Tanja Kristoferitsch, 27

Heimfahrt in die Steiermark: Hin- und Hergerissen

Während die einen der Provinz den Rücken kehren, tun andere alles dafür, um daheim zu bleiben. Christina Pausackl hat bei ihren ehemaligen Schulfreundinnen in der Oststeiermark nachgefragt.

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Manches hat sich verändert, seit ich vor zehn Jahren aus meiner Heimatregion weggezogen bin. Meinen Heimatort gibt es nicht mehr, er ist im Zuge der Gemeindefusionierung verschwunden. Doch vieles ist zwischen dem Fuße des Wechselgebirges und der Stadt Hartberg geblieben, wie es war: die weiten Wiesen und Wälder zwischen den Dörfern, die Maisfelder neben dem Straßenrand; die Busse, die selten fahren. Zersiedelt nennt man Bezirke wie Hartberg-Fürstenfeld in der Sprache der Raumplaner. Keine steirische Region ist schlechter an das Verkehrsnetz angebunden als der Osten. Nirgendwo in Österreich gibt es mehr motorisierte Fahrzeuge.

Lange hatte die ÖVP in dieser Region die Wahlen dominiert. Die Oststeiermark ist eine ländlich geprägte Region, doch inzwischen sind die Ideen der FPÖ auch ins bäuerliche Milieu durchgedrungen. In keinem anderen Bezirk in der Steiermark bekam der Bundespräsidentschaftskandidat Norbert Hofer so viele Stimmen wie hier: 65 Prozent.

An den nördlichen Rändern der Oststeiermark, wo die Orte Wenigzell oder Waldbach heißen, zieht es viele Menschen weg in die Städte. Manche flüchten vor der Enge des Dorfes, vor patriarchalen Strukturen und veralteten Rollenbildern, sagt die Raumplanerin Gerlind Weber von der BOKU Wien. Viele sehen keinen anderen Ausweg, weil es an Arbeitsplätzen fehlt. Es sind vor allem die jungen Gebildeten, die gehen, insbesondere die Frauen, weil es für sie noch weniger Perspektiven und Jobs gibt.

Ich verstehe, wenn die Jungen gehen. Was sollen sie denn machen, wenn es hier nichts gibt?

Wenn Politiker und Experten von strukturschwachen Regionen sprechen, sind damit Orte wie Waldbach-Mönichwald gemeint. Die Gemeinde hat seit den 1980er-Jahren fast ein Viertel ihrer Einwohner verloren. Es gibt kaum Arbeitsplätze, zwei Drittel der Beschäftigten pendeln. Und es fehlen die Kinder: In den getrennten Ortsteilen Waldbach und Mönichwald sind zwar noch zwei Volksschulen in Betrieb, beide bestehen aber nur noch aus jeweils einer Klasse.

Tanja Kristoferitsch, 27, ist im Nachbarort aufgewachsen und lebt inzwischen mit ihrem Partner und ihrem vierjährigen Sohn in Mönichwald. Nach der Matura ging sie nach Wien und absolvierte eine Ausbildung zur Volksschullehrerin. Nach der Karenz suchte sie fast zwei Jahre, bis sie in der Gegend eine Stelle fand. "Hätte es nicht geklappt, wäre ich auch die eineinhalb Stunden nach Wien gependelt", sagt sie: "Wenn man schon studiert hat, dann will man natürlich auch in diesem Beruf arbeiten." Dauerhaft in die Stadt ziehen wollte Kristoferitsch nie. "Ich verstehe, wenn die Jungen gehen. Was sollen sie denn machen, wenn es hier nichts gibt?" Doch sie fühle sich in dieser Gegend verwurzelt, sie wolle in der Nähe ihrer Familie sein. Die Enge des Dorfes, vor der andere flüchten, schätzt Kristoferitsch. Auf dem Land lege man Wert auf Gemeinschaft. Die Milch im Kaffee des Dorfwirten komme vom Bauern nebenan. "Hier lebt jeder von jedem."

Im Gasthaus wird viel über den Zustand der Gemeinde diskutiert, kaum über die bevorstehenden Wahlen - und wenn doch, fällt zuerst der Name Sebastian Kurz. An den Stammtischen findet die Mehrheit nur lobende Worte für den neuen ÖVP-Chef, manche feiern ihn wie einen Messias. Die meisten glauben, dass er diese Wahl gewinnen wird, weil selbst jene, die ihn nicht wählen werden, sagen: "Eines muss man ihm lassen: Er macht das gut."

