Kurz und die Seenotrettung: Einmal Sophia und zurück

Bundeskanzler Sebastian Kurz stellt sich gegen eine Wiederaufnahme der EU-Mittelmeermission aus dem Jahr 2015. Dabei hatte er sie noch als Außenminister selbst mitbeschlossen, weil er in der Seerettung von Migranten damals eine „Pflicht und Notwendigkeit“ sah.

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Wer Sebastian Kurz in der vergangenen Woche zuhörte, konnte keine Zweifel haben: Für den österreichischen Bundeskanzler ist die EU-Mission Sophia ein großes Übel. Wenn europäische Schiffe im Mittelmeer patrouillierten, würden sie in Seenot geratenen Migranten das Leben retten – was laut Kurz falsche Signale senden würde.

„Im Grunde war Sophia immer vor allem eine Rettungsmission, die für Tausende illegale Migranten zum Ticket nach Europa wurde“, sagte Kurz vergangene Woche in einem Interview mit der deutschen Zeitung „Welt am Sonntag“: „Österreich lehnt das strikt ab.“

„Pflicht und Notwendigkeit“

Das war nicht immer so. Ins Leben gerufen wurde die EU-Mission im Jahr 2015, einer der Befürworter war Sebastian Kurz, damals noch Außenminister. In der Parlamentskorrespondenz vom 22. April 2015 wurde zum Thema der Seerettung notiert: „Zur Flüchtlingsfrage hält Kurz fest, es gäbe die Pflicht und Notwendigkeit zur Rettung von Flüchtlingen. Eine Aufstockung der Rettungskapazitäten werde daher von allen Außenministern der EU klar unterstützt.“

Wenige Tage später bekräftigte Kurz im Bundesrat seine Unterstützung für Sophia; dazu vermerkten die Dokumentare am 7. Mai 2015: „Außenminister Sebastian Kurz bekannte sich klar zur Rettung von Menschenleben als prioritäre Maßnahme, die von der Europäischen Union ergriffen werden müsse. (…) Die EU dürfe das massenhafte Sterben unschuldiger Menschen nicht länger hinnehmen. Neben einer ausgeweiteten Seerettung bedürfe es aber auch eines energischen Vorgehens gegen verbrecherische Schleppernetzwerke, die an den Flüchtlingstransporten auf seeuntauglichen Booten gut verdienen.“

Geänderte Position

Die Grundidee von Sophia lag darin, die Situation im Mittelmeer zwischen den libyschen, tunesischen und italienischen Hoheitsgebieten besser zu überwachen und Schlepperkriminalität zu bekämpfen. Dabei sollten Schiffe und Boote zerstört werden, um die Überfahrten einzudämmen. Dieser militärische Ansatz sorgte vor allem bei NGOs für Aufregung. Anlässlich eines Gesprächs in Brüssel stellte sich Kurz diesem Vorwurf und verteidigte die EU-Mission – ausgerechnet mit dem Hinweis, dass sie auch dazu diene, Migranten aus dem Meer zu retten. „Zur Kritik der Nicht-Regierungsorganisationen an dem geplanten EU-Militäreinsatz im Mittelmeer sagt der Außenminister, die verstärkte Beobachtung diene auch der Rettung von Flüchtlingen“, berichtete die Austria Presse Agentur am 18. Mai 2015.

Es ist nicht das einzige Mal, dass Sebastian Kurz in der komplizierten Migrationsfrage seine Position änderte: Im Jahr 2015 sprach er sich noch dafür aus, dass Flüchtlinge aufgenommen und innerhalb der EU umverteilt werden. Er befürwortete die Umsiedlungsprogramme der UN und fand es nachahmenswert, dass der damalige britische Premier David Cameron rund 20.000 Waisenkinder aus Krisengebieten aufnehmen wollte.

„Dazu sind wird nicht bereit“

Die Umverteilung per Quote lehnt Kurz heute strikt ab, aus dem UN-Umsiedlungsprogramm stieg Österreich vor zwei Jahren aus. Als die deutsche „Bild“ ihn zu Jahresbeginn in einem Interview fragte, ob er sich vorstellen könne, im Sinne einer humanitären Geste zumindest ein paar jener Kinder nach Österreich zu holen, die in katastrophalen Umständen in Migrantenlagern auf mehreren griechischen Inseln leben, antwortete er: „Nein, dazu sind wird nicht bereit.“

Der Wendepunkt in Bezug auf die EU-Mission Sophia lag wohl im Wahljahr 2017; damals flog Kurz auf die Mittelmeerinseln Sizilien und Malta. Dort beschuldigte er private Seenotretter, die Migrationskrise anzuheizen. Sein Satz „Der NGO-Wahnsinn muss beendet werden“ wurde später zu einem Slogan von rechtsextremen Gruppen. Weniger beachtet wurde eine andere Aussage, die Kurz bei dieser Reise tätigte: „Die EU betreibt ein Schlepperförderprogramm“, sagte er am 24. März 2017 über die staatlichen Rettungen, die sowohl die EU-Grenzschutzagentur Frontex wie auch Sophia vornehmen.

Die staatlichen Retter können nicht anders

Was Kurz nicht erwähnte: Die staatlichen Retter können nicht anders. Retten sie nicht, machen sie sich strafbar. Bringen sie die Geretteten, wie von Kurz verlangt, in eines der nordafrikanischen Länder, verstößt das ebenfalls gegen europäisches Recht, da in Ländern wie Tunesien, Ägypten oder Libyen die Menschenrechtssituation nicht europäischen Standards genügt. Abgesehen davon hat sich bis heute kein nordafrikanisches Land bereit erklärt, die europäischen Retter anlaufen zu lassen und die Migranten aufzunehmen.

Seit April 2019 ist Sophia ausgesetzt. Neben Österreich vertritt auch Italien die Position, die EU-Mission nicht wiederaufzunehmen. Andere EU-Mitgliedsstaaten wie zum Beispiel Deutschland sprechen sich hingegen dafür aus, die Seerettung staatlich zu organisieren, statt sie privaten oder kommerziellen Schiffen zu überlassen, die sich in der Nähe der libyschen Gewässer aufhalten und zur Rettung verpflichtet sind.

Trotz des Endes der Sophia-Mission kamen im vergangenen Jahr 11.471 Menschen über das Mittelmeer nach Italien. Mindestens 1244 wurden im selben Zeitraum laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk für vermisst oder tot erklärt. Wie hoch die Dunkelziffer der Toten ist, kann niemand sagen.