto - und die Musik spielt ausgerechnet den alten Elvis-Schmeichler "Are You Lonesome Tonight?“ Bei Jörg Haider hatte noch Freddie Mercury gedröhnt: "We Are The Champions!“.

Alles in Blau
Seit vergangenem Montag ist nun auch der FPÖ-Spitzenkandidat "on the road“. Die schönen Urlaubstage von Ibiza mit der Lebensabschnittspartnerin und den Kindern sind vorbei. Zu Hause hatte inzwischen der seinerzeit von Haider übernommene Sprücheschreiber Herbert Kickl in den unteren Schubladen gekramt und entsprechend muffelndes Zeug zutage gefördert. Auch Kugelschreiber, Feuerzeuge und Schlüsselanhänger, alles in Blau, sind schon im Begleitfahrzeug verstaut. Es kann losgehen.

„Liebe deine Nächsten”
Diesmal heißt das Motto nicht "Daham statt Islam“ oder "Pummerin statt Muezzin“, sondern "Liebe deine Nächsten“, was im konkreten Fall auf dasselbe hinausläuft. Oder, wie es Strache formuliert: "Jedes Problem am Hindukusch ist den Roten, Schwarzen und Grünen wichtiger als die Probleme in Österreich.“ Die anderen Parteien würden "Entferntestenliebe“ praktizieren, er hingegen halte es mit der "Nächstenliebe“. Vor einigen Jahren hatte er denselben Gedanken zwar etwas kantiger gefasst ("Mehr Mut für unser Wiener Blut - zuviel Fremdes tut niemandem gut“), in der Sache selbst ändert es nichts: Wir hier gut - die dort schlecht.

Geeichte Strache-Anhänger verstanden den Sinn der neuen Nächstenliebe-Slogans ohnehin auf Anhieb. Sie glaubten keine Sekunde daran, dass ihr H. C. schon mit einem Bein im Lager der warmduschenden Gutmenschen stehe, dass er jetzt auch so ein Caritas-Heini sei und auf sie und ihre Wut einfach vergessen habe.

„Do wird ma gaunz worm ums Herz, beim Hatse“
Sie sind alle wieder da, wenn H. C. kommt, wie hier am Rathausplatz von Stockerau: die gertenschlanke Dame an die 60 mit den etwas zu roten Haaren und der etwas zu lauten Stimme ("Do wird ma gaunz worm ums Herz, beim Hatse“); die älteren, ein wenig übellaunigen Herren, die hier Begründungen für ihren Zorn erwarten; der junge Mann mit Irokesenschnitt, Lippenschraube und beeindruckendem Flinserlloch, der schon früh mit seinen Freunden auf dem Platz war, vermutlich auch wegen des Freibiers; die rüstige 90-Jährige, die sicher ist, dass in 30 Jahren alle echten Österreicher auswandern müssen ("Oba der mit dem Indianerhaarschnitt da drüben schaut schon komisch aus“); die properen Paare mittleren Alters, wie man sie in jeder Kleinstadt antrifft - an der Gratisausschank haben sie statt des Biers um ein Mineralwasser gebeten.

„Jedem Asylwerber stecken's mehr hinten rein als unseren Pensionisten”
So unähnlich sie alle einander auf den ersten Blick sind, eint sie doch ein überwältigendes Gefühl: jenes, zu kurz gekommen zu sein im Leben. Und Strache - dieser Instinkt wohnt dem Rechtspopulismus seit jeher inne - holt sie schon im zweiten Satz seiner Rede von ebendort ab: "Es braucht eine Liebe für unsere Österreicher, die permanent zu kurz kommen.“ Diese Liebe beseelt ihn in diesem noch jungen Wahlkampf, die Liebe für die Nächsten, also die hier an den Biertischen. Ihnen zählt er in loser Folge auf, wer schuld daran ist, dass sie zu kurz kommen: die Pleitestaaten, die EU-Bürokraten, die in Brüssel, die Bankenspekulanten, die Kriminellen, die Asylbetrüger. "Jedem Asylwerber stecken’s mehr hinten rein als unseren Pensionisten“, entfährt es Strache allzu hastig.

