„SPÖ und ÖVP sind langweilig und mutlos”

Karel Schwarzenberg: „SPÖ und ÖVP sind langweilig und mutlos”

Interview. Tschechiens Ex-Außenminister Schwarzenberg über SPÖ, ÖVP und das Erbe Jörg Haiders

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Interview: Otmar Lahodynsky

profil: Sie haben erklärt, dass sich Österreich und Tschechien wie ein Spiegelbild ähnlich seien. Trifft das auch auf die politischen Skandale zu?
Schwarzenberg: Ja, und wenn ich mich hier in Kärnten so umsehe, da haben sich die hiesigen Politiker mit jenen in Böhmen ein knappes Rennen geliefert.

profil: In Tschechien gibt es bei den jüngsten Skandalen, die zum Rücktritt der Regierung führten, aber mehr Sex and Crime. Premierminister Petr NeČas stolperte über eine Affäre mit seiner Kabinettschefin samt Verstrickung mit dem Geheimdienst.
Schwarzenberg: Petr NeČas tut mir leid. Haben Sie ein Foto seiner Kabinettschefin gesehen? Er war wie ein Musterschüler, der nicht mitbekam, welche Versuchungen einen hinter der Schule erwarten. Als er als Erwachsener damit konfrontiert wurde, war er hilflos.

profil: Wo ist denn Korruption verbreiteter? In Österreich oder in Tschechien?
Schwarzenberg: In Tschechien, weil da passiert sie unverschämter als hier.

profil: Immerhin kümmert sich die Justiz jetzt doch um das politische Erbe Jörg Haiders und der schwarz-blauen Regierung. Gernot Rumpold wurde gerade zu drei Jahren Haft – nicht rechtskräftig – verurteilt.
Schwarzenberg: Das ist schon viel Schmalz, wie man in Wien sagt. Aber solche Fälle beweisen, dass Österreich nicht im westlichen Lager verankert ist, sondern in Mitteleuropa, zusammen mit den Tschechen, Slowaken, Polen, Ungarn und so weiter. Trotz langjähriger Bemühungen der Habsburger ist es nie gelungen, Schweizer Standards in Österreich einzuführen.

profil: Sie sind gerade in Kärnten auf Kur. Wie erklären Sie sich, dass hier unter Jörg Haider so viele Skandale ihren Anfang nahmen?
Schwarzenberg: Ich zitiere den früheren Bundeskanzler Kurt Schuschnigg: „Kärnten, da gehört ein Zaun herum.“ Weil er selbst von Kärntner Abstammung war, wusste er, wovon er sprach. Er gab sich dann stets als Tiroler aus. Und die Situation bestand ja schon, bevor Jörg Haider aus Oberösterreich in Kärnten eingewandert ist. Hier konnte man lange Jahre nur dann etwas werden, wenn man zuerst bei der NSDAP war, dann der SPÖ beitrat und obendrein noch Freimaurer war. Diese heilige Kombination gab es nur in Kärnten. Dann kam noch der sinnlose Kampf gegen die Kärntner Slowenen, wo sich eine 90-prozentige Mehrheit von der Minderheit gefährdet fühlte. Dazu gesellt sich ein radikaler Antiklerikalismus. Es ist wirklich ein merkwürdiges Land. Vieles hier hat mit der Leugnung der eigenen Identität zu tun.

profil: Die verstaatlichte Hypo Alpe-Adria-Bank wird den österreichischen Steuerzahler noch sehr viel Geld kosten.
Schwarzenberg: Ein Cousin von mir ist hier Bankdirektor. Er sagte mir, dass die wirklich großen Sachen noch gar nicht bekannt sind, weil die Politiker hier keine Ahnung von Bankgeschäften haben. Und alles basiert auf dieser irrwitzigen Popularität von Jörg Haider, der ein überaus intelligenter und begabter Politiker war.

profil: Wie bewerten Sie die Regierung in Österreich vor den Wahlen?
Schwarzenberg: Als ich jung war, hatten christlichsoziale Ideen, aber auch sozialdemokratische, noch viel bedeutet. Ich wette mit Ihnen eine gute Flasche Bordeaux: Wenn Sie heute einen jüngeren ÖVP-Politiker nach Enzykliken wie „Quadragesimo anno“, „Rerum Novarum“ oder nach der christlichen Soziallehre fragen, dann werden Sie auf blankes Erstaunen stoßen. Bei den SPÖ-Politikern passiert das Gleiche, wenn Sie nach Viktor Adler oder Otto Bauer fragen. Wir leben wie in Byzanz vor 1000 Jahren, wo es auch zwei Parteien gab, die Grünen und die Blauen, benannt nach den Klubs der Pferdewagenrennen. Von den Inhalten her sind Parteien wie SPÖ oder ÖVP austauschbar geworden. Beide sind langweilig und mutlos.

profil: Die SPÖ will eine Millionärssteuer einführen, die ÖVP Steuern senken.
Schwarzenberg: Das wird die Leute nicht hinter dem Ofen hervorlocken. Aber es ist ein gesamteuropäisches Problem geworden, dass niemand mehr die Courage besitzt, den Menschen die Wahrheit zu sagen, auch wenn dies mit Opfern verbunden ist. In Deutschland hat Kanzlerin Angela Merkel sozialdemokratische Ideen übernommen. Die CDU ist heute die wirkliche sozialdemokratische Partei.

