Maria hat geholfen

Mahü: Ein Sieg von Rot-Grün mit kleinen Schönheitsfehlern

Mariahilfer Straße. Die Anrainer haben eine Entscheidung getroffen - aber der Streit wird weitergehen

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Bis zuletzt wurde maximaler Aufwand getrieben. Fast vier Dutzend Wiener Magistratsbedienstete mussten am Freitag vergangener Woche Überstunden machen. Ab elf Uhr vormittags saßen sie im großen Sitzungssaal des Amtshauses in Neubau, öffneten Kuverts, prüften die Echtheit des Inhalts mit UV-Lampen, legten Zettel auf diverse Stapel und gaben Resultate zu Protokoll. Überwacht wurden sie von zwei Notaren und nicht weniger als 32 Beobachtern aus den Bezirksparteien. Gegen 14 Uhr gab es die ersten Gerüchte, um 19.30 Uhr schließlich das Ergebnis: 53,2 Prozent der Bürger im sechsten und siebten Wiener Gemeindebezirk stimmten für die Fußgängerzone auf der Mariahilfer Straße. Die Mehrheit der Befürworter wünscht sich allerdings mehr Querungen für den Autoverkehr. Radfahren soll erlaubt bleiben.

Maria Vassilakou, grüne Verkehrsstadträtin und Vizebürgermeisterin, war begeistert: „Das ist wie Weihnachten und Ostern zusammen“, jubelte sie. „Danke Mariahilf, danke Neubau! Das ist eine unglaubliche Reife, die hier an den Tag gelegt wurde.“
Die Freude ist verständlich. Nach den Querelen der vergangenen Monate hatten viele Experten einen negativen Ausgang prognostiziert. Doch vom Überraschungseffekt einmal abgesehen, sind die 53 Prozent Ja-Stimmen nicht berauschend. Die Verkehrsberuhigung der Mahü gilt als Prestigeprojekt der rot-grünen Stadtregierung. Vor allem die Grünen hatten für ihre „FußgängerInnenzone“ gekämpft, als ginge es um den Fortbestand der Menschheit. Bei der Gemeinderatswahl 2010 erreichten die beiden Parteien in Neubau und Mariahilf gemeinsam eine Zweidrittelmehrheit – und ein Fünftel dieser Fans versagte jetzt die Gefolgschaft. Der geringe Abstand zwischen Befürwortern und Gegnern stellt aber jedenfalls sicher, dass weiter gestritten wird. Die Umbauarbeiten auf der Einkaufsstraße dürften mindestens eineinhalb Jahre dauern; das ist Zeit genug, um jeden neuen Pflasterstein ausführlich zu bemurmeln.

Für die rot-grüne Koalition im Rathaus brachte das positive Votum erst einmal eine Verschnaufpause. Doch die in den vergangenen Monaten gesammelten Erfahrungen waren für beide Parteien ernüchternd: Die SPÖ weiß jetzt, dass sie die Grünen nicht unbeobachtet werkeln lassen darf. Ein Chaos wie um die Mariahilfer Straße könnte sich sonst wiederholen. Die Grünen wiederum haben erlebt, dass sie vom Koalitionspartner keine Solidarität erwarten dürfen. Die SPÖ hatte sich in den letzten Wochen dezent, aber merkbar aus dem Staub gemacht. Außer ein paar unauffälligen Plakaten kam von der größten Stadtpartei kaum noch Zweckdienliches. „Ich werde auch nicht vor dem Suizid stehen, wenn es negativ ausgeht“, erklärte Bürgermeister Michael Häupl vor ein paar Wochen auf seine charmante Art. Sogar Vassilakous Parteifreunde im Parlament wollten am leidigen Thema tunlichst nicht anstreifen. Grünen-Chefin Eva Glawischnig etwa mied die Mahü nach Kräften. Als die „Tiroler Tageszeitung“ sie jüngst fragte, ob bei einem Nein zur Umgestaltung die rot-grüne Rathauskoalition in Gefahr sei, erklärte sie: „Solange das neue Wahlrecht in Wien nicht beschlossen ist, wird die SPÖ keinen Koalitionsbruch riskieren.“ Ein noch bürokratischeres Argument für den Weiterbestand des Status quo ist Glawischnig auf die Schnelle wohl nicht eingefallen. Immerhin gratulierte sie nach geschlagener Schlacht am Freitag abend sehr herzlich.