Er erzählt von der Lage im ohnehin kaum 20 Kilometer entfernten Wien: Dort gelte bei der Wohnungsvergabe das Motto: "Willst du eine Wohnung haben, musst du nur ein Kopftuch tragen.“ Die Dame mit den etwas zu roten Haaren lacht schrill, obwohl wahrscheinlich auch sie den müden Scherz aus vielen vergangenen Wahlkämpfen kennt. Insider behaupten hartnäckig, bereits weiland Jörg Haider sei damit hausieren gegangen. Strache beschleunigt noch ein wenig: "Das wär ihnen (den Asylbetrügern; Anm.) ja am allerliebsten: Gleich am ersten Tag die Staatsbürgerschaft, a Wohnung a no drauf und oabeitn nix!“

Das sind die Stellen, an denen sich Wahlkämpfer seiner Partei seit jeher sicheren Applaus abholen.

Man könnte Strache bei sehr gutem Willen zugute halten, dass ihm manche dieser angejahrten Sager, die ihm seine Verseschmiede auf den Wahlkampf-Trail mitgegeben haben, inzwischen offenbar selbst etwas unangenehm sind. Dem hastig hingekeuchten Kalauer "Die Roten und Schwarzen machen a Politik für die Wärmsten der Warmen und nicht für die Ärmsten der Armen“ etwa murmelt er etwas von Sexualität-ist-aber-schon-noch-Privatsache hinterher, was nicht nur den Irokesen etwas ratlos zurücklässt.

Das sollte der Kickl wieder streichen.

Österreicher als Opfer
Es geht hier schließlich nur um Österreich und um das Zu-kurz-Kommen: "Und wir Österreicher kommen doch immer schon in allem zu kurz“, holt Strache mit leichtem Beben in der Stimme zu historischer Geste aus. Die Österreicher als Opfer - das ist hierzulande fast jedermanns Lieblingsbild. Seit die Alliierten 1943 in Moskau in bewusster Verkennung der Tatsachen deklariert hatten, Österreich sei "das erste freie Land“ gewesen, das "der typischen Angriffspolitik Hitlers zum Ofer gefallen ist“, gehört der Opfergedanke zum Stützgerüst österreichischen Massenbewusstseins. Und Strache nennt die Täter, die die Interessen der Österreicher als Opfer auf den Altären in Brüssel und am Hindukusch darbringen. "Die grünen Chlorophylmarxisten“ etwa, zu denen ihm (wahrscheinlich aber Kickl) der lustige Sager einschoss: "Lieber ein Haus im Grünen als einen Grünen im Haus.“ Und als Zugabe für alle, die jetzt noch nicht wiehern: "Die sind wie eine Wassermelone: außen grün und innen rot.“

Jetzt wiehert auch der Irokese und holt noch ein Runde Bier.

Um wie viel flotter hört sich das doch alles an als dieses FPÖ-Alt-Gedusel, das die rechte Grande Dame und ehemalige Präsidentschaftskandidatin Barbara Rosenkranz - Stockerau ist ihr Wahlkreis - in ihrer Begrüßungsrede abgelassen hatte: "Wir hier im Weinviertel sind erdige Leut’, tüchtige Leut’. Der Woaz steht nirgendwo so hoch wie hier im Weinviertel. Wir sind die Leut’, die noch arbeiten können.“

Der Woaz steht hoch - geht’s noch? Kein Wunder, dass der H. C. sie unlängst abgesetzt hat.

Nicht, dass Strache selbst auf jegliches Pathos verzichtete, ganz im Gegenteil: Er zitiert etwa das Gleichnis vom barmherzigen Samariter aus dem Lukas-Evangelium (Lk 10, 25-37), diese Parabel der Nächstenliebe; er erzählt vom guten Mann aus Samaria, der das von Räubern und Wegelagerern geschundene Opfer aufrichtet, erstversorgt und in die nächste Stadt bringt.