profil: Sie standen ja lange der ÖVP nahe. Was raten Sie ÖVP-Chef Spindelegger?
Schwarzenberg: Das Wichtigste ist Zivilcourage: nicht krampfhaft darauf schauen, was mich in der „Kronen Zeitung“ noch mehr in Ungunst gegenüber Faymann bringen kann. Solange man, pardon, in die Hosen macht vor der Boulevardpresse, kann man die Politik gleich aufgeben.

profil: Sie treffen Spindelegger regelmäßig bei EU-Tagungen. Wie tritt er da auf?
Schwarzenberg: Äußerst zurückhaltend. Und er ließ sich im Gegensatz zu mir sehr oft vertreten, zunächst von Staatssekretär Winkler, jetzt von Lopatka. Ich glaube, dass Spindelegger an Außen- und Europapolitik nicht wirklich interessiert ist.

profil: Kann ein kleineres Land in der EU überhaupt noch etwas ausrichten?
Schwarzenberg: Da sage ich im Gegensatz zu Franz Vranitzky: Zur Politik gehören Visionen. Wenn jemand wie weiland Bruno Kreisky eine Vorstellung davon hat, was Österreich sein soll, dann kann man dieses Land durchaus mobilisieren. Wenn man das nicht hat und dazu noch der Horizont äußerst lokal ist, dann geht das nicht. Mit Schrecken habe ich erfahren, dass immer mehr junge, gut ausgebildete Leute aus Österreich abwandern, weil sie hier kaum Chancen sehen.

profil: Wo hat Österreich den größten Reformbedarf?
Schwarzenberg: Vor allem die Bildungsreform müsste endlich durchgezogen werden. Schmerzhafte Anpassungen wird es auch bei den Pensionen geben müssen, weil wir ja alle älter werden und viele über 70 wie ich durchaus noch arbeitsfähig sind. Dann sollte man in der Außenpolitik, in der Sicherheitspolitik und Europapolitik bestimmen, was man eigentlich will. Schon darüber ernsthaft nachzudenken, wäre äußerst nützlich.

profil: In der Sicherheitspolitik ist Österreich zuletzt mit dem Abzug der UN-Truppen vom Golan international aufgefallen.
Schwarzenberg: Österreich ist überall dort einsatzbereit, wo sich die Soldaten gefahrlos aufhalten können. Da musste ich mich als Nachbar schon sehr genieren. EU-Kollegen kamen und fragten mich, warum die Österreicher gleich vor dem ersten Schuss davonlaufen.

profil: Wer fragte?
Schwarzenberg: Das werde ich nie verraten, aber es war auch für mich peinlich. Ich musste erklären, dass die Österreicher aus innenpolitischen Gründen abziehen.

profil: Sie wurden mit Unterstützung der tschechischen Grünen Außenminister. Was halten Sie von den österreichischen Grünen?
Schwarzenberg: In Österreich sind die Grünen zu meiner Freude noch immer aktiv und sitzen auch in Landesregierungen. Aber ich will nicht näher beurteilen, ob die rot-grüne Koalition in Wien erfolgreich ist oder Michael Häupl Frau Vassilakou zum Frühstück vernascht. In Tschechien gibt es einige gute Leute unter den Grünen. Wegen der ewigen Streitereien unter den Grünen habe ich aber meine eigene Partei, Top 09, gegründet.

profil: Was sagen Sie zu Frank Stronach?
Schwarzenberg: Warum sollte er als gebürtiger Steirer aus Weiz keine Rolle in der österreichischen Politik spielen? Aber er hat die Illusion, dass man mit Geld alles erreichen kann. Dies ist nicht der Fall. Ich halte von diesen neuen Parteigründungen wenig. An der Spitze sollte jemand stehen, der selbst Politiker ist. Und man muss ein Programm haben. Aber angesichts der Politikverdrossenheit und der Langeweile, die etablierte Parteien ausstrahlen, können solche Parteien durchaus Achtungserfolge erringen. In Prag hat kürzlich der Milliardär Andrej Babiš eine Partei gegründet. Doch im Gegensatz zu Stronach konnte er einige Prominente anwerben.

profil: Und die FPÖ?
Schwarzenberg: Unter H. C. Strache ist auch die FPÖ langweilig geworden. Haider hat wenigstens für Abwechslung mit einer ganz gut aufgeführten Show gesorgt. Aber jetzt zum x-ten Mal gegen Ausländer zu hetzen, ist nicht mehr attraktiv.

profil: Mit welchen Themen werden denn Sie in den Wahlkampf ziehen?
Schwarzenberg: Im Mittelpunkt wird die Auseinandersetzung mit Staatspräsident Zeman und seinem Versuch, die Verfassung zu missbrauchen, stehen. Ich wollte ursprünglich einen Europawahlkampf starten, aber jetzt geht es um die Verteidigung der parlamentarischen Demokratie. Es geht schlicht um die Republik. Aber wie komme ausgerechnet ich dazu, die republikanische Ordnung zu schützen?

Karel Schwarzenberg, 75,
war bis zum Rücktritt der rechtsliberalen Regierungskoalition von Premier Petr Nečas im Juni 2013 Außenminister der Tschechischen Republik. Sollten diese Woche Neuwahlen beschlossen werden, will der Fürst mit seiner rechtsliberalen Partei Top 09 den autoritären Amtsstil von Tschechiens Staatspräsident Miloš Zeman, dem er bei den Wahlen im Jänner 2013 unterlag, angreifen.

Foto: Sebastian Reich für profil