Es wird häufig kritisiert, dass moderne Politik mit zu wenig Leidenschaft gemacht werde. Aber zu viel Leidenschaft, das zeigt die Mariahilfer Straße trotz Happy End, ist auch keine Lösung. In manchen Phasen des Konflikts agierten die Grünen kaum professioneller als ihre politischen Urahnen einst in der Hainburger Au. So etwas wie einen Plan gab es nicht, der gute Wille musste reichen. „Ich bin mir heuer selbst auf die Nerven gegangen“, gestand Maria Vassilakou Ende vergangenen Jahres in einem Zeitungsinterview. Ihr Publikum verstand das nur zu gut.
Vom Wunsch beseelt, neben dem übermächtigen Koalitionspartner wenigstens ein paar bleibende Spuren zu hinterlassen, hatte die neue Mahü für die Grünen von Anfang an eine überdimensionale Bedeutung. Österreichs größte Einkaufsstraße schien wie gemacht, um ein ­Exempel für moderne Verkehrspolitik zu statuieren: Das Projekt war aufsehenerregend genug, um auch im Rest Österreichs Beachtung zu finden. In den betroffenen Bezirken sechs und sieben wohnen besonders viele Grün-Wähler; Verkehrsberuhigung ist hier ein positiv besetzter Begriff. Und selbst Autofreaks mussten zugeben, dass die ewig verstaute Mariahilfer Straße kein schöner Anblick war. Es konnte also eigentlich nichts schiefgehen.

Es ging dann aber einiges schief.

Die zahlreichen Schilder und Straßenmarkierungen wirken wie die Abschlussarbeit einer Sommerakademie auf Zakynthos: sehr kreativ und mit Liebe gemacht, aber sinnlos. Im August begann der Testlauf – und bis heute wissen viele Wiener nicht, wer wo mit welchem Verkehrsmittel wie schnell oder gar nicht fahren darf. Besucher von auswärts haben keine Chance. Beim profil-Lokalaugenschein am Mittwoch nachmittag der Vorwoche bretterte ein italienischer Reisebus flott durch das Fahrverbot. Der Chauffeur vertraute offenbar seinem Navigationssystem. Passiert ist dabei zum Glück nichts. Die allermeisten Passanten bleiben nämlich, Fuzo hin oder her, auf den Gehsteigen. Nur wirklich Mutige wagen sich auf die Straßenmitte.

Der Busverkehr ist generell ein Reizthema in der Mahü. Eigentlich hätte klar sein müssen, dass es schwierig werden könnte, die im Fünfminutentakt verkehrende Linie 13a friktionsfrei durch eine Fußgängerzone zu führen. Doch Vassilakou wollte die Existenz eines Problems erst zur Kenntnis nehmen, als die Busfahrer mit Streik drohten. Nun fährt der Bus einen erheblichen Umweg durch zwei schmale Seitengassen (deren Bewohner seit Monaten wacker protestieren) und zuckelt dann im Schritttempo durch die Begegnungszone retour. Der 13a ist eine der wichtigsten innerstädtischen Busverbindungen. Seit er Extraschleifen drehen muss, wirkt er wie eine Parodie auf den öffentlichen Verkehr.

Wie Radfahrer und Fußgänger in Zukunft miteinander auskommen sollen, ist nach wie vor ungeklärt. Zwischen Zweirad- und Zweibeinbenützern kracht es in Wien selbst dann oft genug, wenn sie auf streng voneinander getrennten Routen unterwegs sind. Eine gemeinsame, noch dazu streckenweise abschüssige Verkehrsfläche wie auf der Mahü wird die Verbrüderung kaum vorantreiben. Dass die Radfahrer nun bleiben dürfen, ist wahrscheinlich die größte Überraschung des Abstimmungstags. Zu erklären ist dieses Ergebnis (53 Prozent) aber hauptsächlich mit dem gefinkelten Design der Bürgerumfrage: Über die Radfahrer abstimmen durfte nur, wer Ja zur Fußgängerzone sagte. Summa summarum ist also etwas mehr als die Hälfte von etwas mehr als der Hälfte der Bürger für die Radler.

Direkte Demokratie ist eben was für Feinspitze.

So erfreulich die hohe Beteiligung von mehr als zwei Dritteln der Bürger war: Ein Modell für die künftige Stadtpolitik sind solche Abstimmungen nicht. Allein der betriebene Aufwand ist nicht beliebig oft wiederholbar. Die Wiener Grünen haben nach eigenen Angaben in den letzten Wochen 30.000 Haushalte besucht. Nebenbei gab es noch ein „BürgerInnenbüro“, und Stadträtin Vassilakou absolvierte eine Sprechstundentournee durch die Kaffeehäuser der Gegend, um den Menschen zu erklären, warum sie mit Ja stimmen sollen. Inklusive einer Plakat- und Inseratenkampagne investierte die Partei 250.000 Euro für Überzeugungsarbeit – so viel wie noch nie außerhalb eines Wahlkampfs. Den deutlich größeren Brocken schulterte die Stadt: Abwicklung und Information kosteten insgesamt fast 1,4 Millionen Euro. Dass EU-Bürger ohne österreichischen Pass mitstimmen durften, die Unternehmer in den zwei betroffenen Bezirken aber nicht, störte nicht nur den einen oder anderen Verfassungsrechtler.

Für Mittwoch dieser Woche hat Maria Vassilakou die Klubobleute aller Fraktionen zu einem Runden Tisch über die Mariahilfer Straße eingeladen. „Es ist mir wichtig, dass die Diskussionen der vergangenen Wochen und Monate keine tiefen Gräben hinterlassen“, erklärte die Vizebürgermeisterin.

Einen Versuch ist es wert.