„Österreich ist beispielhaft“

Kunstrestitution und Münchner „Kunstfund”: „Österreich ist beispielhaft“

Interview. Washingtons Botschafter für Holocaust-Fragen zollt Österreichs Kunstrestitution Anerkennung

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Interview: Marianne Enigl

profil: Sie sind zur Feier von 15 Jahren „Österreichisches Kunstrückgabegesetz“ nach Wien gekommen. Österreich hat inzwischen rund 50.000 Kunstwerke und Objekte zurückgegeben, wie beurteilen Sie das als Sonderbotschafter des US-Außenministeriums für Holocaust-Angelegenheiten?
Douglas Davidson: Das ist ein sehr gutes Ergebnis. Davor hatte Österreich ja eine sehr unglückliche Publicity, die Beschlagnahme von Schieles „Wally“ 1997 in New York und der Kampf von Maria Altmann um fünf Klimts waren zwei der wahrscheinlich wichtigsten Kunstrückgabefälle, in welche die USA je involviert waren.

profil: Würden Sie von einem neuen Image sprechen, nach der langen Zeit der berechtigten Kritik an Österreich im Umgang mit seiner NS-Geschichte?
Davidson: In vieler Hinsicht ist Österreich tatsächlich zum Vorbild geworden. Was Österreich mit dem Kunstrückgabegesetz, dem Nationalfonds und dem Entschädigungsfonds für NS-Opfer geleistet hat, ist beispielhaft. Viele sagen, es geschah spät, aber für mich zählt, dass es gemacht worden ist.

profil: Bisher war in vielen dieser Bereiche Deutschland das gute Beispiel. Jetzt scheinen die Rollen vertauscht. Österreich durchleuchtet öffentliche Sammlungen systematisch nach NS-Raubkunst und hat als einziges Land weltweit ein Kunstrückgabegesetz, während deutsche Zeitungen ihrem Land nach dem Fund des Münchner „Nazi-Kunstschatzes“ vorwerfen, sein Umgang mit NS-Raubkunst sei „an Scheinheiligkeit nicht zu übertreffen“. Wie ist die Position der US-Regierung dazu?
Davidson: Es ist sehr viel Falsches
darüber berichtet worden, was die USA da bereits alles unternommen hätten. Das „Wall Street Journal“ hat sogar geschrieben, amerikanische Offizielle würden zur Staatsanwaltschaft nach Augsburg kommen, das stimmt natürlich nicht. Wir haben den Deutschen bisher nur eines gesagt: Es ist wichtig, dass die Liste der Werke veröffentlicht wird.

profil: Waren Sie überrascht davon, dass die deutschen Behörden den Fund mehr als eineinhalb Jahre geheim gehalten haben?
Davidson: Jeder war davon überrascht. Das ist ja einer der Gründe dafür, dass Deutschland derzeit so heftig kritisiert wird.

profil: Die Beziehungen zwischen den USA und Deutschland sind aufgrund des NSA-Abhörskandals nicht die besten. Wirkt sich das auf amerikanische Forderungen an Deutschland in Sachen NS-Raubkunst aus?
Davidson: Ich habe mit dem NSA-Fall nichts zu tun und bin dankbar dafür. Diese Fragen überlasse ich meinen Kollegen. Ich fliege jetzt von Wien weiter nach Berlin zu einer Fact-Finding-Mission, denn dieser Kunstfund ist ein komplizierter und potenziell höchst strittiger Fall. Wir drängen auf Transparenz. In Details kann ich noch nicht gehen, da ich das deutsche Recht in diesem Fall noch nicht verstehe.

profil: Es geht um 1400 Kunstwerke, die bei Cornelius Gurlitt, dem Sohn eines der wichtigsten Kunsthändler während des NS-Regimes, gefunden worden sind. Knapp 600 der Werke könnten NS-Raubkunst sein.
Davidson: Alles, was ich dazu lese, bringt eine andere Erklärung. Eines halte ich aber fest: Deutschland hat, wie auch Österreich und die USA, die Washingtoner Prinzipien unterschrieben. Sie verpflichten dazu, NS-Raubkunst zu identifizieren, öffentlich zu machen und an die rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben. Diese Prinzipien sind zwar nicht rechtlich, aber moralisch bindend. Deutschland soll hier eine gerechte und faire Lösung schaffen. Aus der Sicht der USA heißt das: Wenn Kunst von den Nazis geraubt worden ist, gibt es Wege, sie an die rechtmäßigen Eigentümer oder ihre Erben zurückzugeben. Und das sollte getan werden.

profil: US-Behörden haben viele der jetzt bei Cornelius Gurlitt gefundenen Werke schon 1945 bei seinem Vater Hildebrand Gurlitt beschlagnahmt – und sie ihm 1950 zurückgegeben. Untersuchen Sie, wie es zu dieser Rückgabe gekommen ist?
Davidson: Mein Büro schaut sich das jetzt an.

profil: Hildebrand Gurlitt war im NS-Regime einer der größten Kunsthändler. Wie sind die US-Behörden 1945 überhaupt auf ihn gestoßen?
Davidson: Hildebrand Gurlitts Fall wurde im Zuge von Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen behandelt. Laut Berichten fanden ihn Monuments Men von der Sondereinheit zur Kunstsicherung im Mai 1945 in einem Schloss und beschlagnahmten seinen Kunstbestand. Fünf Jahre später hat Gurlitt den US-Offizier Theodor Heinrich jedoch überzeugt – ob zu Recht oder zu Unrecht –, ihm die Bilder auszufolgen. Solange nicht die ganze Liste der bei seinem Sohn gefundenen Werke publiziert ist, wissen aber selbst wir nicht, was davon wir 1950 zurückgegeben haben.

profil: Was haben die USA selbst getan, um die Washingtoner Prinzipien zu erfüllen?
Davidson: Wir haben viel unternommen. Aber das, was Österreich mit seiner Forschung nach NS-Raubkunst in allen öffentlichen Museen und mit dem Kunstrückgabebeirat geschaffen hat, haben wir nicht. Die meisten der mehr als 17.000 Museen in den USA sind privat, daher fallen sie nicht unter öffentliche Kontrolle.

profil: Es ist bekannt, dass auch viele amerikanische Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg „Erinnerungsstücke“ mitgenommen haben. Möglicherweise wird der nächste „Nazi-Kunstschatz“ bei einem ehemaligen GI in den USA gefunden werden?
Davidson: Derartiges hat auch der Autor des Buchs „Monuments Men“ prophezeit. Einiges ist auch schon aufgetaucht und wurde zurückgegeben. Denn in den USA gilt anders als in Europa das Prinzip: Gestohlenes bleibt immer gestohlenes Gut.

profil: Die bei Cornelius Gurlitt gefundenen Kunstwerke sind Privatbestand, einen Teil davon soll er jetzt zurückbekommen. Sollten die Washingtoner Prinzipien auch auf privaten Kunstbesitz anwendbar sein?
Davidson: Stuart Eizenstat, der Verfasser der Prinzipien von Washington, sagt, sie gelten auch für Kunst in Privatbesitz. Das ist offensichtlich leichter gesagt als getan, denn Privatsammlung ist privat. Meiner Ansicht nach gilt aber auch hier: Gestohlenes sollte an seine rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben werden.

Foto: Sebastian Reich für profil