Wer das nicht verstanden hat, dem ist nicht zu helfen. Strache schiebt aber sicherheitshalber die verbindliche Deutung nach: Der nächstenliebende Samariter ist er, die Räuber und Wegelagerer sind die Roten, Schwarzen und Grünen; und die Opfer sind - eh klar - alle anderen hier.

Lercherlschas
Und wenn er schon bei den ganz großen Erzählungen ist, liefert er in aller Bescheidenheit auch noch jene von ihm selbst, der die Fackel großer Männer weiter trägt: "Der Victor Adler und der Bruno Kreisky würden sich im Grab umdrehen, wenn sie sehen würden, was sich heute hier abspielt.“ Überhaupt der Kreisky, dem die ÖVP so bitteres Unrecht antut, indem sie behauptet, er sei der große Schuldenmacher gewesen: "Dabei waren die Schulden, die der Kreisky gemacht hat, ja geradezu ein Lercherlschas gegen die heutigen!“ Und wo geht das liebe Geld hin? Alle hier wissen es.

Aber jetzt ist der Retter ja da: "Ich lass’ mir das stellvertretend für euch nicht mehr gefallen!“, bietet er seine breite Brust an und verspricht hoch und heilig, er werde im Interesse aller hier "dem System wie ein Stachel im Fleisch sitzen“.

Das ist günstig, denn es beginnt plötzlich heftig zu regnen, das Publikum stürmt davon, Strache lässt sich von einem seiner beiden Leibwächter einen Schirm reichen und versucht noch weiterzureden ("… und der Vranitzky bekommt vom Stronach bis heute Millionen …“), aber das geht längst im Geprassel des Wolkenbruchs und im Getrampel der Davonstürmenden unter. Den profil-Fotografen, der von der Bühne aus ein letztes Foto machen will, verscheucht Strache mit der Unterstellung, er wolle ja nur leere Sitzreihen fotografieren, damit sein Blatt nachher behaupten könne, es sei niemand gekommen.

Denn das wäre auch falsch. Strache zieht immer noch. Im burgenländischen Mattersburg hat die örtliche Sozialistische Jugend sogar eine kleine Gegendemo mit ein paar Spott-Transparenten ("Ha, ha - ihr seid ja nur Ur-Wenige“) auf die Beine gestellt, was Strache offensichtlich fast ein wenig ehrenvoll findet.

Aber Massen drängen sich nicht mehr an solchen schwülen Spätnachmittagen, an denen politische Prominenz die dösenden Städtchen heimsucht. Um Autogramme stellen sich nur noch wenige an, selbst Strache muss sie den meisten der Anwesenden nachtragen. Am besten gehen noch die gemeinsamen Fotos mit H. C.: "Stell di doch a hin!“, fordert der Papa das noch zögernde Töchterlein auf. Die zwei grantigen Rentner müssen nicht lange gebeten werden. Entschlossen pflanzen sie sich links und rechts von jenem Mann auf, der sich stellvertretend für sie gegen all das Unrecht in der Welt wehren will.

„Geh, habt’s noch ein Feuerzeug?“
Längst hat Heinz-Christian Strache dafür ein fotogenes Kampflächeln entwickelt, den Mund nur leicht geöffnet, den Blick genau in die Kamera, so kommen die eindrucksvollen wasserblauen Augen am besten. Sagt wahrscheinlich auch der Kickl.

Am Abend dann, beim Volksfest im burgenländischen Weinort Gols, ist nicht mehr der ganz große Auftritt geplant. Eher eilig bahnt sich der FPÖ-Tross seinen Weg durch die nicht übermäßig interessierten Besuchermassen. Ein Foto da und ein Autogramm dort sind schon noch drinnen - "Geh, habt’s noch ein Feuerzeug?“ Im großen Zelt treten heute Monti Beton und "Rapid-Legende Hans Krankl“ auf, danach wütet Alkbottle.

Und da kann auch ein Strache nicht mithalten.