Streik der Metaller bei der ISi GmbH in Wien-Floridsdorf
Reportage

Kampfeswille und Ostbahn-Kurti: So lief der erste Metaller-Streiktag

In 200 Betrieben legen die Metaller tageweise ihre Arbeit nieder. profil war bei den streikenden Arbeiterinnen und Arbeiter der ISi GmbH in Wien-Floridsdorf.

Drucken

Schriftgröße

Üblicherweise laufen an einem Dienstag Schlagobersspender und Kartuschen für Sodawasser in der Produktionsanlage der ISi GmbH in Wien-Floridsdorf vom Band. Am Dienstag steht hingegen alles still. Die Arbeiterinnen und Arbeiter am Produktionsstandort sitzen, stehen, rauchen und diskutieren sich durch die erste von drei Tagesschichten. Wie hier in Floridsdorf soll es bis Freitag in 200 Betrieben der Metalltechnischen Industrie in Österreich zu eintägigen Streiks kommen. Es ist der erste Metaller-Streik seit 2011. Weitere könnten folgen. 

„Streikbrecher gibt es hier keine“, sagt Arbeiterbetriebsrat Robert Schörg zu profil, während sich immer mehr Kollegen und zwei Gewerkschaftsmitarbeiter:innen vor der Fabrik versammeln. Denn plötzlich herrscht ein wenig Aufregung vor dem verschlossenen Fabriktor. Ein LKW, der gerne die Ware abholen würde, steht wartend auf der Straße. Denn nur weil die einen die Arbeit für ein paar Stunden niederlegen, heißt das nicht, dass der ewige Kreislauf von An- und Ablieferung völlig stillsteht.

Arbeiterbetriebsrat Robert Schörg

Arbeiterbetriebsrat Robert Schörg: "Streikbrecher gibt es hier keine"

Es ist ein sehr österreichischer Streik: Ein Kollege aus dem Einkauf (die Angestellten im Betrieb sind nicht gewerkschaftlich organisiert und nicht Teil des Streiks) ermöglicht dem Spediteur die Zufahrt zum Betrieb und lotst ihn über die Ausfahrt auf das Firmenareal.

Bisher rennt hier in Floridsdorf alles nach Streikplan: Um 6.20 Uhr war Betriebsversammlung, seit 6.30 Uhr stand die Produktion komplett, erzählen die Pro-Ge-Gewerkschaftsmitarbeiter Tanja Bernhardt und Wolfgang Barylak, die die Streiks vor Ort begleiten. Die Arbeitgeber boten in der sechsten Verhandlungsrunde sechs Prozent Lohnerhöhung und eine Einmalzahlung, die Gewerkschaft fordert 11,6 Prozent, um die Inflation auszugleichen. Es geht für die 150 Arbeiter am Standort (gut zwei Drittel sind bei der Gewerkschaft) darum, so Betriebsrat Schörg, ein Signal zu setzen, gesehen und gehört zu werden. Zehn bis 15 Leiharbeiter:innen sind bei ISi in Floridsdorf beschäftigt (im Vergleich ein geringer Wert, meint die Gewerkschaft). Und das sei auch das Ziel, dass diese Arbeiter nicht als Streikbrecher eingesetzt werden, erzählen die Gewerkschafter.

„Einfach verpufft“

Die Auswirkungen der Teuerung spüre er seit der Corona-Pandemie, erzählt Zoltan Szabo. Wegen der Politik Viktor Orbáns hat der ehemalige Feuerwehrmann mit seiner Frau und den drei Kindern seine Heimat Ungarn verlassen. Er wollte seiner Familie eine sichere Zukunft ermöglichen, erzählt er. Heute mache ihn die explodierenden Kosten Kopfzerbrechen, sagt er, und wenn es nötig ist, streikt er auch die kommenden Wochen weiter. Denn die jährlichen Lohnerhöhungen würden durch die Teuerung „einfach verpuffen“. Er, der seit knapp vier Jahren bei ISi in Wien in der Instandhaltung arbeitet, möchte gar nicht viel mehr verdienen, sagt er nachdenklich. „Ich möchte mir mit meinem Gehalt nur das Gleiche wie vor der Krise leisten können“, den Kredit abbezahlen und die Briketts für die Heizung kaufen.

