Nach Kickl-Aussagen: "Wiederkehr vor- und unrechtsstaatlicher Verhältnisse"

profil hat mit Verfassungsjuristen Bernd-Christian Funk über die Causa gesprochen.

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profil: "Das Recht hat der Politik zu folgen und nicht die Politik dem Recht." Wie ist diese Aussage von Innenminister Herbert Kickl verfassungsrechtlich einzuschätzen? Bernd-Christian Funk: Das Statement verkennt die Ziele und die Arbeitsweise unseres Rechtssystems, im Besonderen des Verfassungsrechts. Verfassungsrechtliche Garantien sind höchstrangige Normen. Sie sollen die Wirksamkeit des Rechtsstaates sicherstellen und gewährleisten, dass sich Politik im Rahmen des Rechts entwickelt und nicht umgekehrt. Die von Kickl ausgegebene Parole würde – zu Ende gedacht – zur Wiederkehr vor- und unrechtsstaatlicher Verhältnisse führen.

profil: Wie weit darf ein Bundesminister gehen, wenn es um verfassungskritische Aussagen geht? Funk: Die Bundesregierung wurde bei ihrem Amtsantritt auf die Einhaltung der Verfassung und der Gesetze angelobt. Das schließt nicht aus, dass Mitglieder der Bundesregierung Kritik an bestehenden verfassungs- und einfachgesetzlichen üben und Änderungen propagieren – dies aber stets unter dem Vorbehalt einer verfassungs- und gesetzeskonformen Vorgehensweise. Problematisch wird es dort, wo eine Durchsetzung politischer Ziele nötigenfalls auch unter Missachtung rechtlicher Bindungen angedacht oder gar in Aussicht gestellt wird.

profil: Könnte etwa Bundespräsident Van der Bellen aktiv werden, wenn der Eindruck besteht, dass ein Bundesminister Auffassungen vertritt, die mit der österreichischen Verfassung nicht vereinbar sind? Wie ist in diesem Bereich die Rechtslage? Funk: Dem Bundespräsidenten obliegt es, die Einhaltung der Regeln des Rechts dort einzumahnen, wo sich Fehlentwicklungen abzeichnen. Breitseiten gegen die Verfassung und gegen grundrechtliche Bindungen darf und wird er entgegentreten, zumal auch er auf die Einhaltung der Verfassung und der Gesetze angelobt wurde. Ein Schweigen des Bundespräsidenten würde Bedrohungen der Verfassung Vorschub leisten. Im äußersten Fall gibt ihm die Verfassung die Möglichkeit, den Bundeskanzler oder die gesamte Bundesregierung aus eigenem Entschluss zu entlassen.

Davon, dass es sich hier um antiquierte Regelwerke und Rechtseinrichtungen handelt, kann keine Rede sein – es sei denn, man hätte die Absicht einer Demontage der Fundamente von Demokratie und Rechtsstaat.

profil: Sind die Menschenrechte und die Verfassung heute anders auszulegen als zu ihrer Entstehungszeit? Funk: Die Menschenrechte und die Verfassung waren und sind seit jeher in einer Entwicklungsdynamik in Reaktion auf und zur Anpassung an gesellschaftliche und politische Verhältnisse begriffen. Diese Dynamik wird vor allem durch die Auslegungspraxis der zuständigen Gerichte getragen. Aber auch legislative Änderungen spielen in diesem Bereich immer wieder eine Rolle. Davon, dass es sich hier um antiquierte Regelwerke und Rechtseinrichtungen handelt, kann keine Rede sein – es sei denn, man hätte die Absicht einer Demontage der Fundamente von Demokratie und Rechtsstaat. Konsequenterweise müsste man dann aber auch das Legalitätsprinzip, die geltenden Grundrechtsdokumente, die Instrumente des Rechtsschutzes und der Kontrolle, die Ministerverantwortlichkeit und die Zugehörigkeit Österreichs zur Familie der demokratischen Verfassungsstaaten über Bord werfen.

profil: Braucht es mehr rechtlichen Spielraum, was Aspekte der Migration angeht? Funk: Ich sehe eine solche Notwendigkeit nicht. Jedenfalls finden bestehende oder auch künftig zu schaffende Spielräume ihre Grenzen an jenen grundrechtlichen Garantien, die nicht zur Disposition legislativer oder interpretativer Veränderungen stehen. Dazu gehören vor allem die Gewährleistung des Schutzes des Lebens, des Schutzes vor Folter, vor unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, vor rechtswidrigem Freiheitsentzug und der Garantie der elementaren Verfahrensgarantien. All das gilt prinzipiell auch im Zusammenhang von Migration.