„Stellt euch vor, es gibt Europa, und keiner geht hin”

Karel Schwarzenberg: „Stellt euch vor, es gibt Europa, und keiner geht hin”

Interview. Karel Schwarzenberg über diplo­matische ­Fettnäpfchen und Sebastian Kurz

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Interview: Franziska Dzugan, Otmar Lahodynsky

profil: Sie haben Vizekanzler Spindelegger einmal wegen seines Desinteresses an EU- und Außenpolitik kritisiert. Ist es wirklich so dramatisch, dass er jetzt die Verhandlungen zur Bankenunion in Brüssel geschwänzt hat?
Karel Schwarzenberg: An sich ist es nicht unvernünftig, wenn man bei Spezialfragen Experten entsendet. Es ist aber verwunderlich, dass nicht wenigstens einer der beiden neuen Staatssekretäre hingefahren ist. Vielleicht sind sie nicht sattelfest und nur aus parteipolitischen Gründen ernannt worden? Spindelegger ließ sich als Außenminister bei Ministerräten in Brüssel oft entschuldigen. Wenn die Priorität auf innenpolitischen Aufgaben liegt, sollte man eben nicht Außenminister werden. Das alles erinnert mich ein bisschen an das Motto: Stellt euch vor, es gibt Europa, und keiner geht hin.

profil:
Die österreichische Regierung fehlte auch bei den Trauerfeierlichkeiten zu Mandelas Tod in Südafrika. Woher kommt diese Reise-Unlust?
Schwarzenberg: Ich verstehe, dass man während der Regierungsverhandlungen im Land bleiben muss. Aber es hätten ja andere Spitzen des Staates wie der Bundespräsident, die Präsidentin des Nationalrats oder der Vorsitzende des Bundesrates hinfahren können. Dass Letzterer nicht rechtzeitig bei den Feierlichkeiten erschien, ist wirklich traurig.

profil: Wie finden Sie Sebastian Kurz als Außenminister?
Schwarzenberg: Ich halte ihn für einen begabten Mann. Sein einziger Fehler, seine Jugend, wird mit jedem Tag kleiner. Es besteht natürlich die Gefahr, dass man ihn verheizt. Ich wünsche Kurz viel Glück, er sollte nur aufpassen, dass man ihm als jungem Chef im Ministerium kein Bein stellt. Im Kreis der EU-Außenminister werden ihm die Kollegen sicher helfen, Österreich hat dort keine ausgesprochenen Feinde.

profil: Sie haben die Koalition aus SPÖ und ÖVP vor der Wahl als langweilig und mutlos bezeichnet. Hat sich daran seit der Regierungsbildung etwas geändert?
Schwarzenberg: Wenig. Erschreckend ist, dass die wichtigen Reformen nicht angegangen werden. Dafür ist die Aufgabe des Wissenschaftsministeriums geradezu symbolisch. Insgesamt zeigt sich eine furchtbare Personalnot in den politischen Parteien.

profil: Wird die FPÖ davon profitieren?
Schwarzenberg: Mit Stillstand werden immer die Extreme gefördert, denn Stillstand geht den Leuten auf den Wecker. Manchmal hat man den Eindruck, dass es in der Regierung eine geheime Fördergesellschaft gibt, um Strache auf den ersten Platz zu helfen.

profil: Wären Sie noch Außenminister, würden Sie nach Sotschi fahren?
Schwarzenberg: Ich bin so unsportlich, dass ich dort keinen guten Eindruck hinterlassen würde. Putins Amnestie für politische Gegner muss man jedenfalls mit Vorsicht genießen. Bei vielen wäre die Haft sowieso in ein paar Monaten abgelaufen.