Arbeiter Zoltan Szabo

Arbeiter Zoltan Szabo: "Ich möchte mir mit meinem Gehalt nur das Gleiche wie vor der Krise leisten können”

Frage in die eingeschworene Arbeiterrunde, die immer näher zusammenrückt und sich gegen den Wind stemmt. Verstehen sie die Argumentation der Arbeitgebervertreter, dass in Zeiten einer drohenden Rezession einfach nicht mehr Lohnerhöhung drin ist? Nein, sagen sie und müssen laut lachen. „Wir verzichten im Alltag ohnehin schon auf das meiste“, sagt einer der Hackler, auf den jährlichen Urlaub oder nur einen Besuch im Gasthaus. Seit dem Ukraine-Krieg („Ein riesengroßer Schas für ganz Europa und die Welt“, ergänzt Arbeiter Szabo) habe sich die Situation nochmal verschlimmert. Außerdem, wirft sein Kollege Marco ein, interessiere es ihn nicht, ob es 2024 womöglich zu einer Rezession kommen könnte. Darüber, meint der Arbeiter, der selbst Betriebsrat und Schriftführer ist, könne man dann auch noch nächstes Jahr verhandeln. Heute gehe es ihnen um das Hier und Jetzt.

Betriebsrat Marco: Schon der Opa war Metaller und setzte sich für die Hackler ein

„Wenn man arbeiten will, hat man die Chance“

Kampfeswillen kennt man hier. Sein Opa, erzählt der junge Betriebsrat, hätte sich als Metaller auch schon für die 38,5-Stundenwochen und eine fünfte Urlaubswoche eingesetzt. Er selbst ist seit 2017 bei ISi in der Instandhaltung und findet es gut, dass neben der Expansion des Unternehmens (unter anderem in die USA und nach China) auch die Standorte in Österreich nicht an Bedeutung verlieren. Denn diese Qualität gebe es nur hier, meint er selbstsicher. Zukunfts- oder Existenzängste plagen den Anfang-30-Jährigen mit dem Vollbart und dem Nasenpiercing derweil nicht; er mache sich mehr Sorgen um seinen Nachwuchs: „Er soll für seine Arbeit einmal einen gerechten Lohn bekommen, egal in welcher Branche er mal unterkommt.“ Der Sohn, der heute ins Gymnasium geht, soll es mal leichter haben als sein Opa und er selbst – „und ich gönn ihm das auch“. Außerdem, meint Marco noch, biete der Jobmarkt heute genug Angebot: „Wenn man arbeiten will, hat man die Chance.“

Schön langsam hat sich der Platz vor dem Firmentor doch noch gefüllt, Gewerkschafts-Fahnen werden geschwenkt, Trillerpfeifen eingesetzt, ein bisschen Klassenkampf liegt in der Luft. Letzte Frage an die Arbeiter, während die zweite Schicht des Tages eintrudelt, sich über den bisherigen Tag informiert und die Gewerkschafter zur zweiten Betriebsversammlung einladen (im Hintergrund kracht der Queen-Gassenhauer „I Want It All“ aus einem Lautsprecher). Würden Einmalzahlungen, wie von Arbeitgeberseite angeboten, helfen, um die aktuelle Teuerung abzufedern. Auf solche Angebote („Wir werden das nicht akzeptieren!“) wollen sich die Arbeiter erst gar nicht einlassen – und Arbeiter Szabo ergänzt: „Das ist wie Honig ums Maul schmieren.“

Ob sich die Arbeitgeber der Metallindustrie von den Streikenden beeindrucken lassen, ist allerdings fraglich: Bereits im Vorfeld der Kollektivvertragsverhandlungen sagte Industrievertreter Christian Knill: „Die Bereitschaft der Betriebe, Streiks zu ertragen, ist so hoch wie noch nie.“

Während die Arbeiterinnen und Arbeiter der zweiten Schicht schon über den Streik abgestimmt haben, erklingt vor dem Fabriktor noch das Springsteen-Cover „Arbeit“ von Ostbahn-Kurti aus dem Streik-Lautsprecher. „Weil in die Arbeit in die Arbeit kummt ma net zu spät“, heißt es im Lied. Und das scheint auch bei den Arbeiterinnen und Arbeiter hier in Wien-Floridsdorf der Fall zu sein – egal ob der Betrieb gerade bestreikt wird, oder die Produktion auf vollen Touren läuft.

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.