Auch Günter Putz, Bürgermeister in Rohrbach an der Lafnitz, einer industriell geprägten Gemeinde, findet, dass Kurz seine Sache gut macht. Wohlgemerkt: Putz ist Sozialdemokrat, einer der wenigen SPÖ-Bürgermeister in der Region. Seine Partei sieht er in der Krise: "Unsere Themen sind einfach nicht mehr aktuell." Der neue Kanzler Christian Kern habe innerhalb der Partei schon einiges bewegt, Kurz aber, das müsse er eingestehen, sei hier viel präsenter. Für Kern würde in Rohrbach kaum jemand auf die Straße gehen, auch Putz' Parteikollegen nicht. "Die Menschen sind politikverdrossen", sagt er: "Es ist schon schwierig genug, überhaupt Gemeinderäte zu finden."

Rohrbach an der Lafnitz zählt 2650 Einwohner. Im Vergleich zu den umliegenden Gemeinden hält sich die Abwanderung in Grenzen. Aber Putz weiß, dass er das "Service", wie er es selbst nennt, ausbauen muss, damit er die Menschen hier halten kann. Mit Arbeitsplätzen kann er niemanden anlocken. Es gibt zwar ein paar größere Unternehmen in der Umgebung, Jobs für Holzverarbeiter und Elektriker, aber auch in Rohrbach pendeln von den 1500 Berufstätigten 1000 nach Graz und nach Wien. "Die erste Frage, die ich von Baugrundanwärtern gestellt bekomme, ist die: Wie sieht es mit der Kinderbetreuung aus?", sagt Putz: "Darum haben wir ab Herbst eine Kindergrippe und eine Ganztagsschule im Ort."

Während Heinz Damm durch die Hartberger Altstadt spaziert, zeigt er mit den Fingern frustriert auf die Auslagen und wiederholt alle zwei Sekunden: "Leer. Das ist auch leer. Wieder ein leeres Geschäftslokal." Damm ist pensionierter Geschichtelehrer und saß bis 2015 für die Grünen im Hartberger Gemeinderat. Neben diversen Finanzskandalen, die Hartberg in den vergangenen Jahren regelmäßig in die Medien brachte, hat die Stadt ein Problem, mit dem viele Kleinstädte kämpfen. Der Bau eines großen Einkaufzentrums am Stadtrand hat zum Aussterben ihrer Innenstadt geführt. Dutzende Geschäftslokale stehen leer, nicht einmal mehr einen Supermarkt gibt es in der 6600-Einwohner-Stadt. In Hartberg befindet sich auch ein Bundesschulzentrum. Wer in der Region eine höhere Ausbildung mit Maturaabschluss machen will, meldet sich hier an. Aber nach dem Abschluss gebe es auch in Hartberg zu wenige Perspektiven für die Jungen, sagt Damm: "Die machen bei uns die Matura, gehen in die Städte und kommen nicht mehr zurück. Dadurch geht viel Wissen verloren."

Verena Boretzy, 26, zog nach der Matura von Hartberg in die steirische Hauptstadt. "Den meisten, die daheim Arbeit gefunden haben, geht es finanziell sicher besser als mir", sagt Verena Boretzky. Auf dem Land könnte man sich vielfach die Mietkosten ersparen, bekomme vielleicht einen Baugrund von den Eltern oder baue deren Dachboden aus. "Aber wenn du nicht gerade Ärztin, Anwältin oder Lehrerin bist, gibt es bei uns kaum Chancen." Boretzky studierte Anglistik und Kunstgeschichte, zurzeit arbeitet sie im Universalmuseum Joanneum. Nach Hartberg zurückzugehen, komme für sie nicht infrage, betont sie: "Hartberg hat ein Museum, das von Freiwilligen betrieben wird. Dort werde ich keinen Job finden. Ich sehe es als Privileg, dass ich diese Freiheit habe und von mir nicht erwartet wird, dass ich jetzt schon Kinder bekomme."

Boretzky wird wohl erst im Alter zurückkommen. Wenn überhaupt.